Wilo meldet gute Zahlen und baut dennoch in Dortmund und am Standort Hof Stellen ab. Der Pumpenhersteller zeigt exemplarisch, wie sich deutsche Industrieunternehmen bei international solider Entwicklung vom heimischen Produktionsstandort lösen – und warum positive Konzernbilanzen die strukturelle Krise vor Ort verschleiern.


Der Dortmunder Pumpenhersteller Wilo SE präsentiert für 2024 eine wirtschaftliche Bilanz, die auf den ersten Blick Stabilität signalisiert: 1,895 Milliarden Euro Umsatz, ein bereinigtes EBITDA von 189,1 Millionen Euro mit einer Marge von 10,0 Prozent, und einen operativen Cashflow auf Rekordniveau. Für 2025 peilt das Unternehmen die Zwei-Milliarden-Euro-Marke an. Gleichzeitig reduziert Wilo am Stammsitz Dortmund für mindestens sechs Monate Arbeitszeit und Gehälter der Produktionsmitarbeiter, lässt ausgewählte Beschäftigte mit Austrittsangeboten ausscheiden und spricht intern von „galoppierender Deindustrialisierung“ in Deutschland.

Diese Gleichzeitigkeit ist kein Widerspruch, sondern Ausdruck einer systematischen Entwicklung: Deutsche Industrieunternehmen erwirtschaften ihre Gewinne zunehmend außerhalb ihrer angestammten Produktionsstandorte. Wilo investiert in neue Werke in Indien, China, den USA und Kanada. Die Wachstumsschwerpunkte liegen in Osteuropa, Indien und Nordamerika. Die Internationalisierung ist betriebswirtschaftlich rational – sie entkoppelt jedoch die Konzernperformance von der Beschäftigungsentwicklung am deutschen Standort.

Das Unternehmen selbst benennt die strukturellen Ursachen präzise: Der europäische und deutsche Markt bleibe „verunsichert“, die schwache Nachfrage nach Heizungs- und Wärmepumpenprodukten sei „kein temporärer Effekt“, sondern Folge fehlender politischer Rahmenbedingungen. Die hohe Beschäftigung in Deutschland trage kaum zu Wirtschaftswachstum bei, Industriestellen gingen verloren, Insolvenzen stiegen. Deutschland steuere auf das dritte Rezessionsjahr in Folge zu.

Was Wilo als Branchenproblem beschreibt, ist tatsächlich ein Politikproblem. Die Klimapolitik der vergangenen Jahre hat den deutschen Heizungs- und Baumarkt nicht belebt, sondern weitgehend zum Erliegen gebracht. Die monatelange Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, die Verunsicherung über Heizungsverbote, die explodierenden Kosten für energetische Sanierungen und neue Heizsysteme haben zu einem Investitionsstopp geführt. Hausbesitzer und Bauherren zögern Entscheidungen hinaus, weil unklar ist, welche Technologie in fünf Jahren noch zulässig sein wird und ob sich die Investition rentiert.

Die Kosten für Wärmepumpen, ihre Installation und die notwendigen Begleitmaßnahmen sind so stark gestiegen, dass selbst großzügige Förderprogramme die Wirtschaftlichkeit nicht herstellen können.
Wilo produziert hocheffiziente Pumpen für Wärmepumpen und moderne Heizungssysteme – genau jene Produkte, die politisch forciert werden. Dass diese Produkte in Deutschland keine ausreichende Nachfrage finden, liegt nicht an mangelnder technologischer Reife oder fehlender Förderung, sondern an einer Klimapolitik, die durch Regulierungschaos und Kostenexplosion den Markt erstickt hat. Die Ironie ist evident: Eine Politik, die vorgibt, die industrielle Transformation zu gestalten, zerstört die Nachfrage für genau jene Produkte, die für diese Transformation nötig wären. Wilo erleidet damit die Folgen einer Energiewende, die ihre eigenen Märkte ruiniert.

Die Konzernzahlen verschleiern diese Problematik effektiv. Solange die EBITDA-Marge stimmt und der Cashflow wächst, scheint alles in Ordnung. Für die Beschäftigten in Dortmund und für den regionalen Wirtschaftsraum ist die Lage eine andere: Arbeitsplatzabbau erfolgt nicht durch spektakuläre Kündigungswellen, sondern durch stille Erosion – Austrittsangebote, befristete Gehaltskürzungen, Nichtnachbesetzung von Stellen. Diese Form des Personalabbaus ist politisch geräuscharm, betriebswirtschaftlich flexibel und in ihrer Summe destruktiv für die industrielle Basis.

