Von Ralf Keuper
Das Buch zum Lobe Westfalens, häufig auch verkürzt Westfalenlob genannt, von Werner Rolevinck ist die älteste Kulturgeschichte einer deutschen Landschaft. Rolevinck, der aus dem münsterländischen Laer stammte, verbrachte die meiste Zeit seines Lebens als Kartäusermönch in Köln. Er war ein für seine Zeit ausgesprochen produktiver Verfasser, vorwiegend theologischer, Schriften. Auslöser für das Buch zum Lobe Westfalens war nach Aussage Rolevincks, das, wie man heute sagen würde, schlechte Image Westfalens im 15. Jahrhundert. Rolevinck sah sich daher genötigt, mit bestimmten Stereotypen aufzuräumen, jedoch nicht ohne seinerseits neue hinzuzufügen.
Trotzdem handelt es sich bei dem Buch keinesfalls um bloße Lobhudelei. Rolevinck verfügte, gemessen an seiner Zeit, über ein recht differenziertes Bild der Zustände in Deutschland während des 15. Jahrhunderts. Das größte Problem Westfalens zu jener Zeit war, dass viele Bewohner gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, um anderswo ihr Glück zu versuchen. Daher konnte man Westfalen von Gotland bis nach Italien antreffen. Viele von ihnen wurden geachtete Bürger in ihrer neuen Heimat. Seiner Ansicht nach war es die Pflicht jedes Westfalen, sich fern der Heimat ganz zum Wohle des Gemeinwesens einzusetzen. Ein Phänomen, das man noch immer beobachten kann. So tauft Rolevinck ein Kapitel im Westfalenlob mit der Überschrift: Die hohe Sendung der Westfalen in der Welt. Die ersten Sätze lauten:
Wenn ich von der großen Rechtschaffenheit der Westfalen und ihrer in aller Welt bewährten Tüchtigkeit schreiben soll, weiß ich kaum, was ich zuerst erzählen soll. Das Beste wird sein, nach dem Vorbild anderer, zunächst die sprichwörtlich westfälische Treue hervorzuheben. Von meinen Kinderjahren an hörte ich nämlich immer und immer wieder von anderen Völkern den Aussprach: „Oh du treuer Westfale!“.
Bis in unsere Zeit hinein kursiert der Spruch: Westfalen halten, was andere versprechen.
Obschon Westfalen zu jener Zeit über keine eigene Universität verfügte, kannte der Bildungshunger der Westfalen keine geografischen und fachlichen Grenzen.
Tatsächlich war es so, dass viele namhafte Forscher im Mittelalter aus Westfalen stammten, wie der erste regens doctor der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, Hermann von Höxter. Weitere Forscher des Mittelalters aus Westfalen waren u.a. Otto Tachenius, Johannes Wesling, David Gans, Johannes Althusius, Gobelin Person, Dietrich von Nieheim und Tilemann Stella. Aber auch in Westfalen wirkten einige herausragende Gelehrte, wie Reinher von Paderborn an der Domschule Paderborn.
Ein weiteres Kapitel berichtet von der Zähigkeit und Ausdauer der Westfalen, ein anderes von der Verwandtschaft Westfalens mit anderen Ländern, wobei er auch hier nicht mit Lob spart. Der Lobgesang ist zumindest nicht völlig an den Haaren herbeigezogen, wie u.a. die Beispiele der Westfälischen Kaufleute der Hanse und der Westfälischen Ordensritter und Landmeister zeigen. Später kamen, wie in anderen Regionen Deutschlands auch, die Auswanderer in die Neue Welt hinzu, worüber man sich auf Amerikanetz vollumfänglich informieren kann.
Das Buch enthält im weiteren Verlauf einige Lebensweisheiten und philosophische Gedanken, die auch heute noch lesenswert sind.
Natürlich ist das Buch nicht frei von Verzerrungen und Glorifizierungen, insbesondere was die Rolle der Kirche betrifft. Jedoch ist es für seine Zeit ein ausgesprochen informatives und gut lesbares Werk, welches das Wesen der Landschaft und ihrer Bewohner an einigen Stellen nach wie vor erstaunlich realitätsnah beschreibt. Kurzum: Die Lektüre lohnt noch immer – nicht nur für Westfalen.