Von Ralf Keuper
An der Robotik scheiden sich nicht nur in Westfalen häufig die Geister. Für einige ist sie eine ernsthafte Bedrohung für die Arbeitsplätze, die sich längst nicht mehr auf die Industrie beschränkt, für andere dagegen ist sie ein Segen, der uns ein Zeitalter frei von Arbeit und anderer “Plage” bescheren wird.
Vergleichsweise sicher ist, dass die Robotik noch längst nicht am Ende ihrer Entwicklung angelangt ist. Unklar sind dagegen, wie schon erwähnt, die Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft.
Ein Ort in Deutschland, an dem auf dem Gebiet der Robotik seit Jahren auf höchstem Niveau geforscht wird, ist der Exzellenzcluster Cognitive Interaction Technology (CITEC) an der Universität Bielefeld.
Koordinator des Exzellenzclusters ist Prof. Dr. Helge Ritter, der für seine Forschungen u.a. mit dem Leibnizpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet wurde. Aus der Würdigung:
…Seine interdisziplinär ausgerichteten Arbeiten zeigen, welchen Anteil prärationale Prozesse an natürlichem intelligenten Verhalten besitzen, in welcher Weise diese bereits in einfach gebauten Nervensystemen zu finden sind und wie sie durch neuronale Netze modelliert werden können. Damit übernimmt Ritter eine herausragende Rolle bei der Erforschung sogenannter intelligenter Leistungen.
Daneben ist Prof. Dr. Ritter Gründungsdirektor des Forschungsinstituts für Kognition und Robotik (CoR-Lab), das ebenfalls an der Universität Bielfeld angesiedelt ist. Seit 2007 werden dort neue Technologien und Verfahren für intelligente Maschinen entwickelt. Das Institut testet und optimiert seine Entwicklungen in Transferprojekten mit Industriepartnern.
Manuelle Intelligenz für Roboter
Häufig beschränkt sich die Diskussion über die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz darauf, die Funktionen des menschlichen Gehirns zu simulieren. Dabei geht die Bedeutung der Hand als Werkzeug des Geistes unter. In ihrer Forschung beschäftigen sich die Bielefelder Wissenschaftler u.a. mit der Frage, inwieweit Roboter in der Lage sind, die manuellen Fähigkeiten der Menschen nachzubilden, Roboter gefühlvoll zu machen. Ritter spricht in dem Zusammenhang von Manueller Intelligenz. In dem Vortrag Von Bewegung zu Begreifen – Manuelle Intelligenz für Roboter (Audio-Aufzeichnung: http://www.awhamburg.de/fileadmin/redakteure/Podcasts/2013-04-11_Ritter.mp3) erläutert Prof. Dr. Ritter die Herausforderungen, mit denen die Robotik bei dem Versuch konfrontiert ist, die komplexen Koordinationsvorgänge der menschlichen Hand auf Roboter zu übertragen. Was für uns mehr oder weniger selbstverständliche Handlungen des Alltags sind, wie das Drehen eines Türknaufs, das Falten von Papier oder das Öffnen einer Flasche mit Drehverschluss, ist für einen Roboter eine enorme Herausforderung. Wie bekommen wir die Greifmannigfaltigkeit des Menschen in den Roboter? Wie kann ein Roboter die bimanuale Koordination anthropomorpher Hände simulieren?
Ein Weg führt über die Mustererkennung und die Bildung von Kategorien. Dabei werden u.a. Computersehsysteme, Tastsensoren (Taktile Erkennung von Objekten) und Bewegungstracking eingesetzt. Mit der Zeit, in fortlaufenden Tests, verfeinert der Roboter seine Fähigkeiten. Selbst der Mensch kann in seinem Leben die Greifmannigfaltigkeit, die ihm biologisch mitgegeben ist, nicht ausschöpfen, d.h. die Kombinationsmöglichkeiten, die mit den 20 Bewegungsfreiheitsgraden und drei möglichen Stellungen (Gelenkwinkeln) der Hand gegeben sind, können wir während unseres Lebens nicht ausprobieren. Wir realisieren nur eine geringe Teilmenge der Möglichkeiten. So auch der Roboter, wenngleich – derzeit jedenfalls – in deutlichem geringerem Umfang als der Mensch. Erleichtert wird die Forschung dadurch, dass für Handlungen immer nur ein Teil der Gelenke benötigt wird, der Roboter – prinzipiell – also nicht über alle Kombinationsmöglichkeiten der menschlichen Hand verfügen muss.
