Wer waren denn nun die “Tödden”?

Die dürfen vor allem nicht verwechselt werden mit den Hollandgängern, jenen armen Köttern und Heuersleuten der Gemeinde, die im Frühjahr zu Trupps von zwanzig bis dreißig Mann zuweilen noch nach Holland pilgerten. Männer, die in einem großen Sack aus Plüsch und Harke, dazu eine Seite Speck auf dem Buckel mitschleppten und zu Fuß über die Grenze marschierten. Sie trugen auch vielfach blaue weite Überhosen, eine Handbreit unten zu kurz, Pünkterhosen, über die eigentlichen Buxen; ihre weiten Blusen heißen Buserune, regendicht, straßengrau. Sie blieben bis zum Herbst fort und arbeiteten bei den reichen holländischen Bauern, sparten ihren Lohn und kamen im Oktober noch abgemagerter noch ausgemergelter zurück. Dann bezahlten die Frauen in den Geschäften des Dorfes ihre unterdessen angehäuften Schulden. …

Man leitet den seltsamen Namen ab von Tjödden, das ist eine Art von Zugvögeln, denn die Kaufleute dieses Namens waren Zugvögel in des Wortes verwegenster Bedeutung.

Die “Tödden” waren keine Kolonisten, keine Auswanderer im üblichen Sinn. Sie waren polypenhafte Ausgreifungen in die formlose Weite, mit allen Wurzeln sich zurückziehend nach ihrem Grundstock, wenn sie ihre Beute irgendwo im Menschenmeer errafft hatten. …

Dazumal lebten und wirkten sie ja alle noch mächtig und trächtig durcheinander: die Tenbrinken, Weller, Rahen, Huster in Eutin, Kümpers, der immens reiche Flake in Leuwarden .. Bietendüwel aus Mettingen, Kramer, Berkemeyer aus Hopsten; … der Seidenhändler Brüggemann in Paris, der alte Schweigmann in Geesthacht, Schröder, Gerdemann in Oldesloe, die Peek und Kloppenburg, die Hettlage und Kompanie, die C und A Brenninkmeyer .. Ohl Voß, der gewaltigste Mijnheer von Amsterdam – Hingegen der Petroleumkönig Riedemann in Hamburg war kein “Tödde”, wie vielfach geglaubt wurde; er stammte von Holte auf dem Hümmling, aber ein um so waschechterer “Tödde” war der fabelhafte Franz Wilmer, der später in Wiesbaden wohnte, dessen Schiffsladungen voll Solinger-Waffen erst den blutigen Aufstand der portugiesischen Kolonien verursachten; … Verschiedene reiche “Tödden” jedoch nahmen gleich westfälische Hauskapläne mit und siedelten samt Familien ganz nach Drontheim, Kurland und höher empor und gingen in fremden Ländern auf. In Litauen traf man noch lang westfälische Namen. Einige solcher “Tödden” sind nur zu vergleichen mit den einstigen Handelsherren von Soest, Münster, Dortmund, der westfälischen Hansa, die schon um 1100 auf der fernen Insel Gotland die Stadt Visby gründeten. 

Quelle: Josef Winckler. Westfälische Dichtungen

Von Rolevinck

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