Von Ralf Keuper
Noch heute weitgehend unbekannt ist, dass der nach wie vor größte Flugzeughersteller der Welt deutsche, genauer gesagt, westfälische Wurzeln hat. Die Lebensgeschichte von Wilhelm Böing, Vater des Gründers der Boeing-Flugzeugwerke, William Boeing, ist daher ein Gegenstand der sehenswerten Film-Dokumentation Vom Pionier zum Millionär: William Boeing.
Wilhelm Böing wurde nur 41 Jahre alt, brachte es aber binnen weniger Jahre zu beachtlichem Wohlstand. Er gehörte der führenden Gesellschaftsschicht der Stadt Detroit an. Sein Vermögen machte er, der aus einer der führenden Unternehmerfamilien des Sauerlandes stammte, im Holzhandel. Dabei stieß er auch auf große Bodenschätze, das Taconit.
Sein Sohn William, der den Vater zeitlebens nacheiferte, begann seine unternehmerische Laufbahn nach dem Internat in der Schweiz und einem Studium an der Elite-Uni Yale wie sein Vater im Holzhandel, jedoch an der Westküste der USA. Nachdem er dort ein großes Vermögen erwarb, siedelte er sich in Seattle an, damals schon eine der lebenswertesten Städte der USA. Im elitären Universitätsclub der Stadt machte er die Bekanntschaft mit dem Ingenieur George Conrad Westervelt. Zuvor hatte Boeing auf der ersten Flugschau der USA in Kalifornien seine Leidenschaft für die Fliegerei entdeckt, die ihn nicht mehr loslassen sollte.
Zusammen mit Westervelt gründete er Boeing & Co. Das erste Testflugzeug flog Boeing gleich selbst, da der Pilot nicht auftauchte. Ein großer medienwirksamer Erfolg.
Der geschäftliche Durchbruch gelang Boeing im ersten Weltkrieg durch einen Regierungsauftrag zur Herstellung von 50 Flugzeugen für die US-Armee. Nach dem Ende des ersten Weltkrieges geriet Boeing & Co. in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten, was zu einem drastischen, in die heutige Sprache übertragen: Personalabbau führte. Um- und weitsichtig wie er war, wandte sich Boeing dem Post-Luftverkehr zu. Durch den Zuschlag für die größte Post-Luftverbindung in den USA, die Strecke San Francisco – Chicago, gelang Boeing der Befreiungsschlag und der Einstieg in die zivile Luftfahrt.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise gerieten die Betreiber des Post-Luftverkehrs in die öffentliche Kritik. So musste sich Boeing 1934 vor einem Untersuchungsausschuss in Washington den Vorwurf anhören, er hätte seine Macht missbraucht und illegale Absprachen getroffen, um an die lukrativen Aufträge zu gelangen. Seine Entgegnung, dass er seine Aufträge aufgrund herausragender Qualität und großer Risikobereitschaft gewonnen habe, und nicht wegen dubioser Praktiken, wurde ignoriert.
Das war dann zuviel für Boeing, der sich noch im selben Jahr aus dem Unternehmen zurückzog und fortan als Privatier lebte.
Eine der interessantesten Stellen des Films ist das Gespräch mit dem Chef-Historiker des Boeing-Konzerns, der aus der Gründungsurkunde von Boeing & Co. vorliest. Darin schon sprach Boeing von Flughäfen und vom zivilen Luftverkehr, der die Welt verändern werde, zu einem Zeitpunkt, als der Durchbruch der Luftfahrt alles andere als gewiss war.
Heute würde man wohl Visionär dazu sagen.
Weitere Informationen:100 Jahre Boeing