Von Ralf Keuper
Auf Einladung der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte hielt am vergangenen Donnerstag die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Bénédicte Savoy im großen Saal der IHK Dortmund den diesjährigen Vortrag mit dem Titel “Kunst als Raub”.
Bénédicte Savoy leitet an der TU Berlin das Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne. Im vergangenen Jahr erhielt sie den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Für großes Medieninteresse sorgte vor einigen Jahren Der Fall Gurlitt. Der Kunstraub ist, ohne dass es häufig bewusst ist, ein Thema, das sich in der öffentlichen Diskussion durch die Jahrtausende bis zur Gegenwart zieht.
Ein Phänomen, das sich als so dauerhaft erwiesen hat, bedarf der historischen Betrachtung.
Das erste spektakuläre Gerichtsverfahren, in dem es um die Rückübertragung geraubter Kunst ging, ereignete sich im Jahr 70 vor Christus. Vertreter der Anklage war kein Geringerer als Marcus Tullius Cicero, dessen Reden als Reden gegen Verres in die Literatur- und Kunstgeschichte eingingen.
Einer der größten Kunsträuber der Geschichte war Napoleon. Auf seine Anordnung hin machte sich der Kunstexperte und Sammler Vivant Denon in die eroberten Ländern auf, um die schönsten und wertvollsten Kunstwerke in Besitz zu nehmen und nach Frankreich zu versenden. Als Legitimation diente der Hinweis, Kunst sei ein Produkt der Freiheit und gehöre infolgedessen in das Land der Freiheit – nach Frankreich. Das Leben von Vivant Denon beschreibt Reinhard Kaiser in Der glückliche Kunsträuber.
In gewisser Hinsicht ist es eine Ironie der Geschichte, dass einige der Hauptvertreter der Romantik in Deutschland, wie Friedrich Schlegel und Wilhelm von Humboldt, erst in Paris die Bekanntschaft mit einigen der bedeutendsten Kunstwerke Deutschlands machten. Deshalb ist Paris nach Ansicht von Bénédicte Savoy der Geburtsort der deutschen Romantik.
In den Versailler Verträgen nach dem 1. Weltkrieg wurde Deutschland u.a. die Auflage gemacht, Kunstwerke als Kriegsentschädigung an die Siegermächte abzugeben. Im zweiten Weltkrieg plünderten die Nazis private wie öffentliche Kunstsammlungen. Der größte Abnehmer der “Beutekunst” war, nach Adolf Hitler, Hermann Göring, der sich auf diese Weise eine eigene Kunstsammlung zulegte. Betroffen von der Sammlerwut des Reichsmarschalls waren vor allem die französischen Museen. Die Rote Armee wiederum nahm im Jahr 1945 in der Gemäldegalerie in Dresden wertvolle Kunstwerke in Besitz.
Insofern haben sich, je nach Umstand bzw. “Zeitgeist”, verschiedene Rechtfertigungsstrategien für den Kunstraub herausgebildet. In der Antike galt die Maxime “Kunst gehört dem Sieger”, in der Zeit Napoleons und der französischen Revolution war das Motto ” Kunst gehört der Öffentlichkeit”, wohingegen in der Romantik und bei der Roten Armee der Spruch zu vernehmen war “Kunst gehört den Kennern und Liebhabern”. Heute lautet die Maßgabe: “Kunst muss zirkulieren”. Exemplarisch dafür ist der chinesische Konzeptkünstler Al Wei Wei.
Die Vermutung liegt zunächst nahe, dass die Erinnerung am Kunstraub mit der Zeit vergeht. Das ist jedoch nicht der Fall. Prägnantes Beispiel ist die Rückkehr der Statue der babylonischen Fruchtbarkeits- und Siegesgöttin Nanaja, die erst 1635 Jahre nach ihrer Entwendung heimkehrte, was der Assyrerkönig Assurbanipal der Nachwelt überliefern ließ:
Nanaja, die 1635 Jahre gezürnt hatte, Nanaja, die fortgezogen war und sich in Elam, einer ihr unwürdigen Stätte, niedergelassen hatte, betraute mich mit ihrer Heimführung. (Quelle: „An Bildern schleppt ihr hin und her…“)
Auch nach 1635 Jahren war die Erinnerung an den Raub der Nanaja nicht vergangen.
Wie verwickelt die juristische bzw. moralische Bewertung des Kunstraubs noch immer ist, zeigt das Buch Mona Lisa in Bangoulap. Die Fabel vom Weltmuseum.
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