Im „Mediensystem der politischen Publizistik“ (Arndt/Körber 2010, S. 6), das sich in den Jahrhunderten der Frühen Neuzeit entfaltete, waren Politiker und Diplomaten, die zur Zeit des Westfälischen Friedenskongresses (1643-1649) aktiv waren, des größten weltlichen Gesandtenkongresses der europäischen Frühneuzeit, keineswegs „systemfremde Interessenten“ (ebd., S. 7), sondern waren als Teil dieses Mediensystems publizistische Akteure von Gewicht. Die Kongressakten, vor allem die Kongresskorrespondenzen, die das Akademienprojekt der Acta Pacis Westphalicae in jahrzehntelanger geschichtswissenschaftlicher Grundlagenforschung aus Archiven und Bibliotheken in ganz Europa zusammengetragen und zu einem Teil auch in einer 46bändigen Auswahledition vorgelegt hat, dokumentieren einen facettenreichen Metadiskurs, den politisch-diplomatische Akteure über Angelegenheiten politischer Druckpublizistik führten: Thema dieses Diskurses war die eigene Publizistik ebenso wie die Druckpublizistik konkurrierender, ja gegnerischer Kongressmächte. Kongressgesandte, deren Mitarbeiter und deren politische Bezugspersonen an den Entsenderhöfen sowie in den Regierungen der Entsendermächte waren kongressbegleitend nicht allein als Korrespondenten für das junge Druckmedium der periodischen Zeitungen tätig, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden, sondern nutzten diese auch für eine gezielte politische Publizistik. Und ein Großteil der Flugblätter und Flugschriften, die kongressbegleitend in Europa gedruckt wurden und zum Teil veritable Flugschriftenkriege generierten, lässt sich anhand der Kongressquellen der Feder bestimmter Kongressdiplomaten oder ihrer direkten politischen Bezugspersonen zuweisen. Identifizierbare Politiker und Kongressdiplomaten vermittelten nicht allein einen Großteil der Dokumentendrucke, die kongressbegleitend erschienen, sondern sie waren auch die Autoren, die Auftraggeber oder die Vermittler eines Großteils der anonymen politischen Streitschriften, die im Umfeld des Kongresses erschienen. Auch die anonymen Streitschriften, die den Kongress begleiteten, erweisen sich im Licht der Kongressquellen zu einem Teil als regierungsamtlich autorisierte Staatsschriften, zu einem anderen Teil als politische Parteischriften; als Drucke, die auf das Betreiben einer identifizierbaren politischen Faktion entstanden und in Umlauf gebracht wurden.
Die Studie ist aus Gründen der Arbeitsökonomie perspektivisch angelegt. Sie nutzt die Aktenüberlieferung einer der großen Kongressparteien, um eine Schneise in die Textmassen zu publizistischen Betreffen zu schlagen, die der Westfälische Friedenskongress in europäischen Archiven und Bibliotheken hinterlassen hat. Ausgangspunkt und Zentrum der Untersuchung sind die außenpolitischen Akten der französischen Regierung der 1640er Jahre, darunter die Akten der französischen Kongressbotschaft in Münster und Osnabrück. Diese Archivalien enthalten reiche Informationen über die druckpublizistischen Aktivitäten und Praktiken französischer Politiker und Diplomaten im Umfeld des großen Friedenskongresses, bieten somit eine detailscharfe Innenperspektive zur französischen Publizistik via Druckmedien. Darüber hinaus geben die französischen Kongressakten reiche Hinweise auf publizistische Praktiken anderer Kongressparteien: teils auf Aktivitäten, die der Historiker tatsächlich nachweisen kann, teils auf Aktivitäten, welche französische Akteure auf Seiten anderer Kongressparteien vermuteten. Die französischen Kongressakten bieten somit eine wertvolle Sicht über die eigene Kongressgesandtschaft hinaus: auf angebliche wie auf tatsächliche publizistische Praktiken anderer Kongressparteien, die für die französischen Akteure zweifelsfrei belegbar waren. Die französischen Botschaftsakten dokumentieren Annahmen und Beobachtungen französischer Politiker und Diplomaten zur Druckpublizistik anderer Gesandtschaften, deren Stichhaltigkeit sich anhand anderer Quellenserien vom Westfälischen Friedenskongress überprüfen lässt. Die akteurszentrierte, perspektivische Untersuchung auf Basis der französischen Regierungs- und Kongressakten zielt damit über die französische Kongressbotschaft hinaus auf eine Bestimmung des Stellenwertes, den eine politische Publizistik, die sich periodischer und nichtperiodischer Druckmedien bediente, innerhalb der komplexen kommunikativen Prozesse auf dem Westfälischen Friedenskongress und in seinem Umfeld hatte.
Quelle / Link: Ars disputandi: Studien zur kommunikativen Praxis frühneuzeitlicher Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress 1643-1649