In einem Festakt im Hohen Dom zu Paderborn sollte das 1250-jährige Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung Westfalens gefeiert werden – ein bedeutendes historisches Ereignis mit großer regionaler, kultureller und auch religiöser Bedeutung. Erwartet wurde eine würdige, vielleicht auch innovative, aber dennoch thematisch passende Feier, die die Geschichte, Identität und Entwicklung Westfalens in den Mittelpunkt stellt.
Die künstlerische Performance
Eine künstlerische Performance des Ensembles Bodytalk mit dem Titel „Westfalen Side Story“ interpretierte den Auftrag offenbar sehr frei und setzte auf provokante, zeitgenössische Ausdrucksformen. Die Darbietung beinhaltete unter anderem halbnackte Darsteller, die mit Sensen und in Windeln gewickelten, ausgenommenen Hähnchen vor dem Altar des Doms auftraten. Begleitet wurde die Szene von einer umgedichteten Version des Songs „Live is Life“, die als „Fleisch ist Fleisch“ vorgetragen wurde. Die Performance griff damit Themen wie Massentierhaltung, Fleischkonsum, Klima, Ökologie und Nachhaltigkeit auf – alles gesellschaftlich relevante Fragen, die aber auf den ersten Blick wenig direkten Bezug zur Geschichte oder Identität Westfalens haben.
Wahrgenommene Diskrepanz
Viele Beobachter, Gäste und vor allem Gläubige empfanden die Darbietung als thematisch deplatziert. Die Inszenierung wurde als politische Botschaft wahrgenommen, die aktuelle gesellschaftliche Debatten (Klimawandel, Tierwohl, Landwirtschaft) in den Vordergrund stellte – und damit den eigentlichen Jubiläumsanlass, nämlich die Feier Westfalens, überlagerte oder gar verdrängte.
Das Erzbistum Paderborn distanzierte sich nachträglich deutlich von der Performance. Es erklärte, im Vorfeld keine Kenntnis vom konkreten Inhalt der Darbietung gehabt zu haben, bedauerte ausdrücklich die Verletzung religiöser Gefühle und kündigte interne Überprüfungen sowie eine Überarbeitung der Abläufe zur Freigabe von Veranstaltungen im Dom an. Auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) als Mitveranstalter äußerte Bedauern und betonte, eine solche Wirkung sei nicht beabsichtigt gewesen.
Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung dieses Programmpunktes war im Vorfeld weder den Verantwortlichen seitens der Veranstalter noch des Veranstaltungsortes bekannt.
Sowohl der LWL als auch das Erzbistum Paderborn bringen ihr ausdrückliches Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die Performance religiöse Gefühle verletzt hat.
Kunstfreiheit vs. Kontext
Kunst darf und soll auch provozieren und Debatten anstoßen. Allerdings spielt der Kontext eine entscheidende Rolle:
- Ort: Der Dom als sakraler Raum verlangt besonderen Respekt und Sensibilität.
- Anlass: Ein historisches Jubiläum erwartet einen Bezug zur Region, ihrer Entwicklung und Bedeutung.
- Zielgruppe: Viele Gäste waren auf einen festlichen, identitätsstiftenden Akt eingestellt.
Die Kombination aus provokanter Kunst, politischer Botschaft und sakralem Raum wurde von vielen als unpassend empfunden, weil der Bezug zum Anlass fehlte und stattdessen eine gesellschaftspolitische Agenda im Vordergrund stand – eine Einschätzung, der sich der Verfasser (RK) anschließt.
Fazit
Die Debatte zeigt, wie wichtig es ist, bei offiziellen Anlässen den thematischen Rahmen und das Publikum zu berücksichtigen – gerade, wenn der Veranstaltungsort eine so starke symbolische Bedeutung hat wie der Paderborner Dom.
Kunstfreiheit ist wichtig, aber sie sollte nicht den Anlass und den Rahmen sprengen – und vor allem nicht die Gefühle derjenigen verletzen, für die der Ort und das Ereignis eine besondere Bedeutung haben.
Der LWL gibt in der Sache keine gute Figur ab. Es ist für den Verfasser (RK) nur schwer vorstellbar, dass niemand beim LWL in die Pläne – wenigstens in groben Zügen – eingeweiht war. Alles andere wäre m.E. für so ein wichtiges Ereignis realitätsfremd – die andere Alternative, d.h. Gleichgültigkeit gekleidet in einem Bekenntnis zur Kunstfreiheit, wäre ebenso unbefriedigend. Den Festakt hat man jedenfalls mal so richtig versemmelt und sich überdies noch bundesweit zum Gespött gemacht. Was Peinlichkeit betrifft, hat der LWL einen Benchmark („Wie man es auf keinen Fall machen sollte“) gesetzt – immerhin. Die Kernaufgabe des LWL ist es, sich um die Außendarstellung Westfalens zu kümmern und den Bürgerinnen und Bürgern bei der Gelegenheit zu vermitteln, wozu er gut ist. Wenn er das selbst bei einem Event, das nur alle 25 Jahre feierlich begangen wird, nicht hinbekommt, dann stellt sich die Frage, ob die Verantwortung für das Außenbild Westfalens beim LWL in guten Händen ist.
Dass sich das Erzbistum ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert hat und anscheinend nicht mehr in der Lage oder Willens ist, den sakralen Raum zu schützen, ist bedrückend, aber angesichts der desolaten Performance, welche die katholische Kirche in den letzten Jahren abgibt, nicht wirklich überraschend. Allerdings ist es nicht die primäre Aufgabe des Erzbistums Paderborn sich um die Außendarstellung Westfalens zu kümmern.
Noch weitere Anmerkungen:
Es drängt sich langsam der Eindruck auf, dass heutzutage jeder festliche Anlass von einigen Gruppen dazu genutzt wird, ihre – an sich durchaus legitimen und diskussionswürdigen – gesellschaftspolitischen Ansichten zu transportieren, ganz gleich, ob die Situation dafür die richtige ist. Im Rahmen des Jubiläums gibt es sicherlich andere Veranstaltungen, in denen man durchaus die Themen Tierwohl, Fleischkonsum und Ökologie adressieren kann – gerade weil Westfalen in Sachen Fleischverarbeitung eine Spitzenposition einnimmt. Aber der zwanghafte Drang, andere mit den eigenen Ansichten bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu behelligen und den moralischen Zeigefinger zu erheben, ist nicht nur unkreativ, sondern auch kontraproduktiv und eindimensional.
Quellen:
Erzbistum Paderborn distanziert sich von umstrittener Veranstaltung im Dom
Hähnchen in Windeln vor dem Altar – Konservative Christen sind empört, Bistum entschuldigt sich