Von Ralf Keuper
Der Philosoph Voltaire, für viele der erste Intellektuelle überhaupt, hat an Westfalen kaum ein gutes Haar gelassen. Literarisch fand sein Spott in der berühmten Erzählung Candide seinen Niederschlag.
Dort heisst es gleich zu Anfang:
In Westfalen auf dem Schlosse des Herrn Baron von Donnerstrunkshausen ward mit der jungen Herrschaft zugleich ein junger Mensch erzogen, ein gar liebes, sanftes Geschöpf, aus dessen kleinstem Gesichtszuge Sanftheit hervorblickte. An Kopf fehlt’ es ihm gar nicht, und doch war er so offen, so rund, so ohn’ alles Arg wie unsre Ahnen. … Der Herr Baron, Hans Jost Kurt von Donnerstrunkshausen, war einer der Matadore in Westfalen, denn sein Schloß hatte Tür’ und Fenster, ja sogar einen austapezierten Saal.
Da stellt sich die Frage, worin die Abneigung Voltaires Westfalen gegenüber ihren Ursprung hat. Eine Erklärung liefert Alfred Voßschulte in seinem Beitrag Westfalen – Stiefkind der Moderne?
Voßschulte berichtet von einer Episode, die sich im Jahr 1744 in Brackwede (heute Ortsteil von Bielefeld) zugetragen hat, als sich Voltaire in einer Kutsche auf dem Weg von Compiégne nach Potsdam befand:
Wie es das Unglück wollte, saß er in Brackwede bei Bielefeld fest. Ob die Kutsche umgefallen oder ähnliches passiert war, jedenfalls zogen ihn die westfälischen Bauern aus dem Dreck und konnten sich vor Lachen nicht halten, als sie den überaus eleganten Franzosen mit Spitzenjabos an den Ärmeln und seidenen Pluderhosen über den Knien, mit verrutschter Perücke auf seinen Schnallenschuhen schimpfend herum sprangen sahen. Das hat ihnen der Voltaire nie vergessen.
An einer anderen Stelle heisst es sogar, Voltaire sei in Brackwede als des “Königs Affe” beschimpft worden.
Voltaires abfällige Äußerungen über Westfalen blieben nicht ohne Widerspruch. So ging Justus Möser, von Goethe auch “Der Patriarch von Osnabrück” genannt, mit Voltaire hart ins Gericht. Möser warf ein, dass Stift Osnabrück, das für ihn das Zentrum Westfalens war, habe mehr Einwohner pro qm als Frankreich, wobei es sein Ackerland deutlich ertragreicher nütze. Auch seien die Menschen in Westfalen arbeitsam, wahrhaftig und gesund.
Teile davon finden sich auch in Mösers Aufsatz Schreiben eines reisenden Parisers an seinen Wirt in Westfalen aus den Patriotischen Phantasien.
Gut möglich, dass verletzte Eitelkeit der Grund für Voltaires Spott über Westfalen und seine Bewohner war. Auch oder gerade Intellektuelle sollen davon nicht frei sein 😉
Weitere Informationen:
Voltaires Urteil über Westfalen
Zeitgenössische Ansichten über die Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in den
westfälischen Territorien in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts
„0 abscheuliches Westfalen.”’ Voltaire, Friedrich 11. und Westfalen