Von Ralf Keuper

Am vergangenen Donnerstag (26.02.2015) hielt der renommierte Historiker Norbert Frei auf Einladung der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte im Westfälischen Industrieklub in Dortmund den Vortrag 1945 – Ende und Anfang.

Frei machte darin u.a. klar, dass es 1945 nicht um die Befreiung Deutschlands von den Nazis, sondern um die der Welt von der nationalsozialistischen Ideologie ging. Besonders eindrücklich waren die Schilderungen amerikanischer Journalisten, wie Martha Gellhorn oder Melvin Lasky, die im Jahr 1945 Deutschland bereisten. Anders als sie vermutet hatten, stießen sie bei ihren Gesprächen auf Menschen, die behaupteten, keinerlei Sympathien für den Nationalsozialismus gehegt zu haben. Auch von den Greueln in den Konzentrationslagern habe man nichts gewusst. Überzeugte Nazis waren plötzlich unauffindbar.

Statt sich mit der eigenen Verantwortung auseinanderzusetzen, nahmen viele, u.a. unter dem Eindruck der Nürnberger Prozesse, nur allzu gerne Zuflucht zur Kollektivschuld. Auf einmal sahen viele das gesamte deutsche Volk auf der Anklagebank. Durch diese Selbsttäuschung glaubte man sich der Frage nach der individuellen Verantwortung entledigen zu können. Gleich nach Ende des Krieges griff Karl Jaspers das Thema in seiner Schrift zur Schuldfrage auf. Darin lehnte er eine Kollektivschuld der Deutschen ab, betonte aber die Pflicht zur”politischen Haftung”. Wer wollte, konnte, musste von den KZs wissen. Die Deportationen erfolgten in aller Öffentlichkeit, die Reichskristallnacht war allen bekannt.

Die Aufgabe, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein und ihr gerecht zu werden, bleibt nach Frei für die nachfolgenden Generationen, die keinerlei Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus haben, bestehen.

Weitere Informationen:

Melvin J. Lasky: Und alles war still. Deutsches Tagebuch 1945

Kriegsreportagen: Die Frau an Hemingways Seite

Norbert Frei: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen. 

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