Unter den Hochschulen in Westfalen haben sich in den letzten Jahren nur wenige so dynamisch entwickelt wie die Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Eine Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass herausragende Forschung auch in der sog. Provinz möglich ist. Begünstigt wurde diese Entwicklung auch dadurch, dass gleich zu Beginn eine enge Kooperation mit der regionalen Wirtschaft eingegangen wurde. Beispielhaft für die fruchtbare Zusammenarbeit ist u.a. die Smart Factory OWL, die bundesweit für Aufsehen sorgt, sowie die Ansiedlung des Fraunhofer-Anwendungszentrums IOSB-INA, das mittlerweile offizieller Institutsteil für Industrielle Automation des Fraunhofer IOSB ist. Aber auch die Zusammenarbeit mit den anderen Hochschulen in Ostwestfalen-Lippe wird forciert, wie durch eine strategische Kooperation mit der Universität Bielefeld im Bereich Mensch-Maschine-Kommunikation. In der Bevölkerung lösen Themen wie Industrie 4.0 und Robotik häufig Ängste aus. Die Wissenschaftskommunikation ist heute daher wichtiger denn je. Im Interview mit Westfalenlob erläutert der Präsident der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, Prof. Dr. Jürgen Krahl (Foto), warum die Vermittlung verwertbaren Wissens alleine nicht ausreicht, weshalb eine Hochschule den Dialog mit den unterschiedlichen Interessengruppen suchen muss und welches Ziel das Institut für Wissenschaftsdialog (IWD) verfolgt. Darüber hinaus gibt Prof. Dr. Krahl einen Ausblick auf die weitere Entwicklung der Hochschule, wobei der Innovation Campus in Lemgo und der Kreativ Campus in Detmold eine besondere Rolle spielen.
- Herr Prof. Dr. Krahl, auf welchen Feldern wird an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe geforscht und gelehrt?
Lehre, Forschung und Transfer leben wir vornehmlich in vier Profilbereichen: Industrie 4.0, Life Science, Umwelt&Ressourcen sowie Raum&Kultur. Diese Wachstumskerne werden jeweils von mehreren unserer neun Fachbereiche inhaltlich befruchtet.
- Bei der Hochschule Ostwestfalen-Lippe hat die Praxisorientierung naturgemäß einen besonderen Stellenwert – besteht da nicht die Gefahr, die Wissensvermittlung zu sehr auf die Nützlichkeit und Verwertbarkeit auszulegen?
Als Fachhochschule orientieren wir uns natürlich sehr genau an den Anforderungen der Arbeitswelt – das bedeutet sowohl, dass wir bedarfsgerecht ausbilden als auch, dass wir zum Beispiel in Forschungsprojekten eng mit der Industrie kooperieren. Gleichzeitig fördern und fordern wir von unseren Studierenden den Blick über den fachlichen Tellerrand hinaus. Das stellt sich etwa in der Unterstützung von Auslandsaufenthalten während des Studiums dar. Hinzu kommen beispielsweise die Angebote unseres neuen Instituts für Wissenschaftsdialog, kurz IWD.
Der Praxisbezug von Forschung und Lehre bedeutet nicht, dass wir die Studierenden nur zu Nützlingen ausbilden. Gerade das IWD soll den Studierenden den überfachlichen Horizont öffnen und sie befähigen, die Bedeutung ihres Wissens zu erkennen und darüber hinaus interdisziplinäre Schnittstellen zu besetzen.
- Was war der Anlass für die Umbenennung des Instituts für Kompetenzentwicklung in Institut für Wissenschaftsdialog und welche Aufgaben soll das Institut übernehmen?
Es handelt sich hier nicht nur um eine Umbenennung, sondern um eine konzeptionelle Weiterentwicklung: Das Institut für Wissenschaftsdialog baut sehr intensiv auf dem Institut für Kompetenzentwicklung auf – personell wie auch inhaltlich und thematisch. Darüber hinaus bietet das IWD neue Entwicklungsfelder, die direkt mit der Lehre der Fachbereiche sowie mit Forschung und Transfer verbunden sind. Das IWD kann und soll Freiräume bieten, um neue Themen und Handlungsweisen auszuprobieren – sowohl in der grundständigen Lehre, als auch im Zusammenspiel mit Studienanfängern und Graduierten, auf Konferenzen, Symposien und Foren. Eine weitere, sehr wichtige Aufgabe des IWD ist der von uns so genannte Bereich „Forum“, in dem Wissenschaft in die Gesellschaft transferiert wird. Dazu gehört auch unser neues FabLab.
- Wie wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen gefördert – welche Erfahrungen konnten bislang gesammelt werden?