Ein Blick auf Mitarbeiterbewertungen offenbart die Diskrepanz zwischen Außendarstellung und interner Realität. Während Wilo formal als attraktiver Arbeitgeber gilt – IG Metall-Tarif, überdurchschnittliche Vergütung, moderne Ausstattung –, beschreiben Beschäftigte auf Bewertungsplattformen eine Organisation unter Druck: „Arbeitsatmosphäre: Unsicherheit bis hin zur Angst“, „ständig wechselnde Strukturen, häufiges Wechseln der Vorgesetzten“, „extrem hohe, häufig nicht freiwillige Fluktuation in der Führungsebene“. Wiederkehrend ist die Aussage: „Hauptsache die Zahlen passen“ – während intern Chaos herrsche und man sich nicht vorstellen könne, wie die Ziele erreicht werden sollten. Führungskräfte ohne soziale Kompetenz würden Mitarbeiter „verheizen“, Probleme würden ignoriert, solange die Performance stimme.

Dass die Probleme nicht auf Dortmund beschränkt sind, zeigt der zweite deutsche Produktionsstandort in Hof. Das Werk in Franken gilt als weltweites Kompetenzzentrum für kommunale Wasserwirtschaft und beschäftigt rund 500 Mitarbeiter. Im Oktober 2024 kündigte Wilo auch hier Personalabbau an – in einzelnen Abteilungen sollen etwa 15 Prozent der Belegschaft gehen. Die Begründung ist identisch: „Der Verlierer der Neujustierung der globalen Wertschöpfungsketten ist Europa“, Wilo verlagere Schwerpunkte nach Asien und in die USA. Die Paradoxie ist frappierend: Das Werk hatte erst 2024 die 500-Mitarbeiter-Marke überschritten, offene Stellen stehen weiterhin im Netz, dennoch werden Mitarbeiter zum Gehen gedrängt – gezielt „ältere Kollegen und jene, die oft krank machen“, wie ein Betroffener berichtet.

Der Standort Hof hat eine Geschichte wiederholter Arbeitskämpfe: 2018 streikten 300 Beschäftigte, 2021 legten 200 Mitarbeiter die Arbeit nieder und forderten bessere Bezahlung, 2023 erneut Warnstreik mit der Forderung, endlich mit den Kollegen anderer Standorte gleichgestellt zu werden. Die Belegschaft kämpft nicht gegen Insolvenz, sondern gegen systematische Ausdünnung bei gleichzeitig guter Auftragslage. Das Muster ist eindeutig: Strategisch wichtige Standorte mit Spezialwissen werden personell ausgehöhlt, während der Konzern international expandiert und von Innovationsführerschaft spricht.

Diese Beschreibungen stehen in bemerkenswertem Kontrast zur Selbstdarstellung Wilos als „digitaler Pionier“. Das Unternehmen investierte über 100 Millionen Euro in eine Smart Factory am Dortmunder Stammsitz, die 2022 als „Fabrik des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Wilo erhielt den Microsoft Intelligent Manufacturing Award für seine „Adaptive Worker Assistance“, ein KI-gestütztes System zur individualisierten Werkerführung. Der Konzern betont seinen Anspruch, „im digitalen Zeitalter ganz vorne zu stehen“, und verweist auf vollständige Digitalisierung von Produktionsprozessen, vernetzte Maschinen und durchgängige Datenströme.

Was fehlt, ist die Erkenntnis, dass Digitalisierung mehr ist als technologisches Upgrade. Eine Smart Factory mit vernetzten Maschinen und KI-Assistenzsystemen bleibt wirkungslos, wenn die Organisation dahinter hierarchisch verkrustet, durch permanente Umstrukturierungen destabilisiert und von kurzfristiger Ergebnisoptimierung getrieben ist. Die Mitarbeiterbewertungen beschreiben nicht die Probleme einer rückständigen Firma, sondern die Pathologien eines Unternehmens, das Digitalisierung als Produktionsprozess-Optimierung missversteht, nicht als organisatorischen Wandel. „Ständig wechselnde Strukturen“ und „Unsicherheit bis hin zur Angst“ sind keine Begleiterscheinungen erfolgreicher digitaler Transformation – sie sind Symptome ihrer systematischen Verhinderung.

Wilos Situation ist symptomatisch für eine größere Transformation der deutschen Industrie: Unternehmen bleiben formal am Standort verankert, während sich ihre Wertschöpfungsschwerpunkte geographisch verschieben. Die Konzernzentrale bleibt in Deutschland, ebenso Forschung und Entwicklung, Verwaltung und Management. Die Produktion aber folgt den Märkten – und die wachsen nicht in Dortmund. Das Ergebnis ist eine schleichende Aushöhlung der industriellen Substanz, die sich in Bilanzen und Geschäftsberichten nicht niederschlägt, sehr wohl aber in Beschäftigungszahlen und regionalen Wirtschaftsstrukturen.

