Das Batterieforschungszentrum MEET in Münster will Europa im globalen Wettlauf um die Batterieproduktion voranbringen. Doch während China und die USA mit Gigafabriken die Märkte dominieren, droht dem deutschen Vorzeigeprojekt, zu einem weiteren Symbol gut gemeinter, aber industriell folgenloser Forschung zu werden. Eine kritische Bestandsaufnahme eines Standorts, der Spitzenforschung verspricht, aber an strukturellen Defiziten scheitern könnte.


Der Traum von der europäischen Batterie-Souveränität

Mit rund 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern positioniert sich das Batterieforschungszentrum MEET an der Universität Münster als führende deutsche Forschungseinrichtung für Batteriematerialien und Zellforschung. Das Versprechen ist ambitioniert: Der komplette Wertschöpfungskreislauf von Batterien soll abgedeckt werden – von der Materialentwicklung über die Zellfertigung bis zum Recycling. Eine groß angelegte Batteriezellfabrik mit etwa 20.000 Quadratmetern, deren Fertigstellung für Ende 2027 geplant ist, soll industrielle Produktion im Gigawatt-Bereich ermöglichen. Der Grundstein für den zweiten Bauabschnitt wurde im Oktober 2025 gelegt, die Inbetriebnahme ist für 2028 vorgesehen.

Zusammen mit dem Helmholtz-Institut und der Fraunhofer-Forschungsfertigung hat sich Münster offiziell zu einem der wichtigsten europäischen Hotspots für Batterieforschung und -produktion entwickelt. Die Aktivitäten umfassen neue Recyclingverfahren und die Entwicklung nachhaltiger Batterien für Elektromobilität, Energienetze und zukünftige Anwendungen wie Flugtaxis. Auf dem Papier liest sich das beeindruckend. Die Realität jedoch zeichnet ein ernüchterndes Bild.

Das institutionelle Problem: Forschungsgesellschaften als Innovationsbremse

Dass ausgerechnet Helmholtz und Fraunhofer als Partner genannt werden, ist kein gutes Zeichen. Beide Organisationen stehen exemplarisch für ein systemisches Problem der deutschen Forschungslandschaft: Sie verschlingen Milliarden an Steuergeldern und produzieren wissenschaftliche Exzellenz, doch beim Transfer in gesellschaftlich relevante Innovationen versagen sie regelmäßig.

Die Fraunhofer-Gesellschaft, eigentlich für anwendungsorientierte Forschung konzipiert, kämpft mit restriktiven Ausgründungsbedingungen, die Deep-Tech-Start-ups ersticken, bevor sie entstehen können. Während MIT und Stanford als „Gründungsmaschinen“ fungieren, schaffen es deutsche Spitzeninstitute nicht einmal, ihre Lizenzierungsmodelle international wettbewerbsfähig zu gestalten.

Die Helmholtz-Gemeinschaft mag forschungsstark sein, doch bei EU-Projekten übernimmt sie seltener die Führungsrolle als erwartet. Interne Evaluierungen offenbaren heterogene Forschungsleistung und mangelhafte Koordination zwischen den Zentren.

Das eigentliche Problem liegt in fundamental falsch ausgerichteten Incentive-Strukturen: Forscher und Institutsleiter werden primär nach wissenschaftlichen Publikationen und Drittmitteleinwerbung bewertet, nicht nach realem Innovationsoutput oder gesellschaftlicher Wirkung. Rankings und Evaluierungen verschärfen diese Perversion – sie messen die falschen Parameter und belohnen publikationsfähige Forschung statt echter Problemlösung. Das Ergebnis: selbstreferentielle akademische Zirkel statt gesellschaftlicher Relevanz.

Die Institute sind transformationsresistent, geprägt von übermäßiger Bürokratie, Intransparenz und zentralisierter Governance. Solange die staatliche Grundfinanzierung gesichert ist und keine existentiellen Konsequenzen drohen, gibt es wenig Anreiz zur grundlegenden Veränderung. Interne Reformbemühungen versanden regelmäßig in endlosen Kommissionen.