Wir haben wie schon erwähnt neun Fachbereiche, die sich auf die drei Standorte Lemgo, Detmold und Höxter sowie den Studienort Warburg verteilen. Es gibt viele Themen, die stabile Brücken zwischen den Fächerkulturen und den Städten schlagen – ein Beispiel dafür ist die Digitalisierung. Sie ist in Forschung und Lehre in allen unseren Fachbereichen präsent und wird das in Zukunft auch noch stärker sein. Das schafft auch erfolgreiche interdisziplinäre Kooperationen: Ein gutes Beispiel hierfür ist der Studiengang Medizin- und Gesundheitstechnologie, der zum Wintersemester 2017/2018 mit fast 100 Studierenden neu gestartet ist. Er fokussiert die Digitalisierung der Gesundheitsbranche und wird von unseren beiden Fachbereichen Life Science Technologies sowie Elektrotechnik und Technische Informatik gemeinsam getragen. Darüber hinaus bietet die Digitalisierung hervorragende Möglichkeiten zur räumlichen Vernetzung: Beispielsweise haben wir durch die digitalen Medien die Möglichkeit, Veranstaltungen standortübergreifend erreichbar zu machen.
- In der Öffentlichkeit sind technische Themen häufig angstbesetzt – beispielhaft dafür sind die Genetik, die Robotik wie auch die Industrie 4.0 – wie kann eine Hochschule hier für mehr Versachlichung sorgen, wo sind die Grenzen?
Wir haben als Hochschule nicht nur Verantwortung in Lehre und Forschung, sondern auch im Transfer – in diesem Fall im Transfer von Wissen aus der Wissenschaft in die Gesellschaft. Ein schönes Beispiel dafür ist die SmartFactoryOWL. Als gemeinsame Einrichtung der Hochschule OWL und des Fraunhofer IOSB-INA hat die Forschungs- und Demonstrationsfabrik im April 2016 auf dem Lemgoer Campus ihre Türen geöffnet und ist seitdem ein wichtiger Impulsgeber für die Entwicklung der Industrie 4.0. Aber hier verschanzt sich die Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm: Die SmartFactoryOWL ist eine offene Einrichtung – das zeigen wir in Veranstaltungen wie dem „Living Lab“ im Oktober 2017. Zielgruppe dieses für die Zukunft regelmäßig geplanten Formates war die allgemeine Öffentlichkeit. Bürgerinnen und Bürger waren eingeladen, an der Technologieentwicklung mitzuwirken und bisherige Ergebnisse zu bewerten. Denn in der SmartFactoryOWL steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht die Technik. Deshalb wollen wir auch die späteren Anwender früh in die Entwicklungsprozesse einbinden – das beugt der von Ihnen beschriebenen Angstbesetzung vor. Im Juni 2017 ist die SmartFactoryOWL in das europäische Netzwerk ENoLL – kurz für „European Network of Living Labs“ – aufgenommen worden – eine Bestärkung für den interaktiven Ansatz und eine Möglichkeit zum internationalen und interdisziplinären Austausch mit anderen Innovationslaboren.
Zusammengefasst ist es nicht genug, nur zu forschen und zu wissen. Wir müssen auch erklären und die komplexeren Dinge und Zusammenhänge in den Kontext des Alltags stellen können. Andernfalls bewässern wir den Nährboden der Technikangst.
- Welche Aufgaben übernimmt das neu geschaffene Vizepräsidentenamt Kommunikation und Profil an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe – wer sind die Hauptadressaten?
Dem Ressort liegt die Aufgabe zugrunde, die Kommunikation an der Hochschule OWL weiterzuentwickeln. Eine gute Hochschulkultur braucht den Austausch und den Kontakt mit anderen. Dabei geht es um eine Kommunikation, die von innen anfängt und auf allen Ebenen stattfindet. Auch eine gute Außenkommunikation kann sich nur entwickeln, wenn sie eine breite Basis hat – wenn sich also ein möglichst großer Teil der Hochschulangehörigen in den Kommunikationsprozessen wiederfinden kann.
- Die Hochschule Ostwestfalen-Lippe hat sich in den letzten Jahren ausgesprochen dynamisch entwickelt und zu einem wichtigen Forschungsstandort, u.a. im Bereich des Industriellen Internets, entwickelt – ein Beleg für die schöpferische Kraft der vermeintlichen Provinz?
Diese Entwicklung zeigt einmal mehr, dass im Zeitalter der Digitalisierung geographische Gegebenheiten an Bedeutung verlieren. Mit engagierten Professorinnen und Professoren, kreativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und motivierten Studierenden ist es egal, ob eine Hochschule im Herzen einer Metropole oder in einer Kleinstadt im ländlichen Raum angesiedelt ist – die Dynamik der Forschung spielt sich in den Köpfen ab und wird durch die Datenautobahnen transportiert. Zudem ist Ostwestfalen-Lippe nicht ausschließlich ländlich geprägt, sondern ein wichtiger Industriestandort im Herzen Deutschlands – und schon damit geradezu prädestiniert, Forschung, Lehre und Transfer auf internationalem Niveau, aber mit der Bodenhaftung des Mittelstands zu entfalten.