Der Fall Wilo zeigt, dass profitable Unternehmen und schrumpfende Industriestandorte keine konkurrierenden Szenarien sind, sondern zwei Seiten derselben Entwicklung. Wilo handelt rational, wenn es in Wachstumsmärkte investiert statt in einen stagnierenden Heimatmarkt, dessen Nachfrage durch Regulierung systematisch abgewürgt wird. Die Verantwortung liegt bei einer Politik, die Transformation verkündet und Märkte zerstört, die Klimaziele setzt und Investitionen verhindert, die Technologiewandel fordert und Kostenexplosionen produziert.

Solange Deutschland weder verlässliche Energiepreise noch stabile Regulierung noch wirtschaftlich darstellbare Transformationspfade bietet, werden auch profitable Unternehmen ihre Produktion verlagern. Die EBITDA-Marge sagt dann nur noch aus, wie gut ein Konzern die Krise seines Heimatstandorts international kompensieren kann. Für die betroffenen Regionen und Beschäftigten ist das kein Trost – es ist die Bestätigung, dass ihre wirtschaftliche Zukunft nicht mehr an die Zukunft „ihrer“ Unternehmen gekoppelt ist.


Quellen:

Ohne Realitätsverzerrung ins Jahr 2025

Schlechte Zeiten für WILO in Dortmund: Mitarbeiter spüren Konsequenzen

„Deutschland erlebt galoppierende Deindustrialisierung“: Pumpenhersteller Wilo in Dortmund baut Stellen ab

Geschäftsbericht 2024 

Editorial zum Geschäftsbericht 2024 – Künstliche Intelligenz und nachhaltiger Impact

https://wilo.com/de/Pioniergeist/Stories/Künstliche-Intelligenz-–-nachhaltiger-Impact-_55936.html

Mitarbeiterbewertungen

Wilo Group Bewertungen auf Glassdoor

https://www.glassdoor.de/Bewertungen/Wilo-Group-Bewertungen-E686958.htm
158 Mitarbeiterbewertungen, 3,6 Sterne

WILO SE Bewertung & Erfahrung auf Trustami

https://www.trustami.com/erfahrung/wilo-se-bewertung

Aggregierte Bewertungen von kununu und anderen Plattformen

Digitalisierung und Smart Factory

Digitaler Pionier | Wilo

https://wilo.com/de/Unternehmen/Profil/Digitaler-Pionier/

Fabrik des Jahres 2022: Wilo für digitale Transformation ausgezeichnet

https://wilo.com/de/de/News-Blog/Rund-um-die-Wilo-Welt/News/Fabrik-des-Jahres-2022-Wilo-f%C3%BCr-digitale-Transformation-ausgezeichnet_19840.html

Innovation bei Wilo: Fertigungsprozesse neu gestalten

https://wilo.com/de/Pioniergeist/Stories/Fertigungsprozesse-neu-denken_41600.html
Microsoft Intelligent Manufacturing Award für „Adaptive Worker Assistance“

Wilopark – Factory

https://wilo.com/de/Unternehmen/Profil/Die-Firmenzentrale/Factory/
Informationen zur Smart Factory

Bericht vom Demonstrationstag Digitale Produktion bei WILO in Dortmund

Pumpenbauer errichtet „Smart Factory“ – Wilo wird digitaler Pionier

https://industrieanzeiger.industrie.de/news/wilo-wird-digitaler-pionier/

Industrie Anzeiger, 9. März 2017

Ein Champion wird sichtbar

https://gwf-wasser.de/branche/27-03-2017-ein-champion-wird-sichtbar/

gwf-wasser.de, 27. März 2017

Standort Hof

Schwacher Heizungsmarkt: Wilo will Mitarbeiterzahl in Hof senken

https://www.frankenpost.de/inhalt.schwacher-heizungsmarkt-wilo-will-mitarbeiterzahl-in-hof-senken.68a9e43b-18ed-4be6-9534-e64217db6c2e.html

Frankenpost, 24. Oktober 2024
Personalabbau in Hof, Verlagerung nach Asien und USA

Für mehr Lohn: 200 Wilo-Mitarbeiter streiken

https://www.frankenpost.de/inhalt.fuer-mehr-lohn-200-wilo-mitarbeiter-streiken.c4c0a1c0-bf2f-4169-ae3b-01139e0ceb7d.html

Frankenpost, 27. Juni 2021
Warnstreik für bessere Bezahlung

Warnstreik in Hof: Wilo-Arbeiter setzen die Arbeit aus

https://www.frankenpost.de/inhalt.warnstreik-in-hof-wilo-arbeiter-setzen-die-arbeit-aus.0c2e4aea-ce6f-4052-8325-3569a19ae8e9.html

Frankenpost, 9. Februar 2023

Warnstreik für Lohnerhöhung und Arbeitszeitreduzierung

Hof: 300 Beschäftigte von Wilo im Streik

https://www.frankenpost.de/inhalt.hof-300-beschaeftigte-von-wilo-im-streik.a00b34ae-47df-4c0f-b273-f426a036e755.html

Von Rolevinck

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