Der geplante Abbau von bis zu 280 Stellen beim Bielefelder Fenster- und Fassadenspezialisten Schüco ist keine Reaktion auf eine vorübergehende Konjunkturdelle, sondern Symptom einer strukturellen Krise[1]Schüco baut 280 Stellen ab. Was als kurzfristige Marktanpassung kommuniziert wird, markiert den Beginn eines längeren Anpassungsprozesses in einer Branche, deren Geschäftsmodell durch fundamentale Veränderungen im Wohnungsbau unter Druck gerät. Die Hoffnung auf eine baldige Erholung verschleiert die eigentlichen Probleme.
Der Abbau beginnt – und wird weitergehen
Wenn ein großes mittelständisches Unternehmen wie Schüco ankündigt, sieben Prozent seiner deutschen Belegschaft abzubauen, ist das mehr als eine betriebswirtschaftliche Fußnote. Es ist ein Warnsignal für eine Branche, die sich in einer Umbruchphase befindet, deren Ausmaß noch nicht vollständig erkennbar ist. Die offiziellen Verlautbarungen sprechen von notwendigen Anpassungen an eine „schwierige Marktsituation“ und der Sicherung der „weltweiten Wettbewerbsfähigkeit“. Diese Formulierungen folgen dem üblichen Muster krisenkommunikativer Schadensbegrenzung: Man gibt zu, dass etwas nicht stimmt, vermeidet aber die Einordnung als grundsätzliches Problem.
Dabei liegt die strukturelle Natur der Krise offen zutage. Der deutsche Wohnungsbau befindet sich nicht in einer zyklischen Delle, aus der er in absehbarer Zeit wieder herausfindet. Die Kombination aus gestiegenen Zinsen, explodierten Baukosten, verschärften energetischen Anforderungen und einer veränderten Investitionslogik bei institutionellen Anlegern hat ein Umfeld geschaffen, in dem die Neubauzahlen auf einem Niveau verharren, das deutlich unter dem politisch gewünschten und demografisch begründbaren Bedarf liegt. Die Bundesregierung wollte 400.000 neue Wohnungen pro Jahr – 2024 werden es voraussichtlich weniger als 250.000 sein.
Für einen Zulieferer wie Schüco, dessen Produkte in der Regel in größeren Neubauprojekten zum Einsatz kommen, bedeutet dies einen dauerhaft veränderten Markt. Die Investitionszurückhaltung bei Wohnungsbaugesellschaften, die Insolvenzwelle bei kleineren und mittelgroßen Bauträgern und die Verschiebung oder Stornierung von Großprojekten sind keine temporären Phänomene, die sich mit dem nächsten Aufschwung erledigen. Sie sind Ausdruck einer grundlegenden Neukalibrierung: Wohnungsbau rechnet sich unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen vielfach nicht mehr, und eine schnelle Änderung dieser Rahmenbedingungen ist nicht in Sicht.
Die regionale Dimension: OWL im Strukturwandel
Die Situation bei Schüco fügt sich in ein größeres Bild ein, das die gesamte Region Ostwestfalen-Lippe prägt. OWL ist eine der am stärksten industrialisierten Regionen Deutschlands, geprägt von mittelständischen Unternehmen mit starker Exportorientierung. Viele dieser Unternehmen sind in Branchen tätig, die direkt oder indirekt vom Bausektor abhängen – von der Möbelindustrie über Elektrotechnik bis hin zu Metallverarbeitung und Fensterbau. Wenn eine tragende Säule wie der Wohnungsbau wegbricht, sind die Folgen regional multiplikativ.
Die verschobene Investition in ein neues Werk in Gütersloh ist dabei nicht nur ein betriebswirtschaftlicher Vorgang, sondern auch ein regionalwirtschaftliches Signal. Wenn ein etabliertes Unternehmen wie Schüco Expansionspläne zurückstellt, fehlen der Region nicht nur geplante Arbeitsplätze, sondern auch die damit verbundenen Sekundäreffekte: Aufträge für Zulieferer, Kaufkraft, Steuereinnahmen. Die Metallindustrie in OWL, traditionell ein Rückgrat der regionalen Wirtschaft, meldet verschlechterte Auftragslage und plant Personalabbau – Schüco steht exemplarisch für einen Trend, der die gesamte industrielle Basis der Region erfasst.
