August-Wilhelm Scheer, gebürtig aus Lübbecke, wurde vor einigen Monaten mit der Diesel-Medaille ausgezeichnet, dem ältesten und renommiertesten Innovationspreis in Deutschland[1]Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer mit Rudolf-Diesel-Medaille ausgezeichnet.
In der Begründung heißt es:
Das von August-Wilhelm Scheer um das Jahr 1990 entwickelte ARIS-Konzept ist ein Rahmen für die Optimierung von Geschäftsprozessen. Das von seinem Unternehmen IDS Scheer AG entwickelte Softwareprodukt ARIS Toolset zur Modellierung und Optimierung von Geschäftsprozessen wurde zu einem der wenigen international erfolgreichen Softwareprodukte aus Deutschland. Das ARIS Konzept lieferte gleichzeitig eine theoretische Grundlage für den Erfolg der prozessorientierten Unternehmenssoftware, die in den letzten 30 Jahren die Informationsverarbeitung in Unternehmen geprägt hat.
In seiner Dankesrede[2]Ehrung für die erfolgreichste Innovationsleistung für Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, Herausgeber IM+io ging Scheer auch auf Rudolf Diesel, den Namensgeber des Innovationspreises ein:
Ich habe mich mit der Person Rudolf Diesel intensiv beschäftigt und unter anderem die Biografie von Horst Köhler gelesen. Mir hat die Hartnäckigkeit, mit der Diesel seine Idee über Jahre verfolgt hat, außerordentlich imponiert. Er sollte damit ein Vorbild für solche heutigen Startup-Gründer sein, die glauben, quasi über Nacht von einer Idee zum Millionär werden zu können. Diese schmalen Ideen mit der Jagd auf den schnellen Erfolg sind meiner Meinung nach ein wesentlicher Grund für die hohe Ausfallrate von gegenwärtigen Startups.
Diesel musste dagegen zunächst sein Patent für den Dieselmotor rechtlich durchsetzen, dann Unternehmen suchen, die bereit waren, mit vielen Versuchen und Rückschlägen den Motor nach seinem Entwurf zu entwickeln und dann sein Produkt in den Markt einführen.
Scheer verweist im Anschluss daran auf den langen Weg, den er mit dem ARIS-Konzept über zahlreiche Publikationen und Prototypen zurücklegen musste, bevor ihm der durchschlagende Erfolg beschieden war. Wie schon in seinem Buch Timing beschrieben, ist für den Erfolg einer Erfindung der richtige Zeitpunkt entscheidend. Maßgeblich für den Erfolg ist weiterhin der Wirkungsgrad:
Ist sie zu früh, gibt es also noch keinen Bedarf des Marktes, so versandet sie. Kommt sie zu spät, dann ist der Markt bereits von vorhandenen Produkten besetzt. Gegenüber der Dampfmaschine besitzt der Diesel-Motor einen höheren Wirkungsgrad und war deshalb auch für mittelständische Unternehmen wirtschaftlich erschwinglich. Er kam also zur rechten Zeit.
Wichtig sei weiterhin eine kleine eingeschworene Gruppe, die sich der Idee voll und ganz verschrieben hat.
Rudolf Diesel arbeitete bei der MAN in Augsburg lediglich mit zwei oder drei Mitarbeitern an der ersten Version seines Motors[3]Übrigens: Einer von Diesels engsten Mitarbeitern bei der MAN war der aus Witten stammende Hugo Güldner, der für seine Pionierleistungen in der Dieselmotorherstellung und für seine Ackerschlepper … Continue reading[4]„Diesel wandte sich im Jahr 1887 mit einem Brief direkt an Buz. Darin ersuchte er Buz, den Bau eines neuen, von ihm konzipierten Wärmekraftmotors zu übernehmen. Nach einer ersten Absage … Continue reading. Auch das ARIS-Entwicklungsteam bestand zunächst lediglich aus einerHandvoll hochqualifizierter Informatiker unter der Leitung von Dr. Wolfram Jost. Es kam überwiegend aus meinem Uni-Institut. Die Entwickler waren also mit der Materie vertraut und hoch motiviert. Es ist bezeichnend, dass die Kerntruppe auch heute, nach rund 30 Jahren, immer noch zusammenarbeitet.
So wie die MAN dem Dieselmotor weltweit zum Erfolg verhalfen, so war es bei ARIS die SAP, welche die Rolle des Beschleunigers und Anwenders übernahm.
Das Timing war perfekt:
ARIS unterstützte die Einführung von ERP-Systemen, die gerade zu ihrem Siegeszug antraten
August-Wilhlem Scheer ist nach seinem Freund Hasso Plattner erst die zweite Unternehmerpersönlichkeit, die mit der Diesel-Medaille ausgezeichnet wurde[5]Die Laudatio hielt damals August-Wilhelm Scheer. In einer Zeit, in der datengetriebene Geschäftsmodelle und große Plattformen die Wirtschaft transformieren, sind die dazu passenden Softwarelösungen zum Schlüssel für den langfristigen Erfolg geworden.
In einem Interview mit diesem Blog im Jahr 2021[6]“Es geht von der Hardware über die Software zum Content” – Interview mit Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer sagte Scheer, die Stärke der deutschen Wirtschaft bestehe darin, „dass wir Komplexität beherrschen können. So kann die SAP mit ihrer Software ein ganzes Unternehmen steuern und nicht wie Salesforce lediglich eine Funktion wie den Vertrieb. Es ist schon eine deutsche Eigenschaft, Komplexität beherrschen zu können“.
