Von Ralf Keuper

Der Steinhäger ist eine Spirituose, die über Jahrhunderte ausschließlich im Ort Steinhagen, im Kreis Gütersloh gelegen, hergestellt wurde. Um die Ursprünge dieses alkoholischen Getränks ranken sich Mythen und Legenden. So soll ein Schäfer vor 500 Jahren beobachtet haben, dass die Schafe, wenn sie sich unwohl fühlten, vergorene Wachholderbeeren fraßen.

Die Schäfer machten es den Tieren nach und sammelten die Beeren, pressten sie und destillierten daraus den sogenannten Wacholderlutter, ein Heilmittel gegen Leib- und Magenbeschwerden. Später versetzten sie das leicht alkoholische Konzentrat mit Kornalkohol und brannten es noch einmal: Das war die Geburtsstunde des Steinhägers. Der im Gegensatz zum Gin oder Genever doppelt gebrannte Wacholderschnaps wurde bald über Steinhagen hinaus bekannt und startete Anfang des 20. Jahrhunderts seinen Siegeszug (in: Doku am Freitag: Dynastien in NRW – Die Schnapsbrenner aus Steinhagen – Familie Schlichte).

Zu Spitzenzeiten, während der 1950er und 1960er Jahre, arbeiteten in den 20 Brennereien Steinhagens 3.000 Menschen. Seit den späten 1980er Jahren ging der Absatz der Brennereien, unter denen Schlichte und König die größten waren, zurück. Grund dafür ist das Marketing, d.h. man hatte es versäumt, dem Getränk ein passenderes, moderneres, jugendlicheres Image zu verpassen.

Im Jahr 1985 legten Schlichte und König ihre Unternehmen zusammen, wie der Spiegel in Gegen den Trend berichtete.

Der nun eingeleitete Zusammenschluß ist der vorläufige Endpunkt einer lokalen Tradition, die bereits im Mittelalter ihren Anfang nahm. Der Überlieferung zufolge wurde der Steinhäger zunächst als Heiltrank gebraut. Denn die Wacholderbeeren, so die damalige volksmedizinische Weisheit, “fördern den Schweiß und die Dauung, stärken den Magen, machen einen lieblichen Atem und sind gut in der Colic, auch gegen Blasen- und Nierensteine”.

Der Abstieg begann laut Spiegel bereits in den 1970er Jahren:

Der Niedergang der einst renommierten Steinhäger hatte daher schon vor den letzten happigen Steuererhöhungen begonnen. Seit 1970 sank der Absatz des mit Wacholderbeeren aus der Toskana doppelt und dreifach gebrannten Steinhägers um deutlich mehr als die Hälfte.

Das fusionierte Unternehmen Schlichte & König wurde 1990 von Berentzen übernommen, die sich jedoch bereits einige Jahre später wieder davon trennten und an Schwarze aus Oelde verkauften (Vgl. dazu: Steinhagen und Wacholderbeeren). Die Produktion wurde komplett nach Oelde verlagert. Das Unternehmen heisst seitdem Schwarze und Schlichte. Das ehemalige Gebäude der Firma Schlichte wurde umgebaut und unter Denkmalschutz gestellt (Vgl. dazu: Blick in die umgebaute Brennerei Schlichte). Es wird als Historisches Museum genutzt. Am Eingang werden die Besucher von einem großen Urkönig-Schnapskrug begrüßt (Vgl. dazu: Pinnchen für 275 Liter Schnaps). Im Jahr 2011 kehrte das Original-Schinkenbild nach Steinhagen zurück (Vgl. dazu: Original Schinkenbild wieder da).

In Der Steinhäger schreibt Josef Bergenthal:

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg ließ sich von den guten Wirkungen des Steinhagener Wacholderbranntweins überzeugen und gab im Jahre 1688 dem Dorfe Steinhagen die Genehmigung “Steinhäger” auch über den eigenen Bedarf hinaus zu brennen. Das wir im Grunde eine gewerbliche Genehmigung, die für Steinhagen dieselbe Bedeutung bekommen sollte, wie für Dortmund die Bierkunde, die den Dortmundern erlaubte, Gruppier zu brauen. Der Steinhäger verbreitete sich mehr und mehr in der Nähe und in der Ferne, und immer ging ihm der Ruf voraus, bekömmlich und für die Gesundheit förderlich zu sein. Als in absolutistischer Zeit der Gedanke auftauchte, den Branntwein ganz zu verbieten, machte sich der berühmte Osnabrücker Staatsmann und Schriftsteller Justus Mörser Gedanken darüber, was an Stelle des Verbotenen treten könnte, und der kam zu der interessanten Überlegung: “Sollte Wacholder, der zu Steinhagen im Ravensbergischen in so vortrefflicher Weise bereitet wird, wovon ein Tropfen mehr als ein Glas Fusel wirkt, die Stelle ersetzen? Das ist – aus diesem Munde – ein hohes Lob für den alten Steinhäger.

Im Ausland, insbesondere im spanisch-sprachigen Raun, genießt der Steinhäger als eine Art Kultgetränk einen gewissen Status.

Von Rolevinck

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