Wenn Münster sich also darauf beruft, gemeinsam mit Helmholtz-Institut und Fraunhofer-Forschungsfertigung einen „Hotspot“ zu bilden, ist das weniger Verheißung als Warnsignal: Hier verbünden sich Akteure, die strukturell nicht in der Lage sind, Forschung in industrielle Wertschöpfung zu überführen.

Die harte Wahrheit: 15 Jahre Rückstand

Die Batteriezellfabrik und das Batterieforschungszentrum MEET kommen aus europäischer Sicht schlicht zu spät. China beherrscht aktuell nahezu die gesamte Wertschöpfungskette von Lithium-Ionen-Batterien – von der Rohstoffgewinnung über Raffinerien bis zur Zellfertigung. Mit einem etwa 15-jährigen Vorsprung durch starke staatliche Subventionen und dem Aufbau großer Gigawatt-Fabriken hat das Reich der Mitte eine Position erreicht, die Europa nur noch mit enormem Aufwand herausfordern kann. China kontrolliert über 75 Prozent des globalen Marktes und baut seine installierte Energiespeicherleistung weiter rasant aus, mit dem Ziel, diese bis 2027 nahezu zu verdoppeln.

Die geplante Batteriezellfabrik in Münster, deren zweite Ausbauphase erst 2028 in Betrieb gehen soll, kann daher nur schrittweise Europas Abhängigkeit reduzieren. Selbst optimistische Szenarien gehen davon aus, dass europäische Produktionskapazitäten bis 2030 lediglich 50 bis 60 Prozent des eigenen Bedarfs decken werden – wenn überhaupt. Die Vorstellung, mit der MEET-Forschungsfertigung ein signifikantes Gegengewicht zu China oder gar Innovationsführerschaft zu erreichen, ist in der Branchenrealität umstritten und skeptisch einzuschätzen.

Nischenprojekt statt Massenproduzent

Im direkten Vergleich zu den enormen Projekten in China und den USA – etwa Teslas vertikal integrierte Gigafactories mit eigener Rohstoffsicherung – wirkt die Münsteraner Forschungsfertigung wie ein Nischenprojekt. Sie dient vor allem dazu, europäische Forschungsergebnisse in die industrielle Praxis zu überführen, ist aber bei Weitem kein Massenproduzent oder Global Player in der Batteriezellfertigung. Die MEET-Anlage soll eine Brücke von der Forschung zur industriellen Großserie schlagen, der Fokus liegt jedoch auf Qualität, Innovationen im Material- und Recyclingbereich und der schrittweisen Reduzierung der Abhängigkeit.

Das heißt nicht, dass die MEET-Fertigung bedeutungslos ist. Im globalen Wettbewerb hat sie jedoch eher symbolischen und innovationsbezogenen Charakter. Ohne massive weitere Investitionen und politische Rahmensetzung kann sie kaum eine größere Schlüsselrolle im Vergleich zu China oder den USA einnehmen. Die offiziellen Aussagen von Universität Münster und EU sind oft strategische Positionierungen, die den politischen Willen zur eigenen Batteriezellproduktion betonen, nicht jedoch die aktuelle globale Wettbewerbsrealität widerspiegeln.

Das strukturelle Dilemma: Die Standortfrage

Die fundamentale Schwäche des Projekts liegt nicht nur in seiner relativen Kleinheit, sondern in seiner Verortung in Münster. Die vorhandenen Netzwerke sind akademisch formal, interdisziplinäre, praxisorientierte und schnell reagierende Gründerszenen fehlen. Eine konservative Verwaltungs- und Hochschullandschaft fördert weniger die Dynamik und Risikobereitschaft, die für schnelle Skalierung und flexible Umsetzung technologieintensiver Projekte entscheidend ist.

