Von Ralf Keuper

Im Jahr 1972 war die Lage beim Harsewinkeler Landmaschinenhersteller Claas so bedrohlich, dass die damalige NRW-Landesregierung das Unternehmen mit einer Bürgschaft in Höhe von 40 Mio. DM stützen musste. Ohne die Bürgschaft wäre Claas in die Insolvenz geschlittert.

Das manager magazin berichtete im September 1972 in Gebr. Claas. Familienstreit bis zur Krise über die ernste Lage, in welche die Familienstämme das Unternehmen gebracht hatten. Während der 1960er Jahre hatten die zwölf Familiengesellschafter 200 Mio. DM aus der Firma gezogen, statt das Geld oder einen Teil davon zu investieren. Besonders die Tatsache, dass die Erst- und Zweitgeborenen der Gründer das Unternehmen quasi als Geburtsrecht leiteten, sorgte nach Ansicht der Kommentatoren zu einem Missmanagement, welches das Unternehmen fast die Existenz gekostet hätte. Walter Claas, einer der Erstgeborenen und damals in der Geschäftsführung zuständig für den Absatz, attestierte seinem Vetter Helmut recht unverblümt:

Ich bin nicht in der Lage, das Unternehmen zu leiten. Du, Helmut, bist es auch nicht. Du weisst es nur noch nicht.

Im Jahr 1969 wurde Dr. Ursula Brinkmann zur neuen Finanzchefin von Claas ernannt. Brinkmann war zuvor Geschäftsführerin bei Massey Ferguson GmbH. “Als die Finanzchefin Mitte 1969 bei Claas antrat, fand sie weder Kostenrechnung noch Organisationsplan vor. Marktführer Claas kalkulierte seine Mähdrescher nach Kilogramm und dem Wettbewerb. Das buchhalterische Zahlenwerk war meist in Unordnung. Erst sieben Monate nach Ende jedes Geschäftsjahres lagen die Bilanzen vor. »Claas manövrierte im Blindflug«, sagte die Brinkmann. Gesellschafter Helmut Claas sieht das anders: »Wir steuerten nach Erfahrung«”. 

Brinkmann und der damalige Aufsichtsratsvorsitzende, Rechtsanwalt Dr. Manfred Streitbörger aus Bielefeld, mussten bei den Banken für neue Kredite regelrecht betteln. Trotz der finanziellen Schieflage von Claas, forderten die Gesellschafter weiterhin Millionen. Ursula Brinkmann resignierte letztendlich, da all ihre Versuche, gesellschaftsrechtliche Hürden, die eine Finanzierungszusage der Banken verhinderten, aus dem Weg zu räumen, am Widerstand von Helmut Claas scheiterten. Im Dezember 1971 reichte Brinkmann ihre Kündigung ein.

Die Forschungsabteilung unter der Leitung von Helmut Claas war eine einzige Katastrophe: “Ein rationelles .. Forschungsprogramm hat Helmut Claas, bis zum 23. August 1971 Entwicklungschef und Sprecher der Geschäftsführung, nie aufgestellt. .. Ein Fiasko bereitete der dilettantische Forschungschef, der sich energisch jede Kritik an unter seiner Leitung entwickelten Modellen verbat, der Gesellschaft mit dem Dominator 80 noch kurz vor seinem Abtritt. Dieses Modell sollte den Anschluss an gefragte schwere Mähdrescher doch noch erzwingen. Der Dominator war jedoch nicht durchkonstruiert. Er hatte erforderliche Feldtests nicht absolviert. Überstürzt erteilte Claas dennoch die Verkaufsfreigabe. Die Mähdrescher brachen im Ernteeinsatz 1971 reihenweise zusammen. Rund 1.200 Mähdrescher müssen für einen zweistelligen Millionenbetrag umgebaut werden”.

Auf Druck der Landesregierung und der Banken legten alle Familienmitglieder ihre Führungsämter nieder. Mit der Sanierung beauftragt wurde Hermann Hermes. Hermes hatte die Unterstützung des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden, Rechtsanwalt Alfred Ende aus Münster, der auf Konkurse in der Landmaschinenindustrie spezialisiert war. Seinen Ruf als harter Sanierer hatte sich Hermes zuvor bei einem Tochterunternehmen von Fichtel & Sachs erworben.

Bereits im Jahr 1973 konnte Hermes, begünstigt durch die gute Landmaschinenkonjunktur, einen Bilanzgewinn ausweisen, bis 1976 sogar den Verlustvortrag von 90 Mio. DM tilgen, so das manager magazin in seiner Ausgabe vom Juni 1983 (Das Comeback des Clans).

Er baute die teuren kurzfristigen Kredite ab, tilgte die landesverbürgten Darlehen vorzeitig und steigerte den Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme bis 1977 wieder auf gesunde 42 Prozent.

Nachdem sich Firmenpatriarch August Claas endgültig auf sein Altenteil zurückgezogen hatte, übernahm dessen Sohn Helmut Claas im September 1975 das Technik Ressort. Drei Jahre später verdrängte Helmut Claas den erfolgreichen Sanierer Hermes aus dem Unternehmen und übernahm fortan selbst den Chefsessel. Gehen musste auch der Controller Norbert Lorentz, den die Banken und Aufsichtsräte installiert hatten.

Übrigens: Schon in den 1960er und 1970er Jahren litt Claas unter einer ungewöhnlich hohen Fluktuation in der Führungsetage. “Jeder engagierte Manager wurde mit Vorschusslorbeer als Retter Harsewinkels begeistert empfangen und spätestens nach zwei Jahren enttäuscht verabschiedet. Diese mangelnde Kontinuität an der Unternehmensspitze ist für den Umfang der Claas-Krise mitentscheidend“.

Von Rolevinck

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