Von den großen Häusern im Ruhrgebiet bis zu experimentellen Freien Bühnen – Westfalens Theaterlandschaft spiegelt die kulturelle Vielfalt der Region wider. Renommierte Intendanten, wegweisende Inszenierungen und architektonische Kleinode machen die westfälischen Bühnen zu einem unverzichtbaren Bestandteil der deutschen Theaterkultur.
Die westfälische Theaterszene ist so vielgestaltig wie die Region selbst. Besonders das Ruhrgebiet hat sich als kulturelles Kraftzentrum etabliert, in dem sich traditionsreiche Häuser und innovative Spielstätten zu einem einzigartigen theatralen Kosmos verdichten. Hier pulsiert eine Bühnenlandschaft, die weit über regionale Grenzen hinaus Strahlkraft entwickelt.
Allen voran steht das Schauspielhaus Bochum, eines der größten und renommiertesten Theater Deutschlands. Die Reihe seiner ehemaligen Intendanten liest sich wie ein Who’s Who der deutschsprachigen Theatergeschichte: Peter Zadek, Claus Peymann, Leander Haußmann und Matthias Hartmann haben hier ihre künstlerische Handschrift hinterlassen. Doch Bochum erschöpft sich nicht in diesem Flaggschiff. Die Stadt beherbergt eine außergewöhnlich facettenreiche Theaterszene, zu der etwa das prinz regent theater und das Figurentheater-Kolleg gehören. Dass an der Ruhr-Universität Bochum sogar ein Institut für Theaterwissenschaft existiert, unterstreicht die besondere Stellung der Stadt als Theaterstandort.
Auch Dortmund hat sich als wichtiger Knotenpunkt etabliert. Das Theater Dortmund sorgt regelmäßig mit seinen Inszenierungen für überregionales Aufsehen. Unvergessen bleiben die legendären Aufführungen unter John Dew, der zuvor bereits am Theater Bielefeld von sich reden machte. Besonders das Ballettzentrum am Theater Dortmund genießt einen hervorragenden Ruf. Daneben bereichert die freie Bühne Fletch Bizzel seit 1979 die Dortmunder Szene – ein Kleinod und zugleich eines der ältesten freien Ensembles im deutschsprachigen Raum.
Architektonische Besonderheiten prägen ebenfalls die westfälische Theaterlandschaft. Das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen ist bereits aufgrund seiner baulichen Gestaltung eine Sehenswürdigkeit. In Hagen zieht das Stadttheater mit seinen Opern-Inszenierungen das Publikum in den Bann und fungiert als kultureller Magnet der Stadt.
Zu den etablierten Häusern der Region zählen ferner das Theater Bielefeld, das Theater Münster und das Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele. Bielefeld und Münster verfügen dabei über eigene Ballettsparten, die das künstlerische Spektrum erweitern. Auch das Stadttheater Herford und das Theater Gütersloh tragen als renommierte Gastspielbühnen zur ostwestfälischen Theaterlandschaft bei.
Eine besondere Stellung nimmt das Landestheater Detmold ein, das als größte Reisebühne Europas gilt und damit ein einzigartiges Modell der Theaterversorgung im ländlichen Raum verkörpert. Das Haus vereint die Sparten Oper, Ballett und Schauspiel unter einem Dach und bildet somit ein vollständiges Mehrspartentheater. Doch das Besondere an Detmold liegt nicht nur in der institutionellen Struktur, sondern vor allem in seinem kulturpolitischen Auftrag: Als Reisetheater bringt es Theater dorthin, wo keine eigenen Spielstätten existieren. So versorgt das Landestheater Detmold die gesamte Region Ostwestfalen-Lippe mit hochkarätigen Produktionen und leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur kulturellen Infrastruktur in der Fläche. Mit diesem Konzept verbindet das Haus künstlerische Exzellenz mit kultureller Teilhabe und demonstriert eindrucksvoll, dass Theater nicht auf urbane Zentren beschränkt bleiben muss.
Gänzlich außergewöhnlich präsentiert sich das Westfälische Landestheater in Castrop-Rauxel, dessen experimentelle Ausrichtung sich etwa in Produktionen wie „Der Mann, der die Welt aß“ manifestiert. Internationale Bekanntheit genießen die Ruhrfestspiele Recklinghausen, die seit Jahrzehnten zu den bedeutendsten Theaterfestivals in Deutschland gehören.
Dass theatrale Exzellenz nicht allein eine Frage der Größe oder Metropolnähe ist, beweist das sogenannte Wagner-Wunder von Minden. Seit 2002, als mit „Der fliegende Holländer“ der Zyklus begann, hat sich die Stadt als außergewöhnlicher Wagner-Standort etabliert. Die Aufführungen des Rings, die sich über Jahre erstreckten und 2016 mit der „Walküre“ fortsetzten, fanden auch überregional Beachtung. Zum hundertjährigen Bestehen des Wagner-Verbandes Minden wurde 2012 „Tristan und Isolde“ aufgeführt – ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie engagierte Theaterarbeit selbst in kleineren Städten kulturelle Strahlkraft entfalten kann.
Neben den großen Häusern bereichern auch Bespieltheater die Landschaft – exemplarisch sei das Apollo-Theater in Siegen genannt. Die Freie Szene wiederum organisiert sich im Verband Freie Darstellende Künste NRW e.V., der seinen Sitz in Dortmund hat und 2011 eine umfassende Bestandsaufnahme der Freien Theater in Nordrhein-Westfalen vorlegte. Diese Dokumentation belegt eindrucksvoll, wie lebendig und vielfältig das Theater jenseits der etablierten Institutionen pulsiert – ein weiterer Beleg für den kulturellen Reichtum Westfalens.
