Von Minden bis Siegen, von Hamm bis Mettingen: Westfalen hat eine reiche, aber weithin unbekannte Tradition privater Kunstsammler hervorgebracht. Während Namen wie Karl-Ernst Osthaus oder Alfred Flechtheim in Fachkreisen Renommee genießen, bleiben viele andere Mäzene im Verborgenen – obwohl ihre Sammlungen zu den bedeutendsten Deutschlands zählen. Eine Spurensuche durch zwei Jahrhunderte westfälischer Sammlerleidenschaft, die von glanzvollem Mäzenatentum ebenso erzählt wie von Verfolgung, Raub und Verlust.


Wenn von bedeutenden Kunstsammlungen in Deutschland die Rede ist, denken die meisten zunächst an Berlin, München oder Hamburg. Dass sich jedoch gerade in Westfalen, dieser vermeintlich so nüchternen Region zwischen Ruhrgebiet und Weserbergland, eine bemerkenswerte Tradition des privaten Kunstmäzenatentums entwickelt hat, ist selbst Kennern oft nicht bewusst. Dabei reicht diese Tradition weit zurück und hat Sammlungen hervorgebracht, die internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen.

Die Anfänge: Adel und Bürgertum im 19. Jahrhundert

Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt die Sammlung des Geheimen Oberregierungsrates Carl Wilhelm August Krüger in Minden unter Experten als eine der bedeutendsten ihrer Art in Deutschland. Seine Kollektion von Büchern, Kupferstichen, Gemälden und Kunsthandwerk zog Kenner aus ganz Europa an. Als Krüger 1853 beschloss, sich von seiner Privatsammlung zu trennen, offenbarte sich jedoch ein Dilemma, das bis heute symptomatisch für die Wertschätzung westfälischer Kulturschätze erscheint: Das Königliche Museum in Berlin zeigte keinerlei Interesse. So wanderte die Sammlung schließlich nach London, an die National Gallery – sehr zum Entsetzen einiger Zeitgenossen, die einen kulturellen Verlust für Deutschland beklagten.

Aus dem alten westfälischen Adelsgeschlecht von Brabeck stammte Friedrich Moritz von Brabeck, geboren 1742 auf Gut Letmathe bei Iserlohn. Als Domherr in Hildesheim baute er auf Schloss Söder eine bedeutende Gemäldesammlung auf, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts Kunstkenner aus ganz Europa anzog. Um das Kunstverständnis im gesamten deutschsprachigen Raum zu fördern, gründete er 1795 die Chalkographische Gesellschaft zu Dessau. Diese frühen Sammler legten den Grundstein für eine Tradition, die das bürgerliche und aristokratische Selbstverständnis der Region über Generationen prägen sollte.

Die Moderne: Visionäre und Wegbereiter

Eine Sonderstellung unter den westfälischen Kunstmäzenen nimmt fraglos Karl-Ernst Osthaus ein. Der Gründer des Folkwang-Museums schuf nicht nur eine der wichtigsten Sammlungen moderner Kunst, sondern entwickelte auch ein visionäres Museumskonzept, das weit über seine Zeit hinauswies. Das Museum, heute in Essen beheimatet und inoffiziell als eines der schönsten Museen der Welt gehandelt, ist sein bleibendes Vermächtnis. In seiner Heimatstadt Hagen führt das nach ihm benannte Osthaus-Museum sein ideelles Erbe fort.

Doch nicht nur die großen Namen prägten die westfälische Kunstlandschaft. Gustav Lübcke ermöglichte der Stadt Hamm durch seine Sammelleidenschaft und Großzügigkeit ein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekanntes Kunstmuseum, das seit den 1920er-Jahren moderne Kunst in kommunales Eigentum brachte und 2020 sein hundertjähriges Jubiläum feiern konnte. Alexander Haindorf erwies sich nicht nur als bedeutender Kunstsammler und -kenner, sondern auch als Mitbegründer des Westfälischen Kunstvereins. Rudolf Hammerschmidt trug eine bedeutende Kunstsammlung zusammen, und aus Münster stammte mit Alfred Flechtheim die schillerndste Figur des deutschen Kunsthandels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Franz Kluxen besaß als früher Sammler der Moderne Werke von Picasso und Miró und dokumentierte damit den Geschmack eines offenen westfälischen Bürgertums im 20. Jahrhundert. Theodor Scheiwe, Münsteraner Unternehmer, besaß eine hochrangige Sammlung moderner Kunst und setzte Maßstäbe bürgerlicher Mäzenkultur durch seine Unterstützung von Museen und Künstlern in Westfalen.