Die verpasste Chance: Warum Bochum die bessere Wahl gewesen wäre

Nur 100 Kilometer westlich liegt ein Standort, der alle Voraussetzungen für erfolgreiche Batterieproduktion mitbringt: Bochum. Die Ruhrgebietsstadt hat eine bemerkenswerte Transformation vom Niedergang der Schwerindustrie zu einem funktionierenden High-Tech-Ökosystem vollzogen.

Das ehemalige Opel-Werk, das 2014 schloss, wurde zu Mark 51°7 – einem modernen Gewerbepark mit 6.000 Beschäftigten in 38 Unternehmen. Von Start-ups, die an künstlicher Intelligenz arbeiten, bis zu Innovationslaboren von Bosch, DHL und VW: Hier funktioniert das Netzwerk aus Wissenschaft, Industrie und Gründergeist.

Das ZESS – das Zentrum für das Engineering Smarter Produkt-Service-Systeme – verkörpert diese Transformation. Mitten auf dem ehemaligen Opel-Gelände entstanden, bündelt es interdisziplinäre Kompetenzen in direkter Nachbarschaft zu den Unternehmen, die Innovationen umsetzen. Genau diese räumliche und kulturelle Nähe zwischen Forschung und industrieller Anwendung wäre für Batterieproduktion entscheidend.

Die Ruhr-Universität Bochum agiert als echter Inkubator. Das WORLDFACTORY Start-up Center bringt regelmäßig Unternehmen hervor, die sich mit IT-Security, Digital Health, Wasserstofftechnologie und intelligenter Sensorik beschäftigen. Initiativen wie „BOtechnologies“ sind funktionierende Plattformen für systematische Vernetzung, wo Technologietransfer wahrscheinlich wird, nicht nur möglich.

Entscheidend ist die Mentalität: Bochum hat gelernt, aus Krisen Strategien zu machen, aus frei gewordenen Flächen Möglichkeitsräume. Die Stadt agiert als Moderator statt als Verwalter. Diese pragmatische Haltung – kombiniert mit der industriellen DNA des Ruhrgebiets – schafft jene Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die für erfolgreiche Skalierung von Batterietechnologie unerlässlich ist.

Die bestehende Infrastruktur überzeugt: ThyssenKrupp investiert in neue Hightech-Stahlwerke speziell für Elektromobilität. Moderne Produktionsprozesse mit Automatisierung, Datenanalyse und Nachhaltigkeit sind etabliert. Die digitale Infrastruktur gehört laut Digital-Index Ruhr zur besten der Region. Ein Ökosystem, das Gründer anzieht, Investoren interessiert und Talente bindet, ist vorhanden.

Die Standortfrage entscheidet darüber, ob aus Forschungsexzellenz tatsächlich industrielle Wertschöpfung wird. Bochum bringt alle strukturellen Voraussetzungen mit: lebendige Gründerszene, funktionierende Netzwerke, pragmatische Verwaltungskultur, Produktionsinfrastruktur und die mentale Bereitschaft zur schnellen, risikofreudigen Umsetzung. Die Wahl fiel auf akademische Reputation statt industrielle Dynamik.

Viele Cluster-Projekte in Deutschland leiden unter ähnlichen Problemen: Sie generieren zwar Forschungsergebnisse, schaffen aber nur begrenzte industrielle Wertschöpfung und Markttransformation. Politische und administrative Strukturen sowie die lokale Kultur sind entscheidende Faktoren für den Erfolg von Hightech-Projekten, speziell wenn es um schnelle Skalierung und flexible Umsetzung geht. Dass Münster nicht gerade als Hotspot für industrielle Spitzenleistungen bekannt ist und eine eher bürokratisch geprägte Mentalität herrscht, kann Innovationsdynamik erheblich behindern.

