In einer ostwestfälischen Kleinstadt baute Herbert Köllner in den 1970er und 1980er Jahren einen der größten deutschen Strukturvertriebe auf. Die Geschichte der Harsewinkeler „Jugendsparberatung“ ist ein Lehrstück über die Mechanismen einer Branche, die bis heute nach einem ähnlichen Muster funktioniert.
Herbert Köllner, Jahrgang 1947, nannte seine Firma verschämt „Jugendsparberatung“. Im Hauptberuf verkaufte der Herausgeber eines „Magazins für junge Leute“ Versicherungen. Innerhalb von zehn Jahren baute er eine der größten deutschen Vermittlungsfirmen auf. Die Zentrale residierte in Harsewinkel, einer Kleinstadt im Kreis Gütersloh. Von hier aus koordinierte Köllner ein Netz von fast vierzig Bezirksdirektionen zwischen Aachen und Nürnberg. Seit 1968 vermittelte die Jb rund 225.000 Versicherungsverträge im Wert von fast vier Milliarden Mark.
Geschäftspartner waren renommierte Firmen: die Karlsruher Versicherungen, die Erste Allgemeine Versicherungs AG, die Victoria-Gilde. Auch für die Colonia Bausparkasse, das Beamtenheimstättenwerk und die Bank für Gemeinwirtschaft wurden die Harsewinkeler tätig.
Die Verkaufsmethode
Der Erfolg kam nicht von ungefähr. Er war das Ergebnis einer Verkaufsmethode, die der SPIEGEL 1980 als „knallhart“ bezeichnete. Von Versicherungen war zunächst keine Rede, wenn die Vermittler bei den Kunden anklopften. „Beim Termingespräch darf auf keinen Fall die Katze aus dem Sack gelassen werden“, hieß es in den internen Anweisungen. Man komme „im Rahmen der berufsständischen Jugendarbeit“.
Im Laufe eines lockeren Gesprächs wurde den jungen Leuten etwa ein „Jet-Brief“ angeboten, eine „sinnvolle Kombination für die große Kapitalbildung“. Mit diesem Produkt, so behauptete Köllners Truppe, habe man eine Möglichkeit gefunden, den starren Auszahlungsrhythmus der staatlich geförderten Vermögensbildung zu umgehen. Das stimmte sogar. Nur wenige Kunden merkten, dass der monatliche Aufwand etwa dreimal so hoch war wie bei einer normalen Anlage. Der „Jet-Brief“ war nichts anderes als die Kombination eines einfachen Bausparvertrages mit einer Lebens- und Unfallversicherung.
Das System
Die Provisionsstruktur offenbarte das eigentliche System. Während Köllner von den Versicherungsunternehmen bis zu 41,5 Promille der Abschlußsumme erhielt, bekamen seine Vertreter lange Zeit nur 13 Promille; später 20 Promille. Selbst stornierte Verträge brachten der Zentrale Geld ein – mehr sogar als üblicherweise. Denn die Vertreter mussten ihre Grundprovision zurückzahlen, während Köllner einen Anteil behielt.
Aus diesem Grund ließ Köllner auch unsichere Kunden drängen, Verträge vor Ablauf des ersten Jahres zu stornieren. Die Anweisung lautete: „Ein Vertrag, der nicht zu halten ist, muß im ersten Jahr raus.“
Mit einem System von Preisen und Auszeichnungen – von der Silbernen Ehrennadel bis zur Verdienstmedaille – sorgte die Zentrale dafür, dass sich die Vertreter „voll ins Geschirr“ legten. Tausende junger Leute wurden so zu Vermittlungsgehilfen, immer die Karriere im Blick. Nach einigen Monaten stiegen viele enttäuscht wieder aus.
Die Durchsuchung
Am 24. Juli 1980 ließ die Staatsanwaltschaft Bielefeld die Firmenzentrale in Harsewinkel und einige Bezirksdirektionen durchsuchen. Material wurde beschlagnahmt. Mehrere Jb-Vertreter zogen vor Gericht. Köllners System, meinte ein Bremer Rechtsanwalt, der einige der Geprellten vertrat, sei „darauf ausgerichtet“, die Vertreter „umfassend am Risiko zu beteiligen und ihnen möglichst wenig Verdienst zukommen zu lassen“.
Die Versicherungsbranche ließ Köllners Agentur gleichwohl ohne laute Kritik arbeiten. Seit jeder Bundesbürger statistisch fünf Versicherungen besaß, waren tüchtige Zulieferer willkommen. Die Unternehmen hatten sich oft allzu eng mit den großen Vertriebsfirmen liiert. Das Vorstandsmitglied Hans-Joachim Großmann von der Karlsruher Versicherungsgruppe gestand: „Wir würden uns von der Jb nur schwer trennen können.“
In Harsewinkel selbst war Köllner unterdessen als Förderer des lokalen Vereinslebens bekannt. Die III. Kompanie des Bürgerschützenvereins erhielt 1980 eine Standarte aus seiner Stiftung.
