Die Geschichte des westfälischen Verlagswesens ist eine Erzählung von beeindruckender Kontinuität und Innovation, die sich über mehr als fünf Jahrhunderte erstreckt und bis heute die deutsche Medienlandschaft prägt. Von den ersten Druckereien des 15. Jahrhunderts bis zu den modernen Medienkonzernen unserer Zeit zieht sich ein roter Faden verlegerischer Tradition durch Westfalen, der diese Region zu einem der bedeutendsten Zentren des deutschen Buchhandels und Pressewesens gemacht hat.


Die Anfänge: Pioniere des Buchdrucks

Johann von Westfalen war einer der bedeutendsten Buchdrucker des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Er wurde um 1450 vermutlich im Raum Paderborn geboren und brachte ab 1474 gemeinsam mit Dirk Martens den Buchdruck nach Belgien, zunächst in Aalst, dann in Löwen. Seine Ausbildung erhielt er vermutlich in Venedig, worauf die Verwendung italienischer Schrifttypen und seine Zeit in Italien hinweisen. Von seiner Werkstatt in Löwen aus veröffentlichte er zahlreiche wissenschaftliche Werke – theologische, juristische, medizinische, philosophische sowie humanistische und klassische Autoren. Er setzte auf moderne Typografie, war auch Buchhändler und prägte das Buchgewerbe im niederländischen Raum nachhaltig bis zu seinem Tod um 1501/1502.

Die Buchdruckerfamilie Pontanus prägte maßgeblich das buchgewerbliche Leben in Paderborn vom späten 16. bis ins 17. Jahrhundert. Matthaeus Pontanus (ca. 1565–1622) gilt als Begründer des Buchdrucks in Paderborn. Er kam um 1596/1597 nach Paderborn und gründete dort auf eigenen Namen die erste Offizin der Stadt. Schon bald sicherte er sich durch Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg ein Monopolprivileg, das ihm und seinen Nachkommen bis Anfang des 17. Jahrhunderts die Alleinstellung als Drucker in Stadt und Hochstift Paderborn verlieh. Pontanus war zuvor Geselle beim Buchdrucker Lambert Raesfeld in Münster gewesen und hatte bereits in Münster eigene Druckerfahrung gesammelt.

Nicolaus van Deer war eine zentrale Figur der frühen Buchdruckgeschichte Norddeutschlands. Er stammte ursprünglich aus Münster, genauer vom dortigen Brüderhaus Zum Springborn („Michaelisbrüder“). Im Jahr 1475 kam Nicolaus van Deer nach Rostock und etablierte dort im Umfeld der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben die erste dauerhafte Druckerei der Stadt – eine der frühesten im gesamten deutschen Sprachraum.

Diese frühen Druckerpioniere wie Johann Bergmann von Olpe, der um 1500 für seine Inkunabeldrucke bekannt war, oder Petrus in altis de Olpe, der im 15. Jahrhundert im deutschen Sprachraum tätig war, legten das Fundament für eine Tradition, die Westfalen zu einem wichtigen Zentrum der Buchproduktion werden ließ. Auch Jost Kalckhoven aus Dortmund und später Köln sowie Petrus Attendorn, der seine Tätigkeit nach Straßburg verlagerte, trugen zur Verbreitung der Druckkunst bei.

Johann van Gehlen war einer der bedeutendsten Drucker Wiens und stammte ursprünglich aus einer alten Buchdruckerfamilie westfälischer Herkunft. Er war in Antwerpen als Buchdrucker tätig, bevor er 1670 auf einer Reise durch Deutschland nach Wien kam. Ghelen erhielt das kaiserliche Privileg zum Druck und Verkauf lateinischer und italienischer Zeitungen, gründete 1703 die deutschsprachige Zeitung „Wiennerisches Diarium“ (Vorgängerin der Wiener Zeitung, der ältesten Tageszeitung der Welt), und wurde Hofbuchdrucker unter Kaiser Leopold I.

Die Blütezeit: Verleger im eigentlichen Sinne

Die ersten Verleger Westfalens im heutigen Sinne waren wohl Friedrich Arnold Brockhaus, Arnold Andreas Mallinckrodt, Carl Bertelsmann, Johann Christoph Conrad Bruns und Ferdinand Schöningh. Diese Namen stehen für den Übergang vom handwerklichen Drucker zum modernen Verleger, der nicht nur produziert, sondern auch Programme entwickelt und Märkte erschließt.

Im 19. Jahrhundert etablierten sich weitere bedeutende Verleger-Persönlichkeiten. Wilhelm Spemann wurde als bedeutender deutscher Verleger des späten 19. Jahrhunderts bekannt, speziell für seine Kunst- und Literaturverlage. In Bielefeld bauten August Klasing und August Velhagen gemeinsam den späteren Verlag Velhagen & Klasing auf, der sich auf Schul- und Bildungsverlage spezialisierte. Gottschalk Diedrich Baedeker in Essen begründete als Drucker und Verleger die traditionsreiche Baedeker-Familie, deren Reiseführer Weltruhm erlangten.

Die wirtschaftlichen Giganten

Die wirtschaftlich erfolgreichsten waren Reinhard Mohn, der sich übrigens nicht als Verleger, sondern als Medien-Unternehmer verstand, Gerd Bucerius, Gründer der Wochenzeitung „Die Zeit“ und Georg von Holtzbrinck, Gründer der Holtzbrinck-Gruppe (Handelsblatt, Die Zeit, Wirtschaftswoche etc.). Diese drei Namen repräsentieren den Aufstieg westfälischer Verleger zu nationalen und internationalen Medienkonzernen.