Die dunkle Seite: Verfolgung und Kunstraub

Die Geschichte westfälischer Kunstsammler ist jedoch nicht nur eine Erfolgsgeschichte bürgerlichen Engagements. Sie ist auch eine Geschichte von Verfolgung, Raub und unwiederbringlichem Verlust. Der jüdische Kunsthändler Walter Westfeld aus Wuppertal wurde während der NS-Zeit enteignet und deportiert. Sein Schicksal steht exemplarisch für die systematische Verfolgung und Beraubung jüdischer Sammler und Händler durch das NS-Regime. Die Bankiersfamilie Schüler aus Bochum verlor während des NS-Regimes nahezu ihren gesamten Kunstbesitz – ihre Geschichte wird heute als Beispiel für geraubte Kulturgüter in Westfalen aufgearbeitet. Gustav Rüdenberg, jüdischer Unternehmer und Kunstliebhaber aus Westfalen, wurde während der NS-Zeit verfolgt und enteignet und gilt heute als Symbolfigur der verfemten bürgerlichen Kultur.

Umso bedeutsamer erscheinen jene Sammler, die sich dem NS-Regime widersetzten. Bernhard A. Böhmer rettete zahllose Kunstwerke der von den NS-Behörden zur Vernichtung vorgesehenen „entarteten Kunst“ und schuf sich damit bleibende Verdienste um Kunst und Menschheit. Gerhard Schneider setzte sich früh für die Anerkennung von Kunst während der NS-Zeit und von verfemten Künstlern ein. Seine Sammlung bewahrt Werke, die einst als „entartet“ galten, und dient der kunsthistorischen Aufarbeitung.

Verborgene Schätze: Private Sammlungen von Weltrang

Im Münsterland verbirgt sich auf Schloss Anholt, auch „Louvre auf dem Lande“ genannt, eine der wohl unbekanntesten und zugleich bedeutendsten privaten Kunstsammlungen Deutschlands. Mit über siebenhundert Werken Alter Meister ist es das größte private Kunstmuseum in Nordrhein-Westfalen – und doch kennen es nur wenige. Ähnlich verhält es sich mit dem Picasso Museum in Münster, das Gert Huizinga durch seine über Jahrzehnte zusammengetragene Sammlung von Picasso-Lithographien ermöglichte und das sich mittlerweile in der internationalen Kunstszene etabliert hat. Nach seinem Tod bleibt sein Werk durch Stiftungsarbeit erhalten.

Die deutsch-niederländische Familie Brenninkmeyer, bekannt durch das Textilunternehmen C&A, gründete 2009 in ihrem Ursprungsort Mettingen die Draiflessen Collection. Herzstück ist die Liberna Collection mit hochrangigen Manuskripten, Miniaturen, Inkunabeln und Druckgrafiken, schwerpunktmäßig aus dem 15. bis 17. Jahrhundert.

Nachkriegszeit: Zwischen Tradition und Avantgarde

Die Nachkriegszeit brachte eine neue Generation bemerkenswerter Sammler hervor. Der Herforder Modeunternehmer Jan Ahlers gilt mit seiner Kollektion von über zweihundert, vorwiegend expressionistischen Werken als einer der renommiertesten privaten Mäzene der Malerei des 20. Jahrhunderts. Seine Stiftung Ahlers Pro Arte hat sich unter anderem der Dokumentation und wissenschaftlichen Erschließung des Wirkungsgrades expressionistischer Kunst verschrieben.

Die Ruhr-Universität Bochum profitierte von der Schenkung des Kunstkritikers Albert Schulze, einem bedeutenden Sammler gestisch-abstrakter und konstruktiv-konkreter Kunst, sowie von der Stiftung des Zeitschriftenverlegers Dr. Paul Dierichs. Die Kunstsammlungen im Museum Situation Kunst in Bochum-Weitmar verbinden heute Architektur, Skulptur und Malerei und sind, hervorgegangen aus privatem Engagement, zu einem akademischen Zentrum für moderne und zeitgenössische Kunst geworden.

