Von Ralf Keuper

Die Aufdeckung und Bekämpfung von Straftaten dürfte so alt wie die Menschheit sein. Insoweit ist die Kriminalgeschichte auch immer ein Stück Sozialgeschichte. Es wäre daher vermessen zu glauben, es habe in den verschiedenen Regionen Deutschlands diesbezüglich größere Abweichungen gegeben bzw. es gebe sie noch.

Diesen Nachweis bringt Udo Bürger in seinem Buch Westfälische Unterwelten. Historische Kriminalfälle und Hinrichtungen in Westfalen. Darin untersucht Bürger Kriminalfälle, die sich in Westfalen zwischen 1815 und 1918 ereignet haben. Zuvor hatte Bürger die Kriminalgeschichte seiner rheinischen Heimat in einem Buch beleuchtet.

Erstaunlich und z.T. auch erschreckend empfand ich, dass noch bis weit in das 19. Jahrhundert bei Hinrichtungen wegen Kapitalverbrechen zum Tode verurteilter Straftäter von grausamen Methoden Gebrauch gemacht wurde, wie vom Rädern. Auch das Beil zählte lange Zeit zum bevorzugten Werkzeug der Scharfrichter. Viele Urteile wurden vom preußischen König in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Einige Male erfolgte auf Geheiß des Königs eine “humane” Art der Hinrichtung. Beklemmend wirken auch die Stellen im Buch, auf denen Bürger den Massenandrang beschreibt, von dem viele Hinrichtungen begleitet wurden. Hinrichtung als Spektakel. Erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts fanden die Hinrichtungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Die Zahl der Hinrichtungen fällt in Westfalen, im Vergleich etwa zum Rheinland, nicht aus dem Rahmen. Eher schon ist sie geringer, wenn auch nicht signifikant. Gleiches gilt für die verschiedenen Regionen Westfalens mit Ausnahme von Paderborn, wo es während des Untersuchungszeitraums nur zu einer Hinrichtung gekommen ist. Ob das auf die Dominanz der katholischen Kirche in und um Paderborn zurückgeführt werden kann, lässt sich nur schwer belegen. Dass aber auch im katholischen Hochstift Kapitalverbrechen vorkamen, belegt nicht zu letzt Die Judenbuche von Annette von Droste Hülshoff.

Fast schon wohltuend ist es da zu erfahren, dass es auch minder schwere Straftaten wie Heiratsschwindel und Wettbetrug gab.

Obgleich die Zahl der Straftaten in Westfalen, wie bereits erwähnt, unauffällig war, gab es doch einen statistischen Ausreißer. Und zwar berichtet Bürger, dass die Jugendkriminalität in Westfalen während des 1. Weltkrieges sprunghaft anstieg und weit über dem Durchschnitt anderer Regionen lag.

Update 16.05.2015:

Wie aus dem Buch Paderborner Gerichtswesen und Juristen im neunzehnten Jahrhundert, verfasst von Heinrich Rempe, hervorgeht, zählte der Oberlandesgerichtsbezirk Paderborn im 19. Jahrhundert für Jahrzehnte zu denen mit der höchsten Kriminalitätsrate in Preußen.

Wie lassen sich die Funde Bürgers aus heutiger Sicht bewerten? Was sagt die Geschichte dazu?

Mit einigem Recht lässt sich die Behauptung aufstellen, dass die moderne Kriminalitätsforschung ihren Ursprung in Westfalen während der Zeit der Hexenverfolgung hatte. Um dem blinden Morden unschuldiger, der Hexerei angeklagter Frauen Einhalt zu gebieten, verfasste der zu diesem Zeitpunkt in Paderborn lehrende Jesuit Friedrich von Spee seine legendäre Cautio Criminalis. Heinz Dieter Kittsteiner bezeichnet die Cautio Criminalis in seinem Buch Die Stabilisierungsmoderne als Bruch mit der Vergangenheit, indem purer Aberglaube schrittweise durch wissenschaftliche Methoden und Argumentationstechniken ersetzt wurde. Bereits während der Inquisition wurde die Beweisaufnahme in die Rechtsprechung aufgenommen – im Inquisitionsverfahren.

Aktuell scheint sich die Kriminalität in Westfalen – statistisch gesehen – etwas auffällig zu verhalten. So berichtet das Landeskriminalamt von einem leichten Rückgang von Wohnungseinbrüchen in NRW. Allerdings geht dieser positive Trend an Westfalen vorbei. Anders als im Rheinland steigt hier die Zahl der Delikte, wie in Münster. Allerdings liegt die Zahl der Wohnungseinbrüche in Westfalen insgesamt deutlich niedriger als im Rheinland, wie aus dem Bericht Kriminalitätsentwicklung In NRW 2013 auf Seite 52 hervorgeht.

Auf der anderen Seite zählt Bielefeld seit Jahren zu den sichersten Großstädten Deutschlands.  Im Jahr 2006 war Bielefeld beispielsweise die sicherste Großstadt Deutschlands. 2013 war Bielefeld die sicherste Großstadt in NRW und damit nach München auf Platz zwei in Deutschland. Als besonders sicher im sicheren Ostwestfalen gilt der Kreis Höxter.

Erstaunlich dagegen die vergleichsweise hohe Kriminalitätsraten in Münster, was man so nicht vermuten würde. Vor allem die bereits erwähnten Wohnungseinbrüche machen der Polizei und den Einwohnern der Stadt zu schaffen. Weniger Sorgen müssen sich dagegen die Einwohner der Landkreise des Münsterlandes machen, am wenigsten im Kreis Warendorf, der 2013 der sicherste Landkreis der Region war.

Der südwestfälische Kreis Soest zählt ebenfalls zu den sicheren in NRW. Im Ruhrgebiet dagegen nimmt die Zahl der Straftaten zu. Spitzenreiter ist hier u.a. Dortmund.

Während die Zahl der Einbrüche in NRW steigt, bzw. leicht zurückgeht, geht die Jugendkriminalität spürbar zurück.

Dieser Befund gilt auch für Deutschland insgesamt. Um so überraschender bzw. erschreckender daher, dass eine Ende vergangenen Jahres bekannt gewordene Studie zeigt, dass ein Drittel der Jurastudenten in Deutschland die Einführung der Todesstrafe befürwortet.

Es ist zu wünschen, dass ein Buch, wie das von Udo Bürger, mit dazu beiträgt, hier einen Sinneswandel zu befördern. Kürzlich gab Udo Bürger der Neuen Westfälischen ein Interview, in dem er sich näher zu seinem Buches äußert. Von der “guten alten Zeit”, so Bürger, könne keine Rede sein. Weder in Westfalen noch anderswo.

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