Der mit weitem Abstand größte Verlag Westfalens und derzeit sogar der Welt ist die zu Bertelsmann gehörende Randomhouse-Gruppe. Dieser Konzern, der auf Carl Bertelsmanns Gründung zurückgeht, zeigt exemplarisch, wie aus regionalen Anfängen globale Marktführer entstehen können.

Literarische Ambitionen und kulturelle Prägung

Verleger, die sich dagegen mehr der Literatur verschrieben hatten, waren Max Bruns, Gustav Kiepenheuer, Ferdinand Schöningh und mit Abstrichen Franz Cornelsen. Als katholischer Zeitungs- und Buchverleger war Josef Habbel in ganz Deutschland ein Begriff. Georg D. Callwey gründete 1894 den Callwey Verlag und etablierte damit eine weitere Traditionslinie westfälischer Verlagskultur. Aenne Hirmer war Mitgründerin des Hirmer Verlags in München und veröffentlichte bedeutende Kunstbände.

Der aus der Paderborner Verleger-Familie stammende Mitbegründer der Süddeutschen Zeitung, Franz Josef Schöningh, ist wegen seiner Vergangenheit während der NS-Zeit in die Kritik geraten – ein Beispiel dafür, wie sich Verleger in den Wirren der deutschen Geschichte verstricken konnten.

Medienlandschaft der Gegenwart

Ein weiterer Verleger aus unserer Zeit mit Bezug zu Westfalen ist der Zeitungs-Magnat und leidenschaftliche Anhänger der ökonomischen Gedanken von Milton Friedman, Dirk Ippen. Axel Diekmann ist geschäftsführender Gesellschafter der Verlagsgruppe Passau. Die, wenn man so will, „Grand Dame“ der westfälischen Verlagsszene war die ebenso resolute wie vermögende Anneliese Brost, Gesellschafterin der WAZ-Gruppe.

Regionale Größen mit nationaler Ausstrahlung

Häufig unterschätzt, aber spätestens durch den Erfolg von „Landlust“ bundesweit bekannt, ist der Landwirtschaftsverlag in Münster. Ebenfalls in Münster angesiedelt ist der traditionsreiche Aschendorff-Verlag, dessen Gründer Johannes Broermann eine der wichtigsten Verlagsfirmen Westfalens schuf. Der 1768 gegründete Coppenrath Verlag aus Münster ist inzwischen eine feste Größe in der deutschen Jugend- und Kinderliteratur.

Wegen seiner geschäftlichen Praktiken stand und steht das 1870 von den Brüdern Heinrich und Lambert Lensing gegründete Medienhaus Lensing aus Dortmund immer wieder in der Kritik. Lambert Lensing selbst war der Gründer des Dortmunder Lensing-Verlages, des Vorläufers des heutigen Medienhauses.

Spezialisierung und Innovation

„Europas größter Wassersportverlag“ nannte sich Delius-Klasing aus Bielefeld. Ebenfalls in Bielefeld ansässig ist der wissenschaftliche Fachverlag transcript, dessen Schwerpunkte „in den Medien-, Sozial- und Kulturwissenschaften, in Geschichte und Philosophie sowie im Kultur- und Museumsmanagement“ liegen.

Die Gundlach Holding aus Bielefeld zeigt als Medienholding mit Tradition im Druckereiwesen, wie sich traditionelle Druckereien zu modernen Druck- und Mediendienstleistern entwickeln können.

Bemerkenswerte Einzelschicksale

Im schwäbischen Gaildorf hält man die Erinnerung an Hans Kupczyk wach, dem die Stadt ihre Zeitung verdankt. Daneben war Kupczyk, der auch den Beinamen Farbenkönig trug, Herausgeber der Zeitschrift Farbe und Design. In Extertal verstarb der umstrittene Verleger Alfred Hugenberg, dessen politische Verstrickungen bis heute diskutiert werden.

Oscar von Forckenbeck gründete in Aachen das Internationale Zeitungsmuseum, das über die größte Zeitungssammlung der Welt verfügt – ein Beispiel dafür, wie westfälische Verleger auch zur Bewahrung der Mediengeschichte beitrugen.

Ein lebendiges Erbe

Die westfälische Verlagslandschaft zeigt sich als ein komplexes Geflecht von Traditionen, Innovationen und Kontinuitäten. Von den mittelalterlichen Klosterbibliotheken wie der Abdinghofer Bibliothek unter Abt Leonhard Ruben bis zur modernen Medienholding, von den ersten Inkunabeldrucken bis zu digitalen Publikationsformen – Westfalen hat stets eine zentrale Rolle in der deutschen Mediengeschichte gespielt.

Die Vielzahl bedeutender Persönlichkeiten, von Hermann Barckhusen und Carl Volckhausen im 19. Jahrhundert über Lieselotte Holzmeister und Norbert Beleke in der Nachkriegszeit bis hin zu zeitgenössischen Verlegern wie Walther König, zeigt die ungebrochene Vitalität dieser Tradition.

Auch heute noch entstehen in Westfalen wichtige Impulse für das deutsche Verlagswesen – eine Kontinuität, die über fünf Jahrhunderte hinweg die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Region geprägt hat und weit über ihre Grenzen hinaus ausstrahlt.


Quelle:

Westfälische Drucker, Verleger und Verlage

Von Rolevinck

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