- Für die nächsten Jahre ist die Errichtung eines Innovation Campus in Lemgo geplant, der in dieser Form in der Region Ostwestfalen-Lippe einzigartig sein wird. Was erhoffen Sie sich als Präsident der Hochschule Ostwestfalen-Lippe davon?
Die Entwicklung des Innovation Campus Lemgo wird von der Stadt Lemgo, dem Kreis Lippe, unserer Hochschule und von der Fraunhofer-Gesellschaft vorangebracht. Fraunhofer ist auch in diesem Sinn ein Juwel auf dem Innovation Campus, auf dem auch zwei Berufskollegs ansässig sind: das Hanse- und das Lüttfeld-Berufskolleg. Die Grundidee ist der harmonische Vierklang aus Lernen, Forschen, Arbeiten und Leben auf dem Campus – eine ideale Voraussetzung für Innovation!
Auch für unsere Studierende ist das wertvoll, da sie durch Kooperationen mit Unternehmen am Puls der Zeit ausgebildet werden oder Studentenjobs in räumlicher Nähe finden und sich durch die Campus-Attraktivität einfach wohler fühlen. Die große Chance für die Hochschule ist, dass wir uns so noch mehr als heute mit unseren Stärken regional, national und international profilieren können. Im Bereich der Automatisierung und der additiven Fertigung ist uns das schon sehr gut gelungen. Wir bauen zeitnah analog zur SmartFactoryOWL eine SmartFoodFactory und dehnen unsere Forschungen dann noch mehr im Bereich der Lebensmittel aus.
- Wie kann um die Hochschule und Lemgo herum ein florierendes, nachhaltiges Startup-Ökosystem entstehen?
Mit dem KnOWLedgeCUBE haben wir Ende 2016 eine sichtbare Anlaufstelle zum Thema Existenzgründung auf dem Lemgoer Campus geschaffen. Er ist jedoch nur ein erster Schritt: Künftig soll es vergleichbare Angebote an allen unseren Standorten geben. Dabei werden wir fachspezifisch an die jeweiligen Profilbereiche andocken, damit jeder Gründungswillige eine passgenaue Unterstützung erhält. Ein weiterer Schritt ist das „Innovationslabor OWL“, bei dem neben der Hochschule OWL die Unis Bielefeld und Paderborn sowie die FH Bielefeld beteiligt sind. Dieses Projekt erhält eine Förderung von 1,6 Millionen Euro für drei Jahre; gestartet ist die Umsetzung im September 2017. Neben der intensiven Begleitung von Gründungswilligen ist auch ein Scouting geplant, um Potenziale früh zu entdecken. Außerdem wollen wir das Thema in der Lehre verankern: Hierfür führen wir Gespräche zur Einwerbung einer Stiftungsprofessur.
Wo soll die Hochschule Ostwestfalen-Lippe in fünf Jahren stehen?
In fünf Jahren ist nicht nur der Ausbau des Innovation Campus Lemgo weiter vorangeschritten. Denn mit ebenso viel Energie treiben wir derzeit die Entwicklung in Detmold voran. Hier stärkt der Umzug des Fachbereiches Medienproduktion von Lemgo nach Detmold den Campus der Hochschule OWL, auf dem künftig die Studierenden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Architektur, Innenarchitektur und dem Bauingenieurwesen sowie der Medienproduktion in intensivem Austausch stehen werden. Der dort immer mehr Kontur gewinnende Kreativ Campus Detmold wird in ein Kreativ Quartier eingebunden sein, in dem sich unsere Hochschule, die Hochschule für Musik, die Kreativwirtschaft, Kulturschaffende sowie die Stadt Detmold mit ihren Einrichtungen und mit ihrer Bürgerschaft gegenseitig befruchten – die Planungen dazu laufen und in fünf Jahren sind wir auch hier entscheidend weiter.
Ein Projekt, das uns im regionalen Kontext während der nächsten fünf Jahre beschäftigen wird, ist die „Regionale 2022“ des Landes NRW. Der Zuschlag für Ostwestfalen-Lippe in diesem Regionalentwicklungsprogramm wird das Netzwerk innerhalb der Region noch weiter stärken und helfen, OWL für die Zukunft aufzustellen. Unsere Hochschule wird zum Gelingen dieses großen Regionalprojekts deutlich beitragen.
- Herr Prof. Dr. Krahl, vielen Dank für das Gespräch!