Von Ralf Keuper

Die Dortmunder Hoesch AG zählte bis weit in die 1980er Jahre zu den größten Stahlkonzernen Europas. 1871 von Leopold Hoesch gegründet, gelang es dem Unternehmen in den folgenden Jahrzehnten, sich neben Krupp, dem Bochumer Verein, Thyssen und anderen Stahl- und Montankonzernen zu behaupten. Im Jahr 1965 beschäftige die Hoesch AG fast 50.000 Mitarbeiter. Zu jener Zeit waren ein Fünftel der arbeitenden Dortmunder Bevölkerung bei Hoesch beschäftigt. Herz des Unternehmens war die Westfalenhütte in Dortmund.

Das Unternehmen während der ersten Nachkriegsjahrzehnte wesentlich geprägt hat Willy Ochel. Die ZEIT feierte ihn als “Sanften Rebellen”. Ochel stand in dem Ruf, ein exzellenter Stratege zu sein. Früher als seine Kollegen und führende Landespolitiker erkannte er, dass die goldenen Zeiten des Bergbaus sich dem Ende entgegen neigten und daher ein radikaler Kurswechsel nötig war. Die ZEIT schrieb:

Daß der langjährige Präsident der Dortmunder Industrie- und Handelskammer hierbei sicherlich auch die Strukturprobleme des Industriereviers an Rhein und Ruhr im Auge hat, entspricht seiner auch übergeordneten Gesichtspunkten verpflichteten Auffassung von unternehmerischer Verantwortung. Gerade diese Einstellung, die in der Industrie noch keine Selbstverständlichkeit ist, legitimiert ihn denn auch, seinem Ärger über die nach acht Jahren noch immer ungelöste Kohlenkrise Luft zu machen. Der sonst eher freundlich-gelassene Mann gerät geradezu in Harnisch, wenn dieses Thema angeschlagen wird. „In all den Jahren ist das Kernproblem immer nur taktisch, nie strategisch gelöst worden.“ Und jetzt seien die Möglichkeiten für einen geordneten Rückzug ganz erheblich zusammengeschrumpft.

Als Ochel 1968 in den Ruhestand ging und in den Aufsichtsrat als dessen Vorsitzender wechselte, begann der Stern von Hoesch zu sinken. Es setzte ein Personalkarussel auf der Führungsebene ein. Zu dem Zeitpunkt beschäftigte Hoesch 52.000 Mitarbeiter, die einen Umsatz von 3,2 Mrd. DM erwirtschafteten. Nach Thyssen war Hoesch der zweitgrößte Stahlkonzern Deutschlands.

Einen Aufschwung erlebte Hoesch unter Detlev-Karsten Rohwedder. Im Dezember 1983 titelte das Manager Magazin: Stahlindustrie. Und es geht doch mit Rohwedder.

Noch im Jahr 1978 sah es um die Zukunft des Unternehmens düster aus:

Als er vor fünf Jahren in den Vorstand einzog, galt Hoesch als erster Pleitekandidat der deutschen Stahlindustrie. Unwirtschaftliche Produktionen an drei Standorten, unzureichende Modernisierungsinvestitionen und ein ebenso sorgloses wie inkompetentes Management hatte dafür gesorgt, dass Hoesch härter von der 1975 einsetzenden Stahlkrise betroffen war als die Konkurrenz.

Hauptursache für die Probleme war die Fusion mit dem holländischen Hoogovens-Konzern, die bereits von Ochel in seiner Zeit als Vorstandschef ins Auge gefasst wurde. Für Hoesch war die Fusion ein großes Verlustgeschäft. Die Holländer wollten “alle Folgen der Stahlkrise auf Dortmund abwälzen”, so der Vorstandschef. Rohwedder befreite Hoesch aus der Abhängigkeit von Hoogovens, wobei er durchaus rustikal vorging.

Nachdem bereits gut 1,5 Mrd. DM bei Hoesch verloren und aus Holland überwiesen worden waren, drohte er damit, die deutsch-holländische Holding Estel in die Pleite zu treiben, falls die Holländer ihn nicht zu akzeptablen Scheidungsbedingungen ziehen lassen würden.

In Zukunft, so Rohwedder in einem Interview mit dem mm, müsse Hoesch sein Geschäftsmodell deutlich wandeln:

Hoesch ist in den letzten 100 Jahren Stahlhersteller gewesen, ein Stahlhersteller mit Weiterverarbeitungsfransen. Das ist falsch, das geht nicht mehr. Die Zeiten ändern sich, und wir müssen ein Unternehmen der Metalle- oder -verarbeitung sein mit einer dafür angemessenen kleinen Stahlbasis.

Eine wesentliche Rolle sollte dabei das Tochterunternehmen Orenstein & Koppel (O&K) übernehmen. Zum Konzern zählte damals das erste Softwarehaus Europas, die Mathematische Beratung- und Programmierdienst GmbH. In den 1980er Jahren war es überdies das zweitgrößte Softwarehaus in Deutschland.

Auf die Frage:

Wollen Sie sich mit Ihrem Unternehmen, das immerhin über eine angesehene Software-Tochter verfügt, auf intelligente Art in der Elektronikbranche engagieren?

antwortete Rohwedder:

In dieser intelligenten Branche ist es im Moment schwer, aber auch notwendig, besonders intelligent zu sein. Vielleicht ist es an der Zeit, sich unter den Schönen des Landes umzusehen. Aber in die Hardware wollen wir nicht.

Der letze Akt war die feindliche Übernahme von Hoesch durch Krupp – die erste ihrer Art in Deutschland im Jahr 1991 (Vgl. dazu: Deutschlands erste feindliche Übernahme). Nachdem Rohwedder an die Spitze der Treuhandanstalt gewechselt war, entstand bei Hoesch ein Führungsvakuum, das Gerhard Cromme, der damalige Vorstandschef von Krupp, ausnutzte, indem er still und leise die Aktienmehrheit an Hoesch erwarb. Hoesch war Geschichte.

Die Erinnerung an das Unternehmen wird im Hoesch-Museum wach gehalten.

Seitdem hat sich die Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur in Dortmund deutlich gewandelt (Vgl. dazu: Einstellige Arbeitslosenquote – Dortmunder “Jobwunder”). Auf dem Gelände des alten Hochofenwerks Phoenix West errichtet derzeit der weltgrößte Pumpenhersteller Wilo seine Smart Factory.

Von Rolevinck

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