Barbara Lambrecht-Schadeberg nimmt unter den westfälischen Mäzenen eine besondere Stellung ein. Die 1935 geborene Gesellschafterin der Krombacher Brauerei konzentrierte ihre Sammlung auf Arbeiten aus allen Werkphasen der Träger des Rubenspreises der Stadt Siegen – darunter Hans Hartung, Francis Bacon, Sigmar Polke, Bridget Riley und Cy Twombly. Ihre etwa 200 bis 300 Werke umfassende Kollektion wird im Museum für Gegenwartskunst Siegen präsentiert, zu dessen Gründung sie maßgeblich beitrug. Die mehrfach ausgezeichnete Mäzenin – sie erhielt das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und den Maecenas-Ehrenpreis – ist auch für bedeutende Schenkungen an die Stadt Siegen bekannt, etwa das Rubens-Gemälde „Ecce Homo“.

Lutz Teutloff aus Bielefeld verband Kunst, Architektur und Philosophie. Seine Stiftung fördert heute den Dialog zwischen Kunst und Öffentlichkeit über klassische Ausstellungshäuser hinaus. Das Unternehmerpaar Kaldewei aus Ahlen gründete eine Stiftung zur Förderung von Kunstinteresse und Kulturvermittlung und verbindet soziales Verantwortungsbewusstsein mit regionaler Identität. Hans Joachim Nachtmann, westfälischer Unternehmer und Kunstförderer, unterstützte über Jahrzehnte Museen und Nachwuchskünstler – sein Tod hinterlässt eine Lücke im Kreis engagierter westdeutscher Mäzene.

Gegenwart: Globale Perspektiven und neue Verantwortung

Die zeitgenössische Generation westfälischer Sammler zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Vielfalt aus. Thomas Rusche baute mit der SØR Rusche Sammlung in Oelde eine international beachtete Kollektion von über 3.000 Werken auf, die niederländische Kabinettmalerei des 17. Jahrhunderts mit innovativen zeitgenössischen Positionen des 21. Jahrhunderts verband. 2019 wurde die Firmen- und Privatsammlung aufgelöst, um die Digitalisierung des Textilunternehmens voranzutreiben. Einzelne Präsentationen finden jedoch weiterhin statt, etwa in der Kunstvilla in Oelde. Seine Berliner Kunstsammlung Rusche umfasst ebenfalls Werke von der Renaissance bis zur Gegenwart und wurde zuletzt unter dem charakteristischen Titel „Roter Samt und Pausbacken“ ausgestellt. Rusche verbindet Wirtschaft, Theologie und Kunstdenken zu einem einzigartigen Ansatz der Kunstvermittlung und Museumsförderung.

Heiner Wemhöner aus Herford schuf eine international anerkannte Sammlung zeitgenössischer Kunst, die europäische Avantgarde, chinesische Gegenwartskunst und gesellschaftlich engagierte Werke zu einem charakteristischen Querschnitt globaler Ästhetik verbindet. In einem Gespräch mit dem Sammler Philipp Bollmann diskutierte Wemhöner über Verantwortung, Sehgewohnheiten und Kunst als gesellschaftliche Aufgabe – ein Beispiel dafür, wie Sammlungen zu kulturellen Laboren werden können.

Die Sammlung Bunte in Bielefeld mit Schwerpunkten auf moderner Grafik und expressiver Malerei soll der Stadt erhalten bleiben und ist Teil kommunaler Identität geworden. Victor Tuxhorn aus Beckum förderte konsequent regionale Künstler – eine Ausstellung widmete sich vier von ihm unterstützten Künstlern und zeigt exemplarisch die Wirkung privater Unterstützung auf regionale Kunstentwicklungen.

Institutionelles Erbe und lebendige Tradition

Die Sammlung der Provinzial-Versicherung mit ihrem Fundus von Werken der Konrad-Soest-Preisträger gilt als feste Größe der Avantgardekunst. Rudolf-August Oetker, dem Bielefeld seine Kunsthalle verdankt, baute über Jahrzehnte eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen Deutschlands auf. Die mehrere hundert Gemälde sowie Silber- und Porzellanobjekte umfassende Kollektion reicht vom späten Mittelalter bis zur Klassischen Moderne und enthält Werke aus Barock, Rokoko und europäischem Kunsthandwerk. Seine Sammlung meisterhafter Goldschmiedearbeiten gilt als eine der bedeutendsten ihrer Art weltweit. Das Spektrum zeigt sein sicheres Gespür auch für Außenseiter wie Hermann Stenner. Die Rudolf-August Oetker-Stiftung fördert Restaurierungen, Ausstellungen und Forschungsvorhaben. Vorbildlich ist die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit: Seit 2015 betreibt die Familie Provenienzforschung, identifizierte mehrere Kunstwerke als NS-Raubkunst und setzt sich aktiv für die Rückgabe an die rechtmäßigen Erben ein – ein verantwortungsvoller Umgang mit historischer Schuld, der Standards setzt.

