Von Ralf Keuper
Über die Gründe für die rasante Talfahrt des BVB in dieser Saison und die konstant schlechten Leistungen der Mannschaft mag noch in Monaten, Jahren gerätselt werden. 
Indes tritt immer deutlicher zum Vorschein, dass das eigentliche Problem bei der Vereinsführung, dem Aufsichtsrat und dem Trainer anzusiedeln ist. In einer Art Symbiose scheint man sich hier gegen die Außenwelt abzuschirmen und die Realität zu verdrängen. Nicht zu Unrecht spricht der Philosoph Wolfram Eilenberger in einem Interview von der Dortmunder “Romantik” der schlechten Art
Wie sonst ist es zu erklären, dass Führung und Aufsichtsrat dem schleichenden Zerfall der Mannschaft tatenlos zusehen, und sogar noch, wie Jürgen Watzke, dem Trainer öffentlich eine Beschäftigungsgarantie geben, komme, was wolle? Im vergangenen Jahr verlängerte Watzke, ohne große Not, den Vertrag mit Klopp bis zum Jahr 2018 – ein klarer Managementfehler.
In dem fast schon zwanghaften Bemühen, sich vom FCB abzugrenzen, macht man beim BVB einen auf Kumpeltour, so als handele es sich um einen Sportverein, der sich aus Wochenendfussballern zusammensetzt – quasi eine Thekenmannschaft mit gehobenen spielerischem Anspruch. Von Kommerz keine Spur – es zählt allein der Zusammenhalt – “Echte Liebe” – man könnte auch schlicht von Nibelungentreue sprechen. 
Das ist für einen Fussballverein, der, noch dazu als einziger börsennotierter in Deutschland, den knallharten Gesetzen des Marktes unterliegt, nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch mit Blick auf die “Immateriellen Werte” des Vereins unverantwortlich. Nur wenige Vereine verfügen über eine so große Symbolkraft für die Region und ihre treuen Fans, wie der BVB 09. Das alles wird m.E. derzeit fahrlässig aufs Spiel gesetzt. 
Eine Mannschaft mit dem Spieler-Potential, kann und darf nach so viel Spieltagen nicht am Tabellenende festsitzen. Wenn der Trainer für die Erfolge der Vergangenheit verantwortlich ist, so ist er es auch für die Mißerfolge der Gegenwart. Die Entschuldigungen der Hinrunde, wie das Verletzungspech, haben keine Gültigkeit (mehr). Überhaupt fällt die Verletzungsmisere beim BVB aus dem Rahmen, so dass Fragen nach der Qualität der medizinischen Abteilung berechtigt erscheinen. Das ist nicht nur, aber auch, eine ökonomische Frage, da die Spieler das größte Kapital des Vereins sind. 
Hier besteht akuter Handlungsbedarf. Der Trainer darf keine heilige Kuh sein. Klopp hat als Trainer seinen Zenit beim BVB überschritten. Sein Spielstil hat sich, wie Wolfram Eilenberger zu Recht feststellt, seit drei Jahren nicht mehr entscheidend weiter entwickelt. Die Abhängigkeit vom Trainer ist schlicht zu groß.
Das ist übrigens etwas, was man vom FCB lernen kann: Nach drei Jahren, spätestens, wird der Trainer, auch beim größten Erfolg, ausgewechselt, damit sich erst gar nicht ein bestimmter Stil festsetzen kann, der den Anforderungen nicht mehr gerecht wird. So bleibt die Mannschaft flexibel, in Bewegung. Neue Spieler können so besser integriert werden. Cliquenbildung ist hier deutlich schwerer. 
Daran könnte sich auch der BVB orientieren, ohne den FCB 1:1 zu kopieren. Durch den Zwang, unbedingt anders als der FCB sein zu wollen, ist der BVB in die Sackgasse geraten. Sich auf Wortgefechte mit der Führung des FCB einzulassen, war schon immer kontraproduktiv. Das ist genau das, was Rummenigge und & Co. wollen. Es ist mir unverständlich, weshalb Watzke, Zorc und Klopp so darauf eingestiegen sind. 
Noch mal: Es besteht dringender Handlungsbedarf, ehe die Mannschaft und der Verein auseinander fallen. Die Trainerfrage darf nicht länger sakrosankt sein.
Rauball ist gefordert. 

