Von Ralf Keuper

Die Stadt Iserlohn im heutigen Märkischen Kreis war im 18. und 19. Jahrhundert eine der größten Industriestädte Deutschlands und die für einige Jahrzehnte bedeutendste Westfalens.

Auf den Seiten der Stadt Iserlohn heisst es:

Iserlohn galt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts als eine der bedeutendsten Wirtschaftsmetropolen Westfalens. Kennzeichnend für die Weltgeltung ihrer Produkte war die Nadelherstellung. Die Einführung des Nadelgewerbes am Ende des 17. Jahrhunderts war eine folgerichtige Entwicklung, um den in der Region produzierten Draht vor Ort weiterzuverarbeiten. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich vor allem der asiatische Markt zu großer Bedeutung für die Iserlohner Nadelfabrikanten.

Neben dem asiatischen Markt war der englische lange Zeit für die Iserlohner Industrie von großer Bedeutung, wie Wilfried Reininghaus in Wirtschaftliche Beziehungen zwischen England und der Grafschaft Mark vor 1815 zeigt.

Zu Beginn waren die märkischen Kaufleute und Produzenten noch ganz auf englische Importe angewiesen:

Die Iserlohner verkauften nicht nach England sie kauften vielmehr dort ein. Um englische Waren auf dem Kontinent günstig anbieten zu können, mussten sie direkt bei den Herstellern bezogen werden. Für die Iserlohner gewannen die südlichen Niederlande deshalb zusätzlich an Bedeutung, weil von hier aus rasch der Kanal überquert werden konnte. In Brabant und Flandern gründete im Laufe des 18. Jahrhunderts mehrere Iserlohner Kaufleute Niederlassungen (in: Westfälische Forschungen 44/1994)

Auch der Know-How – Transfer verlief zunächst einseitig. Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein, zogen die Iserlohner Kaufleute den Handel der Produktion vor. Als sich die englische Industrie vom Messehandel auf den Direktvertrieb umstellte, und Zwischenhändler nicht mehr in dem Umfang benötigt wurden, waren auch die Iserlohner Kaufleute gezwungen, sich umzustellen, wie die Kaufmannsfamilie Ebbinghaus.

Zu diesem Zeitpunkt waren Ebbinghaus und die Mehrzahl der Kaufleute aus Iserlohn noch auf den traditionellen Messehandel konzentriert, sie wären nicht bereit gewesen, wie Boulton der Produktion vor dem Handel den Vorzug zu geben. Gleichwohl waren sie und andere Kaufleute in der Grafschaft Mark offen für gewerbliche Neuerungen. Seit dem späten 17. Jahrhundert hatte die Gewerbestruktur an Vielfalt gewonnen. Die natürlichen Voraussetzungen in der Grafschaft, ihr Wasserreichtum und ihr Know How vor allem in den Metallgewerben begünstigten die Übernahme neuer Technologien, die Stadt und Kaufleute vermittelt hatten (ebd.).

Damit der Technologietransfer stattfinden konnte, waren ausgedehnte “Studienreisen” nach England nötig, die man rückblickend durchaus als Industriespionage bezeichnen kann. Als einer der ersten begab sich der preußische Fabrikenkommissar  Friedrich Alexander August Eversmann im Jahr 1783 auf die Reise auf die größte der britischen Inseln, die zu seiner Zufriedenheit verlief:

Eversmann schätzte den Nutzen seiner Reise durch England und Schottland selbst als “sehr bedeutend” ein, obwohl er noch höhere Erwartungen gehabt hatte. Er gab nach seiner Rückkehr 1784 in etlichen Fällen sein Wissen über englische Produktionsverfahren an westfälische Unternehmer weiter (ebd.).

Nadeln, als nützlicher Alltagsgegenstand waren besonders geeignet für den Aufholjagd der deutschen bzw. preußischen Industrie gegenüber England.

Der Gewerbeförderung günstig erwies sich die Kontinentalsperre Napoleons sowie die Besetzung Preußens durch die Franzosen. Derart abgeschirmt und vor englischer Konkurrenz geschützt, konnten die märkischen Kaufleute und Produzenten die inländische Nachfrage bedienen.

Reinginghaus hält resümierend fest, dass es der märkischen Industrie durch Imitation, Technologietransfer und Anpassungsfähigkeit gelungen sei, sich auch nach 1815 gegen die englische Industrie zu behaupten. Ein gutes Beispiel eines Unternehmens, das über die von Reininghaus beschriebenen Merkmale verfügte, war die Nadelfabrik Friedrich Hanebeck. Weitere bedeutende Industrielle dieses Zeitraums waren Peter Eberhard Müllensiefen und Johann Caspar Rumpe.

Neben Iserlohn war auch Altena ein Zentrum der Nadelfabrikation, woran der Drahthandelsweg von Altena nach Iserlohn erinnert. Altena nennt sich noch immer Stadt des Drahtes.

Zu den Ursprüngen der deutschen Drahtherstellung schreibt das Branchenmagazin blechnet:

Die Ursprünge der deutschen Drahtherstellung liegen in Südwestfalen, insbesondere um Altena, sowie um Nürnberg. Seit dem 11. Jahrhundert wurde vom geschmiedeten Draht auf gezogenen Draht umgestellt. Ab dem 14. Jahrhundert nutzte man die Wasserkraft der zahlreichen Bäche in Südwestfalen, um die Ziehmaschinen anzutreiben. Das war auch die Voraussetzung dafür, dass diese Region zum Zentrum der deutschen und europäischen Drahtproduktion wurde und es auch noch blieb, als die vorhandenen Erzvorkommen in Südwestfalen erschöpft waren.

Die Drahtverarbeitung ist bis heute ein Rückgrat der südwestfälischen Industrie. Im netzwerkdraht e.V. haben sich 50 Unternehmen zusammengeschlossen. Mehr als 60 der rund 90 Drahtziehereien in Deutschland haben ihren Sitz in Südwestfalen.

Wer sich über die Geschichte des Drahtes und der Nadelproduktion in Südwestfalen informieren will, kann das im

Deutschen Drahtmuseum in Altena 

und im

Nadelmuseum und Haarnadelfabrikation in Iserlohn

Weitere Informationen:

Unternehmertum Südwestfalen: „Am Ende entscheidet der Kunde“

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