Von Ralf Keuper 

Gestern fand in Hagen die “Wissensoffensive 2015” unter dem Motto: “Go digital: Management in Wirtschaft 4.0” statt.

Als Hauptredner angereist waren die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, Andreas Metzger von der Big Data Value Association (Brüssel), Internetpionier Hannes Bauer, der die erste deutsche Suchmaschine, Kolibri, auf den Markt brachte und Erich Behrendt vom Kompetenznetzwerk wisnet.

Im Zentrum der Veranstaltung stand die Frage, welche Auswirkungen die zunehmende Vernetzung der Industrie, d.h. die Kommunikation der Maschinen untereinander, auf die vorwiegend mittelständisch geprägte Wirtschaft Südwestfalens mit ihren zahlreichen Weltmarktführern hat. Handelt es sich hierbei wiederum um ein weiteres Modethema, das mit der Zeit von einem anderen abgelöst wird, oder verbirgt sich mehr dahinter, und falls ja: Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus?

Weitgehende Einigkeit herrschte in den verschiedenen Foren der Veranstaltung darüber, dass die Zeiten, in denen sich die Unternehmen nur um die Qualität ihrer Produkte zu kümmern brauchten und den Absatz über die gewohnten Kanäle (Fachhandel, Direktvertrieb, Handwerker) delegieren konnten, sich dem Ende neigen. Zum direkten Kundenkontakt kommt es häufig nur dann, wenn ein Problem auftritt, worum sich der eigene Kundendienst oder Dritte (Handwerker) kümmern.

Allein mit Blick auf die Vorgaben der großen Automobilkonzerne an die Zulieferer, was die Kommunikationsfähigkeit der Komponenten betrifft, z.B. mittels Sensoren, wurde deutlich, dass sich schon heute kaum noch ein Unternehmen der Vernetzung entziehen kann. Ob das Szenario autonom handelnder Kühlschränke tatsächlich Realität wird, sei dahin gestellt. Jedoch spricht viel dafür, dass Geräte bzw. technische Objekte künftig autonom agieren werden, d.h. selbständig Entscheidungen treffen und Prozesse auslösen können, wobei große Mengen von Daten anfallen.

Neu an dieser Entwicklung ist nun, und hier beginnen die Chancen und Risiken, dass große digitale Plattformen wie Apple, Samsung, Google, facebook, Alibaba, Amazon & Co. über ihre zentrale Stellung für den Handel (E-Commerce) an Daten gelangen, die Rückschlüsse auf die Produkteigenschaften zulassen. Im Extremfall kann das dazu führen, dass die Maschinen von Dritten nachgebaut werden können, ohne dass dabei zwangsläufig Patente verletzt werden. Die Informationen, z.B. in Form von Reklamationen, können auch dazu verwendet werden, bessere Produkte, Maschinen herzustellen, noch ehe der eigentliche Hersteller im Bild ist. Hinzu kommt, dass die riesigen Datenmengen und die Schlüsse, die sich daraus auf Produkteigenschaften und Kundenverhalten ziehen lassen, neue Geschäftsmodelle ermöglichen, die mit der eigentlichen Maschine nur noch indirekt zu tun haben.

Ein Beispiel dafür ist das Smart Farming. Hier betreiben die Landmaschinenhersteller Claas, GEA und Amazone eine Plattform, die Informationen, die während des Dreschens und im eigenen Betrieb anfallen, liefert, anhand derer die Landwirte ihre Abläufe verbessern können. (Vgl. dazu: Die Macht der Daten schlägt in allen Branchen durch).

Übertragen auf die südwestfälische Wirtschaft könnten neue Geschäftsmodelle in der Sanitärbranche, in der Drahtherstellung und in der Leuchtenherstellung in der Weise entstehen, dass mehrere Unternehmen einer Branche sich zusammentun, und ähnlich wie im Smart Farming, die während der Betriebsdauer und in Interaktion mit den Kunden anfallenden Informationen auswerten, und Empfehlungen für die Verbesserung der Abläufe geben.

Bereits im Jahr 1984 schrieb Michael E. Porter über den Wettbewerbsvorteil Information:

Die Informationstechnik erzeugt im Lauf ihres Einsatzes im Unternehmen immer mehr Daten, die zuvor nicht verfügbar waren. Sie ermöglicht auch eine weit gründlichere Analyse und die Nutzung einer immer breiten Datenbasis. Die Zahl der Variablen, die ein Unternehmen analysieren oder kontrollieren kann, hat in dramatischer Weise zugenommen.

Heute sind die Möglichkeiten dazu unendlich größer, sowohl was die interne Verwendung der Daten, als auch was die Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Unternehmen und den Kunden betrifft.