Einen weiteren Überblick gibt der Vortrag Cognitive Interaction Technology. Darin wird Manuelle Intelligenz ab Min. 12 behandelt.
Sprache als Greifprozess
Als Werkzeug des Geistes hat die Hand auch einen Einfluss auf unsere Sprache bzw. unseren Sprachgebrauch. Ausdrücke wie „begreifen“ oder Redewendungen wie „Er bekommt die Sache in den Griff“ oder „Es ist zum Greifen nah“, „Es liegt auf der Hand“ oder „es ist mit Händen zu greifen“ weisen darauf hin. Laut Ritter bekommen wir über Worte Zugriff auf gedankliche Objekte im Gegenüber, die dort Veränderungen, z.B. im Verstehen oder Verhalten, bewirken können. Auf diese Weise leistet die Manuelle Intelligenz, das tiefere Verstehen von Händen, einen Beitrag zum Verständnis von Kognition und Lernen. Begriffe und Verstehen sind in unserem physikalischen Handeln verankert. Hände sind eine Brücke zur Welt. Nicht das Aussehen der Objekte ist entscheidend, sondern das, was man mit ihnen machen kann. Roboter mit manueller Intelligenz ausgestattet können daher auch wichtige Hinweise darauf liefern, wie wir selbst Kategorien während unseres Handelns bilden und wie Kognition und Lernen zusammenhängen. Damit lässt sich die Mensch-Maschine-Interaktion immer weiter verbessern.
KogniHome – die mitdenkende Wohnung
Zusammen mit den von Bodelschwinghschen Anstalten und weiteren Partnern entwickelt das Exzellenzcluster für Kognitive Interaktionstechnologie die mitdenkende Wohnung KogniHome.
Zum Ziel:
Eine Wohnung, die die Menschen in ihrem Alltag unterstützt – ausgestattet mit intelligenter, lernender Technik, die einfach durch Sprache oder Gestik bedient werden kann. Gerade die intuitive Steuerung bietet für Senioren und Menschen mit Behinderung eine Chance, länger in den eigenen vier Wänden zu wohnen
Achse Bielefeld – Lemgo
Im September letzten Jahres gaben das Fraunhofer IOSB-INA Lemgo und die Technische Fakultät der Universität Bielefeld bekannt, gemeinsam eine Professur für Kognitive Automatisierung ins Leben zu rufen. In der Pressemitteilung heisst es dazu:
Die Professorin oder der Professor forscht und lehrt künftig an der Technischen Fakultät der Universität Bielefeld und leitet gleichzeitig die neu einzurichtende Abteilung für Kognitive Automatisierungstechnologien im Fraunhofer-Zentrum in Lemgo.
Von der Kooperation erhoffen sich die Beteiligten einen Schub für die Entwicklung mitdenkender Maschinen in der industriellen Produktion.
Fazit:
Mit dem CoR-Lab und CITEC ist die Region Ostwestfalen-Lippe prominent in einer der zukunftsträchtigsten Wissenschaftsdisziplinen vertreten. Die Ergebnisse der Forschung haben direkt oder indirekt großen Einfluss auf unseren Alltag. Die Wirtschaft profitiert im Idealfall dadurch, dass ihre Maschinen intelligenter werden, ohne die Menschen dabei zu Statisten zu degradieren. Im Vordergrund steht die Interaktion. Menschen und Roboter nähern sich an und lernen voneinander. Es versteht sich von selbst, dass ethische Fragen sowie das Thema Datenschutz dabei berücksichtigt werden müssen.
Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei Prof. Dr. Ritter, der sich die Zeit genommen hat, mir die Forschung im CITEC zu erläutern und bei einem Rundgang zu zeigen, sowie bei Frau Strunk für die Terminkoordination.
Weitere Informationen:
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