Badenia
Die Jugendsparberatung überlebte den Skandal. In den neunziger Jahren wandelte sich das Geschäftsmodell. Aus dem Versicherungsvertrieb wurde ein Immobilienvertrieb. Die Köllner & Co. KG, nun auch Köllner-Gruppe genannt, wurde neben Heinen & Biege zu einem der zentralen Vermittler im sogenannten Badenia-Skandal – einem der größten Anlageskandale der Bundesrepublik.
Das System funktionierte so: Köllner und andere Vermittler verkauften Kleinanlegern mit niedrigen Einkommen Eigentumswohnungen als scheinbar rentable Kapitalanlagen. Den Käufern wurde suggeriert, die Investitionen seien durch Mieteinnahmen und Steuerersparnisse selbsttragend. Die Finanzierung übernahm die Badenia Bausparkasse. In den neunziger Jahren wechselten auf diese Weise über 8.000 Wohnungen den Besitzer. Die Kaufpreise erwiesen sich als überhöht, die Mieten blieben aus.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelte gegen Badenia-Manager wegen des Verdachts auf Anlegerbetrug.
Ein weiterer Fall
Ein Maurer aus Gütersloh namens Hans-Albert Gröning hatte eine vermietete Wohnung in Springe für 106.700 Euro erworben, die ihm als Altersvorsorge empfohlen worden war. Das Landgericht Bielefeld verurteilte Köllner zur Rücknahme der Immobilie: Die Beraterin hatte verschwiegen, dass der Mietpool seit Jahren Unterdeckungen aufwies. Das Oberlandesgericht Hamm wies Köllners Berufung ohne mündliche Verhandlung zurück.
Nachspiel
Rund hundert Klagen gingen zwischen 2000 und 2008 gegen Köllner verloren oder wurden verglichen. Die Stiftung Warentest warnte seit 2005 vor den „dubiosen Köllner-Angeboten“. Am 12. Dezember 2008 ordnete das Amtsgericht Bielefeld die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an – sowohl über das Vermögen der Köllner & Co. KG als auch über das Privatvermögen von Herbert Köllner persönlich.
Die von Herbert Köllner gestiftete Standarte der III. Kompanie wird übrigens weiterhin mitgeführt.
Quellen:
Primärquellen
Der Spiegel (1980)
„Katze im Sack“. In: Der Spiegel, Nr. 31/1980, S. 120–124.
Investigativer Bericht über die Geschäftspraktiken der Jugendsparberatung (Jb) in Harsewinkel.
Sekundärquellen
Stiftung Warentest / Finanztest
„Immobilienfirma Köllner: Immobilienhai ist pleite“. In: test.de, 19. Dezember 2008.
https://www.test.de/Immobilienfirma-Koellner-Immobilienhai-ist-pleite-1746293-0/
„Falschberatung: So holen Sie Ihr Geld zurück“ (Fall Hans-Albert Gröning). In: test.de, 2008.
https://www.test.de/Falschberatung-So-holen-Sie-Ihr-Geld-zurueck-1607370-1607326/
Pressemitteilungen
Resch Rechtsanwälte: „Köllner – Insolvenzverfahren eröffnet“. In: openPR, 2. März 2009.
https://www.openpr.de/news/288547/Koellner-Insolvenzverfahren-eroeffnet.html
Lokalpresse
„Die III. Kompanie des BSV Harsewinkel feiert 50-jähriges Jubiläum“. In: Mein Spöggsken Markt, o. D.
https://www.mein-spoeggsken-markt.de/die-iii-kompanie-des-bsv-harsewinkel-feiert-50-jaehriges-jubilaeum/
Gerichtliche Entscheidungen (erwähnt in den Quellen)
Landgericht Bielefeld, Az. 6 O 127/06 (Urteil im Fall Gröning)
Oberlandesgericht Hamm, Az. 22 U 98/07 (Berufungszurückweisung)
Amtsgericht Bielefeld, Az. 43 IN 1392/08 (Insolvenzverfahren Köllner & Co. KG)
Staatsanwaltschaft Mannheim: Ermittlungen gegen Badenia-Manager wegen des Verdachts auf Anlegerbetrug
Zum Badenia-Skandal (Hintergrund)
Die Köllner-Gruppe war neben Heinen & Biege einer der zentralen Vermittler im sogenannten Badenia-Schrottimmobilien-Skandal der 1990er Jahre. Die Badenia Bausparkasse finanzierte den Erwerb von Eigentumswohnungen durch Kleinanleger. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und zivilrechtliche Verfahren liefen über Jahre.
Quellen zum Badenia-Skandal:
„Der Skandal um die Bausparkasse Badenia: Unterm Strich bleibt nur Verzweiflung“. In: Süddeutsche Zeitung.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/der-skandal-um-die-bausparkasse-badenia-unterm-strich-bleibt-nur-verzweiflung-1.899928
Manager Magazin, Bericht zum Badenia-Skandal.
https://www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/a-323910.html