Wo Chancen bestehen, da sind die Risiken bekanntlich nicht weit. Hannes Bauer wies in einer Diskussionsrunde darauf hin, dass die Hersteller ein vitales Interesse an der Hoheit über ihre Daten haben müssen – insbesondere aus den bereits genannten Gründen. Für ihn sind die Schnittstellen (APIs) die neuen Handelsrouten. Wieviel Daten über diese Handelsrouten an welchen Empfänger gehen, liegt in der Hoheit des Herstellers, d.h. ein Dritter bekommt nur begrenzten Zugriff auf die Daten. Wichtig ist, dass nur die für einen Auftrag nötigen Informationen über die Handelsrouten (APIs) in verschlüsselter Form den Empfänger erreichen. Wie die Daten genau entstanden sind, bleibt äußeren Blicken entzogen. Tiefere Einblicke in die Daten zu gewähren, liegt im Ermessen des jeweiligen Herstellers.

Um auf Dauer ein Gegengewicht gegen die großen global agierenden Plattformen bilden zu können, empfiehlt Hannes Bauer die Errichtung eigener branchenspezifischer und/oder branchenübergreifender Plattformen, die er in Anlehnung an die Hansekaufleute des Mittelalters Hanse 2.0 nennt. Denkbar sind auch regionale und/oder länderübergreifende Plattformen. Wichtig ist, dass auf diesen verschlüsselten Plattformen jeder Anbieter die Hoheit über seine eigenen Daten erhält und selbst entscheiden kann, ob und zu welchem Zweck er seine Daten mit anderen teilt, u.a. in Form gemeinsam ausgeschriebener Wettbewerbe (Crowdsourcing). Auf diese Weise können Deutschland und Europa ihre Digitale Souveränität zurückgewinnen bzw. behaupten.

Sofern wir uns also auf unsere Stärken besinnen und erkennen, dass die Daten und die Art und Weise, wie wir damit umgehen, darüber entscheiden, ob man als Hersteller noch wahrgenommen wird, d.h. in der Lage ist, Software und Hardware miteinander kombinieren zu können und den Kontakt mit den Kunden nicht an andere verliert, überwiegen die Chancen. Anderenfalls droht der Abstieg, wie es u.a. in der Studie Geschäftsmodell-Innovationdurch Industrie 4.0 Chancen und Risiken für den Maschinen- und Anlagenbau heisst:

Parallel dazu fassen Unternehmen aus der Wissens- und Internet-Ökonomie in der Maschinenbaubranche Fuß. Sie betreiben föderative Plattformen, auf denen Softwareanbieter intelligente Services zur Produktionsoptimierung als Software-Services (z. B. Apps) zur Verfügung stellen. Diese Apps verarbeiten Prozess- und Maschinendaten und unterstützen den Wertschöpfungsprozess der Maschinenbetreiber direkt und umfassend. Zentraler Anlaufpunkt der Kunden ist die Plattform bzw. der Anbieter der Applikation.

Durch eine solche Entwicklung würde die direkte Schnittstelle zum Nutzer der Maschine vom Maschinenhersteller an den Softwareanbieter oder Dritte übergehen. Somit könnte der Maschinenhersteller sich lediglich über die Hardware differenzieren, wobei ein großer Teil des Kundennutzens in der Usability liegt, welche hauptsächlich durch die Software erzeugt wird. Dies würde bedeuten, dass eine weitreichende Differenzierungsmöglichkeit und der direkte Kontakt zum Kunden wegfallen und der Maschinenhersteller an Wettbewerbsfähigkeit und Marktmacht verliert. Maschinenhardware würde auf diese Weise im Extremfall zur Commodity in einem preisumkämpften Markt werden. Unternehmen, deren technologischen Alleinstellungsmerkmale durchschnittlich oder schwach ausgeprägt sind, können in diesem Umfeld kaum überleben.

Weiterhin kam die Anregung auf, dass die Hersteller die Nähe zu Startups bzw. zur Startup-Szene suchen sollten. Hier sind häufig neue, frische Ideen vorhanden, die häufig aber eines Praktikers bedürfen, um zum Erfolg zu kommen. In aber auch außerhalb von Westfalens, man denke nur an Dortmund mit der TU und dem Technologiezentrum und die Startup-Hochburg Berlin, sind genügend Startups unterwegs, die als Partner infrage kommen könnten.

Kurzum: Unterm Strich derzeit (noch) mehr Chancen als Risiken.

Weitere Informationen:

Wandlungswunder deutsche Industrie – auch digital unkaputtbar?

Die digitale Transformation der Industrie 

Ein Gedanke zu „Wissensoffensive 2015: Südwestfalen meets Wirtschaft 4.0“
  1. […] In gewisser Hinsicht handelt es sich um eine neue kommerzielle Revolution. Die erste ereignete sich nach den Worten des französischen Historikers Jacques Le Goff im 11. und 13 Jahrhundert, als die Städte sich zu Markt- und Handelsplätzen entwickelten. Die Städte übernahmen die Rolle einer Plattform, auf der Angebot und Nachfrage zusammengeführt wurden, wobei bestimmte Regelungen (z.B. Marktgesetze) eingehalten werden mussten. Heute treten die großen digitalen Plattformen, wie Amazon und Alibaba, an die Stelle der Städte und der Hanse. Dadurch wächst für den Mittelstand die Gefahr der Abhängigkeit von der Marktmacht weniger Anbieter (Vgl. dazu: Südwestfalen meets Wirtschaft 4.0). […]

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