Es ist schon ziemlicher Unfug, wenn die Welt schreibt, Klopp sei nach wie vor unersetzlich, so als hätte er an der Misere gar keinen Anteil; als würden hier finstere Mächte ihr Spiel mit dem BVB treiben. Das ist schon kollektive Realitätsverweigerung, wie sie in den Medien nicht unüblich ist. Dass ein neuer Trainer der Mannschaft nicht helfen könne, ist lediglich eine Behauptung. Wäre Udo Lattek damals nicht noch gerade rechtzeitig erschienen und hätte er die mediale Aufmerksamkeit nicht auf sich gezogen; der BVB wäre abgestiegen. Die Mannschaft war seinerzeit von ähnlicher Qualität wie die heutige. 
Es ist überhaupt erstaunlich, wie unkritisch sich die meisten Medien gegenüber Klopp verhalten, wie neben der Welt auch die FAZ. Sind das Denkblockaden? Will man sich nicht eingestehen, einen Trainer hoch geschrieben zu haben, der doch nicht über Wasser laufen kann und dem schon seit Monaten nur noch platte Durchhalteparolen einfallen? Scheinbar trifft man sich auf demselben Niveau, nach dem Motto: Es gibt keine Alternative!
Doch, die gibt es immer – gerade im Fussball. 
Daher noch einmal: Der Trainer und die Führung sind das Problem. Etwas anderes zu behaupten ist absurd, geradezu kafkaesk. Das geht ja nicht einmal mehr in der Wirtschaft durch; eine Logik der folgenden Art: Die Mitarbeiter, Spieler sind einfach zu doof, die geniale Strategie der Führung umzusetzen. 
Klopp sucht den Fehler nach wie vor überall, nur nicht bei sich selbst. Ein wirklich großer Trainer spricht und handelt anders. 
Wenn Klopp wirklich keine Verantwortung trägt, dann brauchen wir auch keinen Trainer mehr; ein Übungsleiter und Hütchen-Aufsteller auf 400 Euro-Basis, ein Feng-Shui-Berater oder ein Motivationskünstler reichen völlig 😉

Weitere Informationen:

“Der BVB kommt immer einen Schritt zu spät”

Update 03.07.2015:
Die Handschrift des neuen Trainers Thomas Tuchel wird immer sichtbarer. Es scheint, als hätte sich in den letzen Jahren einiger Schlendrian eingestellt. Die Auswechslung des langjährigen Hoflieferanten möge da nur der Anfang sein. Weiter so!

Update 28.07.2015:

Aufschlussreich: Borussia Dortmund: Fast alles neu mit Thomas Tuchel

Bei Klopp waren nach sieben Jahren BVB viele Dinge eingefahren. Die Abläufe waren bekannt, die Trainingsstunden verliefen immer nach demselben Schema. Klopp ließ seine Co-Trainer die Parcours aufbauen und seinen taktischen Mastermind Zeljko Buvac als “Drill Instructor” auf seine Spieler los. Gefilmt wurde die Einheiten nur vereinzelt.

Das scheint Watzke und Zorc entgangen zu sein …

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Stilwandel bei Borussia Dortmund – Von Klopp zu Tuchel: So funktioniert der neue BVB

Die Sehnsucht des Marco Reus nach der neuen Zeit

Reus ist das Paradebeispiel für einen Profi, der sich einen Trainerwechsel herbeigesehnt hatte. Nach drei Jahren unter Jürgen Klopp hatte er zunehmend das Gefühl, neue Impulse zu benötigen und nach Möglichkeit in einem Team zu spielen, das sich fußballerisch weiterentwickelt, auch andere Facetten des Spiels zeigt. Wie alle Borussen vermeidet er zwar sämtliche Vergleiche zwischen Tuchel und dessen Vorgänger – doch es sind die Zwischentöne, die darauf hindeuten, dass er die jüngste Entwicklung beim BVB befürwortet.

“Jeder Trainer hat unterschiedliche Meinungen, wie zu spielen ist. Da unterscheiden sich viele Trainer. Gegenpressing gehört dazu, aber im heutigen Fußball ist es so, dass eigentlich alles dazugehört, dass man alles beherrschen muss”, sagte er. Mit anderen Worten: Es gehe aktuell um eine Weiterentwicklung der stilistischen Eigenarten des BVB – und Reus brennt darauf.

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