Im Vergleich zu etablierten Innovationszentren wie Berlin, München oder Hamburg gibt es in Münster keine vergleichbare Dichte an Start-ups, Venture Capital, Inkubatoren oder einer lebendigen Szene, die Innovationen schnell zum Markterfolg bringt. Diese Situation erschwert es zusätzlich, Brücken zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu schlagen und Innovationen zügig industriell umzusetzen – was gerade bei so technologisch anspruchsvollen Bereichen wie der Batteriezellfertigung entscheidend ist.

Das Innovations-Paradox: Kein Wunder per Kabinettsbeschluss

Eine echte Innovationskultur entsteht weder durch ein „Wunder“ noch per Kabinettsbeschluss. Sie braucht tiefgreifende Veränderungen in Strukturen, Mentalität und Rahmenbedingungen – und vor allem einen nachhaltigen Brückenschlag zwischen Wissenschaft und angewandter Wirtschaft.

Traditionelle deutsche Hürden bleiben bestehen: Fördermittel fließen oft in bürokratische Projekte, Mut zur schnellen Skalierung und Risikokapital sind selten, die Interaktion zwischen Universitäten, Mittelstand und Großindustrie bleibt fragmentiert. Top-down-Vorgehen durch Politik setzt Impulse, reicht aber nicht für lebendige Innovationskultur.

Erfolgreiche Beispiele aus den USA und China zeigen: Innovationskultur entsteht durch Netzwerkbildung, gezielte Förderungen für Unternehmensgründungen, enge Industriepartnerschaften und pragmatische, weniger reglementierte Umsetzung. Programme wie IPCEI oder regionale Innovationscluster existieren zwar, doch ohne radikalen Kulturwandel, mehr Agilität und Risikoakzeptanz bleibt der Effekt begrenzt.

Die unbequeme Wahrheit

Die große Herausforderung: Aus symbolischem Status müssen tatsächliche industrielle Produktionskapazitäten und nachhaltige Wertschöpfung werden. Ohne dieses „Outpushen“ bleibt Potenzial ungenutzt, der Effekt im globalen Wettbewerb minimal. Es braucht neben Forschung auch Praxisnähe, Innovationskultur und strategisches Management, um mehr als symbolische Impulse zu erzeugen.

Fazit: Spitzenforschung ist nicht genug

Die strategische Bedeutung der Batterieforschung ist unbestritten. Doch die Wirkung im Wettbewerb mit China und den USA bleibt begrenzt ohne massive Investitionen und strukturelle Voraussetzungen für industrielle Transformation.

Die Standortentscheidung für Münster offenbart ein grundlegendes Missverständnis: Spitzenforschung allein schafft keine industrielle Revolution. Es braucht ein Ökosystem, in dem Wissenschaft und Wirtschaft organisch zusammenwachsen, in dem Gründergeist auf Produktionserfahrung trifft, in dem Verwaltung moderiert statt reguliert.

Innovationskultur verlangt mehr als Symbolpolitik – sie braucht neue Denkweisen, Talente, unternehmerische Freiheit und echte Kooperation. Die Hoffnung auf Führungsrollen bis 2028 sollte mit erheblicher Skepsis betrachtet werden.

Eine ehrliche Bewertung muss den globalen Wettbewerbsdruck berücksichtigen. Exzellente Forschung ohne radikale industrielle Transformation droht zum weiteren Beispiel deutscher Forschungsexzellenz ohne Marktwirkung zu werden. Die Batteriezellfabrik hätte an einen Ort gehört, wo aus Krisen Strategien werden – nicht an einen Ort, wo aus Strategien Verwaltungsvorgänge werden.


Quellen:

Wie Deutschlands Clusterpolitik mit Leuchttürmen blendet, während die breite Transformation ausbleibt

Die Atmosphäre der Innovation – Warum Startup-Ökosysteme nicht geplant werden können

Warum Münster nie ein Weltklasse-Unternehmen hervorbrachte

Die deutsche Forschungslandschaft: Problem statt Lösung

Von Rolevinck

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