ARIS ist ein Werkzeug, mit dem sich die Komplexität in der Unternehmenssoftware bewältigen lässt. Deutsche Wertarbeit, diesmal jedoch in Software und nicht in Hardware.
August-Wilhelm Scheer sticht unter den Unternehmerpersönlichkeiten der letzten Jahrzehnte dadurch hervor, dass er mehrere Rollen, die des Unternehmers und des Wissenschaftlers/Erfinders in sich vereint. Was das betrifft, besteht hier eine große Ähnlichkeit zu Carl von Linde, der übrigens der Lehrer und Förderer von Rudolf Diesel war.
Sein Erfolg (Linde) beruhte zu einem guten Teil darauf, dass er eine wissenschaftliche, technische und unternehmerische Identität trennen, dabei bewahren und so ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Erfindung und Unternehmensmanagement sein konnte. … sein Geschick im Umgang mit Mitarbeitern wie Kunden und schließlich ein gut ausgebildeter, vorausschauender Instinkt für Geschäfte und Märkte waren die notwendige Grundlage für den Erfolg der Gesellschaft für Lindes Eismaschinen. Der wissentschaftliche Hintergrund und die wissenschaftliche Selbststilisierung trugen zu diesem Erfolg bei, erklären ihn aber nicht hinreichend. Als Vorstand handelte Linde wie ein Unternehmer und nicht mehr wie ein Professor oder Forscher. Seine Stärke lag aber darin, dass er sich eine grundsätzliche technische und wissenschaftliche Neugier bewahrte und professionell ausleben konnte[7]Die Linde AG: Geschichte eines Technologiekonzerns 1879-2004[8]Damit unterschied sich Linde von dem amerikanischen Multi-Erfinder Thomas Edison: „Auf den Erfinderingenieur Carl von Linde treffen einige charakteristische Merkmale unabhängiger Erfinder zu, … Continue reading.
Neben August-Wilhelm-Scheer wurden in den letzten Jahren weitere Unternehmer aus Westfalen mit der Diesel-Medaille geehrt, wie Ortwin Goldbeck (2021), Klaus Eisert (2019) und Helmut Claas (2017).
Weitere Informationen:
Westfälische Techniker, Ingenieure und Erfinder
References
↑1 | Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer mit Rudolf-Diesel-Medaille ausgezeichnet |
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↑2 | Ehrung für die erfolgreichste Innovationsleistung für Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, Herausgeber IM+io |
↑3 | Übrigens: Einer von Diesels engsten Mitarbeitern bei der MAN war der aus Witten stammende Hugo Güldner, der für seine Pionierleistungen in der Dieselmotorherstellung und für seine Ackerschlepper bekannt wurde |
↑4 | „Diesel wandte sich im Jahr 1887 mit einem Brief direkt an Buz. Darin ersuchte er Buz, den Bau eines neuen, von ihm konzipierten Wärmekraftmotors zu übernehmen. Nach einer ersten Absage willigte Buz nach intensiven internen Diskussionen und Tests des Motors ein. Obwohl Buz von dem Potenzial des Motors überzeugt war, erschien ihm der Zeitpunkt dafür noch nicht gekommen. Bis zur Entwicklung eines marktreifen Motors vergingen noch Jahre. Im Sommer 1900 wurde der Dieselmotor auf der Weltausstellung in Paris offiziell vorgestellt. Der Durchbruch war geschafft“, in: Die MAN. Eine deutsche Industriegeschichte. |
↑5 | Die Laudatio hielt damals August-Wilhelm Scheer |
↑6 | “Es geht von der Hardware über die Software zum Content” – Interview mit Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer |
↑7 | Die Linde AG: Geschichte eines Technologiekonzerns 1879-2004 |
↑8 | Damit unterschied sich Linde von dem amerikanischen Multi-Erfinder Thomas Edison: „Auf den Erfinderingenieur Carl von Linde treffen einige charakteristische Merkmale unabhängiger Erfinder zu, die Thomas Hughes aufzählt. Der maschinentechnische Pionier Linde war eindeutig experimentell ausgerichtet, die Theorie war eine Hilfswissenschaft. Linde erfand Erfindungsmethoden, er umgab sich mit einem Team von Mechanikern und Assistenten und wurde Teilhaber an der die Patente ausbeutenden Firma. Doch seine Kartause war nur zeitweise die eigene Münchener Versuchsstation. Sein eigentliches Domizil waren vielmehr die Montageplätze der verkauften Maschinen, sein erfinderischer Erfolg resultierte gerade aus der engen Kooperation mit den Anwendern – ein wichtiger Unterschied zu der angeblichen Menschenflucht der selbständigen Erfinder von Thomas Hughes“ Letzterer repräsentierte laut Thomas Hughes den um das Jahr 1900 tonangebenden Typus des selbständigen Erfinders: „Bezeichnend für die selbständigen Erfinder war es, dass sie sich in von ihnen selbst gewählte Räume zurückzogen, die sie nach ihren Bedürfnissen ausgestattet hatten“ in: Die Erfindung Amerikas. Der technologische Aufstieg der USA seit 1870 |