Die Anker-Werke waren das Lieblingskind der Bielefelder Industrie. Mit 8.000 Mitarbeitern und als weltweiter Registrierkassen-Gigant schien das Unternehmen unverwundbar. Doch 1976 war alles vorbei – eine Geschichte über Hochmut, Familienfilz und die tückische Kunst, den Moment zu verpassen.


Ein Imperium der Nützlichkeit

Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert war die Produktpalette der Anker-Werke ein Spiegel der aufstrebenden Bielefelder Industrie. Nähmaschinen, Fahrräder, Registrierkassen – das Spektrum war breit und die Qualität gefürchtet und respektiert. Doch es waren die Registrierkassen, die das Unternehmen zur Legende machten. Sie waren der Dreh- und Angelpunkt des Erfolgs, der Hebel, auf dem das gesamte Imperium ruhte.

Zur Blütezeit beschäftigte Anker 8.000 Mitarbeiter. Die Zahlen sprachen für sich: 1976, ausgerechnet im Jahr des Niedergangs, war Anker der zweitgrößte Hersteller von Registrierkassen weltweit – geschlagen nur von NCR. Es war ein stolzer Rekord, aber auch ein trügerischer. Denn während Anker seine Positionen zählte, war die Welt längst weitergegangen.

Die Illusion der Stabilität

Die 1970er Jahre brachten dann die Ernüchterung. Der Abstieg begann schleichend, dann rasant. Die Tageszeitung Die Zeit beobachtete das Geschehen mit dem spöttischen Blick der Chronistin: „Anker wird gefleddert.“ Es war eine Diagnose ohne Hoffnung. Zahlreiche Rettungsversuche scheiterten, einer nach dem anderen. Branchenkennern war schnell klar, worauf der Niedergang zurückzuführen war: Anker hatte verschlafen, was nicht zu verschlafen war. Während IBM und Nixdorf elektronische Kassensysteme entwickelten und die Zukunft eroberten, hatten die Bielefelder ihre Augen fest verschlossen.

Doch der technologische Schlaf war nicht die einzige Krankheit, die das Unternehmen dahinraffte. Es gab noch andere Leiden, tiefere, weil sie in der Struktur selbst lagen.

Der Preis der Vaterschaft

Der Spiegel richtete seinen Blick auf etwas Unbequemes: die Arbeit der Aufsichtsräte, allen voran der Kreis führender Bankvertreter, die in Aufsichtsratssesseln saßen und nicht anders konnten, als die Hand zu heben. Im Zentrum dieses Trauerspiels standen zwei Namen: Werner Krueger, Aufsichtsratschef und Vorstand der Dresdner Bank, und Heinz zur Nieden, das unumschränkte Familienoberhaupt, der Patriarch, der Motor der Nachkriegsexpansion – und das Hindernis für jede wahrhaftige Reform.

Krueger war nicht untätig. Er warnte frühzeitig, er sah die Gefahren kommen wie ein Wanderer, der Gewitter sieht, aber keinen Schlüssel zur Haustür hat. Seine Forderung nach einem unabhängigen Sondergutachten war vernünftig, dringend, notwendig. Doch was geschah? Die drei Familienmitglieder im sechsköpfigen Aufsichtsrat lehnten ab. Und schlimmer noch: Selbst die Arbeitnehmervertreter, die täglich mit Heinz zur Nieden zusammenarbeiteten, fürchteten „unnötigen Trouble“ mehr als sie die Zukunft des Unternehmens fürchteten.

Krueger resümierte mit der Bitterkeit eines gescheiterten Reformers: Die Arbeitnehmervertreter wollten lieber keinen Ärger machen, als dass sie dem Clan widersprochen hätten. Es war ein Bild der Ohnmacht innerhalb der Macht.

Die Substanz fließt ab

Während Krueger gegen Windmühlen kämpfte, handelte zur Nieden. Der 69-jährige Patriarch war nicht bereit, auch nur die Spur einer Kritik zu erdulden. Und so geschah das Unfassbare: Gerade als die Stunde der Wahrheit nahte, ließ zur Nieden noch acht Prozent Dividende aus der Substanz ausschütten. Das Unternehmen zehrte von sich selbst, während die Zukunft ungeschaffen blieb.

Erst als Krueger ultimativ mit seinem Rücktritt drohte – ein letztes Wort eines Mannes, der alle Hoffnung aufgegeben hatte – trat der alte Anker-Boß ab. Aber zu spät. Viel zu spät.

Die Söhne und die Illusion der Eignung

Doch selbst in der Niederlage wollte zur Nieden nicht nachgeben. Krueger musste die zähe Schlacht führen, um die Söhne des Patriarchen von den Führungspositionen fernzuhalten. Sie brachten exzellente Beurteilungen mit – vom Papier her. Aber wer hatte diese Noten ausgestellt? Hauseigene Ausbilder, natürlich. Krueger kannte die Spielregeln dieser Welt: „Ich möchte den Abteilungsleiter sehen, der Harakiri begeht und den Söhnen der Inhaber schlechte Noten schreibt.“ Es war eine Frage, die jeder Familienunternehmer im Stillen beantwortet.

Der Fehler der Geduld

Doch was Krueger versäumte – und hier liegt vielleicht sein eigentliches Versagen – war es, beizeiten unabhängige Gutachter zu beauftragen. Sie hätten die Wahrheit in alle Ecken des Unternehmens beleuchtet, die Schwachstellen aufgedeckt, die verborgenen Lücken offenbart. Die technologische Blindheit hätte keine Chance gehabt, ungestört weiterzuwachsen. Erst als das Schiff bereits unterging, beschaffte man sich Gutachten von Kienbaum und Diebold. Sie bestätigten, was jeder längst wusste: Die elektronischen Anlagen waren vernachlässigt worden. Die Zukunft war dem Unternehmen abhanden gekommen.