Jacob Pins war weltweit als Sammler ostasiatischer Kunst bekannt. Einen großen Teil seiner Sammlung vermachte er als Zeichen der Versöhnung seiner Geburtsstadt Höxter, die ihm zu Ehren das Forum Jacob Pins ins Leben rief. Bielefeld beherbergt zudem mit dem Archiv, das Egidio Marzona zusammentrug, eines der größten Archive zur Avantgarde-Kunst des 20. Jahrhunderts.

Auch Theo Wormland, der Münchener Unternehmer und Modehändler, gehörte zu den wichtigsten Sammlern surrealistischer Kunst in Deutschland – seine Stiftung prägte das Kunstverständnis der Nachkriegszeit weit über Westfalen hinaus.

Gottlieb Friedrich Reber war ein deutscher Kunstsammler und Kunsthändler, der um 1906 begann, französische Kunst des 19. Jahrhunderts zu sammeln. Seine Sammlung umfasste 27 Gemälde von Paul Cézanne sowie Werke von Camille Corot, Gustave Courbet, Édouard Manet, Auguste Renoir, Edgar Degas, Paul Gauguin und Vincent van Gogh. Er kaufte Werke bei renommierten Galeristen in Paris und Berlin, darunter Daniel-Henry Kahnweiler, Ambroise Vollard, Léonce Rosenberg und Alfred Flechtheim. Bereits 1921 erwarb er zahlreiche Werke von Pablo Picasso und anderen Kubisten. In den frühen 1930er Jahren besaß er etwa fünf Dutzend Picasso-Bilder, sowie weitere bedeutende Werke von Georges Braque, Fernand Léger und Juan Gris. Reber war ein bedeutender Förderer der französischen Moderne und der kubistischen Kunst.

Wandel und Verantwortung

Die Südwestfälische Galerie bei Siegen dokumentiert Kunst aus der Region und stellt sie in einen nationalen Kontext. Sie ist Teil einer musealen Infrastruktur, die regionale Künstler sichtbar macht und zeigt, wie sich private Initiative und öffentliche Verantwortung produktiv ergänzen können.

Schlussbetrachtung

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Westfalen eine außergewöhnlich reiche Tradition privaten Kunstmäzenatentums besitzt – eine Tradition, die oft im Schatten der großen Metropolen steht, aber an Qualität und Bedeutung keineswegs zurücksteht. Von den Alten Meistern bis zur Avantgarde, von der „entarteten Kunst“ bis zur globalen Gegenwartskunst, von den verfolgten jüdischen Sammlern bis zu den mutigen Rettern verfemter Werke: Westfälische Sammler haben über zwei Jahrhunderte hinweg bewiesen, dass Kunstsinn und Sammlerleidenschaft nicht an Metropolen gebunden sind.

Ihre Sammlungen sind nicht nur kulturelle Schätze, sondern auch Zeugnisse bürgerlichen Engagements, privater Verantwortung für das kulturelle Erbe und manchmal auch stiller Zivilcourage. Die dunkelsten Kapitel dieser Geschichte – die systematische Verfolgung und Beraubung jüdischer Sammler – mahnen zugleich, dass Kunstbesitz nie losgelöst von gesellschaftlicher Verantwortung und historischem Bewusstsein betrachtet werden kann. Die vorbildliche Provenienzforschung der Familie Oetker zeigt, wie eine verantwortungsvolle Auseinandersetzung mit der eigenen Sammlungsgeschichte aussehen kann.

Dass viele dieser Sammlungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, macht sie zu einem unverzichtbaren Teil der deutschen Museumslandschaft – auch wenn sie oft im Verborgenen blühen. Von Schloss Anholt bis zum Picasso Museum, von der Draiflessen Collection bis zu den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität: Westfalen beherbergt kulturelle Schätze von Weltrang, die es zu bewahren und zu würdigen gilt. Die Tradition lebt fort – in neuen Formen der Kunstvermittlung, in der Verantwortung gegenüber kommenden Generationen und in der Überzeugung, dass Kunst eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die weit über den Besitz hinausweist.

Von Rolevinck

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