Strukturelle Überkapazitäten und strategische Fehlannahmen
Der angekündigte Stellenabbau von 280 Personen, konzentriert auf Verwaltung und Angestelltenbereich, folgt einer bekannten Logik: Zunächst wird dort gekürzt, wo die Auswirkungen auf die unmittelbare Produktion am geringsten sind. Doch diese Zahl dürfte nur der Anfang sein. Wenn sich die Marktsituation nicht fundamental ändert – und nichts deutet darauf hin –, werden weitere Anpassungsrunden folgen. Unternehmen kommunizieren solche Maßnahmen gerne in Tranchen, um soziale Konflikte zu entschärfen und die öffentliche Reaktion zu steuern. Die Realität ist: Bei anhaltend niedrigen Neubauzahlen passen weder die Kapazitäten noch die Kostenstruktur.
Die Hoffnung auf eine langfristig steigende Nachfrage nach Wohnraum, die oft als Trostpflaster bemüht wird, greift zu kurz. Ja, der demografische Bedarf an Wohnungen ist da – aber Bedarf ist nicht gleich Nachfrage. Nachfrage setzt voraus, dass jemand bereit und in der Lage ist, zu den herrschenden Preisen zu kaufen oder zu mieten. Solange die Finanzierungskosten hoch bleiben, die Baukosten nicht sinken und die regulatorischen Anforderungen weiter steigen, wird ein Großteil dieses Bedarfs nicht in realisierte Bauprojekte umgesetzt. Die Schere zwischen notwendigem und tatsächlich realisiertem Wohnungsbau wird sich eher weiter öffnen.
Systemische Fehler im deutschen Bauökosystem
Die Krise bei Schüco ist auch Ausdruck tieferliegender Probleme des deutschen Bausektors. Jahrzehntelang wurde Bauen immer teurer, regulatorisch komplexer und planungsintensiver, ohne dass die Effizienz wesentlich gestiegen wäre. Die energetische Sanierung und der klimapolitische Umbau wurden ohne Rücksicht auf die ökonomischen Konsequenzen implementiert. Das Ergebnis: Bauen ist in Deutschland im internationalen Vergleich außerordentlich teuer, und die Produktivität der Branche stagniert seit Jahrzehnten.
Hinzu kommt eine Investitionskultur, die stark auf Fremdfinanzierung setzt und deshalb extrem zinsabhängig ist. Als die EZB die Zinsen anhob, brach das System zusammen – nicht weil einzelne Akteure versagt hätten, sondern weil das gesamte Modell auf permanent niedrigen Zinsen basierte. Für Zulieferer wie Schüco bedeutet dies: Ihre Kunden haben nicht vorübergehend weniger Geld, sondern deren gesamtes Geschäftsmodell steht zur Disposition.
Keine Entwarnung in Sicht
Die Anpassung bei Schüco ist rational, sie ist notwendig, und sie wird nicht ausreichen. Solange sich die fundamentalen Parameter nicht ändern, wird das Unternehmen weitere Schritte gehen müssen. Die 280 Stellen sind ein Signal an die Belegschaft, an die Region und an die Politik: So geht es nicht weiter. Aber sie sind auch ein Eingeständnis, dass das Unternehmen keine schnelle Lösung sieht.
Die Botschaft für Ostwestfalen-Lippe ist unangenehm: Eine Region, die stark von industrieller Wertschöpfung und Zulieferbeziehungen zum Bausektor abhängt, steht vor einem längeren Anpassungsprozess. Die Hoffnung auf eine Rückkehr zum Status quo ante ist trügerisch. Was kommt, ist nicht Erholung, sondern Transformation – und deren Ausgang ist ungewiss.
References
| ↑1 | Schüco baut 280 Stellen ab |
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