Ein Echo der Geschichte

Nach Ankers Zusammenbruch teilten sich NCR, IBM, Diebold und Nixdorf das Geschäft mit Kassensystemen auf. Doch auch ihre Freude war nicht ewiger Natur. IBM verließ das Feld und ist längst weg. Die anderen kämpfen bis heute um ihr Überleben. Und wieder sind es dieselben Muster: Sie ignorierten den Trend zu lange, die voranschreitende Digitalisierung, die veränderte Mediennutzung ihrer Kunden.

Die aktuelle Marktlage offenbart die volle Tragik dieses Musters – und sie zeigt, dass Anker nicht allein war. Diebold Nixdorf wirkt zwei Jahre nach seiner Insolvenz restrukturiert und wieder börsentauglich, doch die jüngsten Zahlen zeigen: Stabilität ist nicht gleich Stärke.

Hier ist das Muster: Das Unternehmen hat gelernt. Es hat sich restrukturiert. Es hat moderne Produkte, es hat Marktpräsenz. Die wirtschaftliche Lage ist überwiegend stabilisiert, aber weiterhin durch Herausforderungen geprägt. Die Zahlen geben ein irritierendes Bild ab. Im ersten Halbjahr 2025 stehen 3,9 Mio. USD Nettogewinn zu Buche, ein Fortschritt gegenüber den 0,3 Mio. USD des Vorjahres, aber weit entfernt von robuster Profitabilität. Das ist nicht Zusammenbruch, aber es ist auch kein Erfolg. Es ist das Zittern eines Unternehmens auf schwankendem Grund.

Aber das eigentliche Drama liegt woanders. Die etablierten Kassensystemanbieter kontrollieren zwar noch große Teile des Marktes, aber das Terrain verschiebt sich unter ihren Füßen. Die überwiegende Mehrheit der Kunden erwartet heute, überall mit der Karte bezahlen zu können. Mobile Payment via Smartphone ist inzwischen zur Normalität geworden. Doch das ist nicht die größte Bedrohung.

Die echte Gefahr kommt aus Asien. Hersteller wie Hyosung TNS (Südkorea) oder GRG Banking (China) entwickeln ihre Terminals in einem Tempo, das westliche Anbieter kaum erreichen. Während Diebold Nixdorf noch Entwicklungszyklen von mehreren Jahren hat, bringen asiatische Hersteller fast jährlich neue Gerätegenerationen auf den Markt.

Das ist nicht einfach schneller – das ist eine andere Welt. Asiatische Hersteller punkten nicht nur über den Preis, sondern durch Funktionen wie biometrische Authentifizierung, kontaktlose Smartphone-Integration, KI-gestützte Betrugsbekämpfung, cloudbasierte Fernwartung und modulare Designs, die flexible Erweiterungen ermöglichen. Was gestern als „Premiumfeature“ galt, ist heute oft schon Standard in asiatischen Produkten.

Und dann ist da noch das Serviceversprechen. Während Diebold Nixdorf offiziell mit Premiumservice auftritt, zeigt sich in der Praxis: Mitarbeiter berichten von Überlastung, hoher Fluktuation und unzureichender Schulung. Kostenoptimierung statt Kundenzentrierung reduziert die Servicequalität spürbar. Asiatische Anbieter koppeln technologische Spitzenprodukte mit verlässlicher, oft besser skalierter Service-Infrastruktur – eine doppelte Bedrohung.

Das ist nicht der technologische Schlaf von Anker. Das ist schlimmer. Das ist die Entdeckung, dass die Schlafenden aufgewacht sind, während man selbst noch träumt, erwacht zu sein.

Das ist das Erstaunliche und zugleich das Beängstigende an der Wirtschaftsgeschichte: Die Muster wiederholen sich mit einer Regelmäßigkeit, die an Gesetzmäßigkeit grenzt. Was Anker widerfuhr, war nicht einmalig, nicht eine Tragödie des Unglücks. Es war ein Klassiker – eine Geschichte, die sich immer wieder erzählt, in immer neuen Kapiteln, mit immer neuen Namen. Die Kassenhersteller von heute sind nicht weniger blind als die Bielefelder es damals waren. Sie verkaufen Millionen-Euro-Systeme, während ihre Kunden längst das Smartphone aus der Tasche ziehen. Sie konkurrieren um Marktanteile in einer Industrie, die gerade dabei ist, irrelevant zu werden.

Aber es gibt noch eine tiefere Ebene der Wiederholung: Während Diebold Nixdorf restrukturiert, während es sich reorganisiert, während es verspricht, dass alles besser wird – laufen asiatische Konkurrenten davon. Der Wettbewerb ist nicht mehr ein Wettbewerb zwischen westlichen und östlichen Anbietern. Es ist ein Wettbewerb zwischen Unternehmen, die die Zukunft verstanden haben, und Unternehmen, die noch immer an Produktlinien festhalten, deren Relevanz sie selbst nicht wirklich begreifen.

Die Anker-Werke wurden von mangelnder Innovationskraft und Familienfilz getötet. Diebold Nixdorf wird von etwas viel Tückiscerem aufgezehrt: von der Illusion, noch immer relevant zu sein. Der Grund liegt selten in der Böswilligkeit, sondern in etwas Tückischerem: der Unfähigkeit oder dem Unwillen, den Moment zu erkennen, in dem die ganze Spielfläche verschwindet – und es ist schon längst weg.

Von Rolevinck

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