Zwischen Kunsttempeln und Kuriosenkabinetten, zwischen Industriegeschichte und sakraler Pracht – Westfalens Museen erzählen tausend Geschichten. Eine Entdeckungsreise durch eine der reichhaltigsten Kulturlandschaften Deutschlands.
Es gibt Regionen, die ihre kulturelle Identität laut und deutlich verkünden. Und dann gibt es Westfalen – eine Landschaft, die ihre Schätze mit einer gewissen nordwestdeutschen Zurückhaltung präsentiert, dabei aber eine Museumsvielfalt bereithält, die ihresgleichen sucht. Wer durch diese Region reist, begibt sich auf eine Entdeckungsreise, die von den großen Fragen der Kunst bis zu den kleinen Wundern des Alltags reicht.
Die Kathedralen der Kunst
Das Landesmuseum für Kunst und Kultur in Münster mag das Flaggschiff sein, das nach umfangreichen Umbauarbeiten ab Herbst 2014 in neuem Glanz erstrahlt, doch die westfälische Kunstlandschaft gleicht eher einer Flotte: Die Kunsthalle Bielefeld mit ihrem legendären Philip-Johnson-Bau, das MARTa Herford, das bereits durch seine dekonstruktivistische Architektur von Frank Gehry zum Kunstwerk wird, das Museum für Gegenwartskunst in Siegen, das Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, das Skulpturenmuseum Glaskasten in Marl, das Museum Ostwall im markanten Dortmunder U – jedes dieser Häuser verfolgt seine eigene kuratorische Vision. Das Osthaus Museum in Hagen erinnert daran, dass Westfalen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Zentrum moderner Kunstbegeisterung war. Das Kunstmuseum Bochum, die Kunsthalle Recklinghausen, das Kunstmuseum Gelsenkirchen, das Kunstmuseum Ahlen, das Gustav Lübcke-Museum in Hamm und das Kunstmuseum Pablo Picasso in Münster erweitern das Spektrum. Und dann ist da noch das ungewöhnliche Museum Kloster Bentlage in Rheine, wo sakrale Architektur und zeitgenössische Kunst einen faszinierenden Dialog eingehen.
Besonders bemerkenswert: Diese Kunstinstitutionen verteilen sich nicht nur auf die großen Städte. Ahlen, Marl, Recklinghausen, Gelsenkirchen, Hamm – Orte, die man vielleicht nicht sofort mit Hochkultur assoziiert, beherbergen beachtliche Sammlungen. Diese demokratische Verteilung von Kunst spiegelt etwas typisch Westfälisches wider: die Überzeugung, dass Kultur nicht Privileg einiger weniger Zentren sein sollte.
Bildung als Abenteuer
Westfalen hat eine besondere Beziehung zum Industriezeitalter, und die großen Bildungsmuseen erzählen davon mit beeindruckender Intensität. Das Deutsche Bergbaumuseum in Bochum führt seine Besucher in die Tiefen unter Tage, wo Generationen von Bergleuten ihre Gesundheit und oft ihr Leben riskierten. Die DASA Arbeitswelt-Ausstellung in Dortmund stellt die große Frage: Wie hat Arbeit den Menschen geformt – und wie formt der Mensch seine Arbeit?
Das HeinzNixdorfMuseumsforum in Paderborn wiederum ist ein Monument der digitalen Revolution, das größte Computermuseum der Welt, angesiedelt ausgerechnet in einer Stadt, die man historisch eher mit Kaiserkrönungen und Kirchengeschichte verbindet. Hier wird deutlich: Westfalen ist keine Region, die in der Vergangenheit verharrt. Das Geomuseum und das LWL-Museum für Naturkunde in Münster runden das Bildungsangebot ab und erinnern daran, dass Wissensvermittlung auch Staunen bedeuten kann.
Kulturgeschichte zum Anfassen
Die Freilichtmuseen in Detmold und Hagen gehören zum Eindrucksvollsten, was die deutsche Museumslandschaft zu bieten hat. Hier wird Geschichte nicht hinter Glas präsentiert, sondern begehbar gemacht. Das LWL-Freilichtmuseum Detmold, das größte seiner Art in Deutschland, ist ein ganzes Dorf aus vergangenen Jahrhunderten, wo Fachwerkhäuser ihre Geschichten erzählen und alte Handwerkstechniken wieder zum Leben erweckt werden.
Daneben erzählt das Westfälische Museum für Klosterkultur in Dahlheim von der spirituellen Dimension westfälischer Geschichte, während das Weserrenaissance-Museum Schloss Brake in Lemgo jene Epoche lebendig werden lässt, in der Westfalen architektonisch seine vielleicht eleganteste Phase erlebte. Das Siegerlandmuseum in Siegen, das Sauerlandmuseum in Arnsberg, das Museum Eslohe, das LWL-Museum für Archäologie in Herne, das Westfälische Museum für Religiöse Kultur in Telgte, das Kulturgut Haus Nottbeck und Gut Böckel dokumentieren weitere Facetten regionaler Identität. Das Museum Burg Hülshoff in Havixbeck schließlich erinnert an Annette von Droste-Hülshoff und daran, dass aus dieser vermeintlich nüchternen Region einige der bedeutendsten deutschen Dichter hervorgingen.
Die faszinierende Welt der Spezialsammlungen
Doch der wahre Reichtum der westfälischen Museumslandschaft offenbart sich in jenen kleineren, hochspezialisierten Häusern, die sich einzelnen Phänomenen mit geradezu obsessiver Leidenschaft widmen. Das Ikonen-Museum Recklinghausen beherbergt eine der bedeutendsten Sammlungen außerhalb orthodoxer Länder. Das Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna hat sich in einem ehemaligen Brauereigebäude einem der flüchtigsten aller Kunstmaterialien verschrieben: dem Licht selbst. Das Westfälische Glockenmuseum in Gescher lässt die Geschichte des Glockengusses erklingen, während das Medizin- und Apothekenmuseum in Rhede von der Heilkunst vergangener Jahrhunderte erzählt.
Selbst Baumaterialien haben hier ihre eigenen Tempel gefunden: Das Grünsandsteinmuseum in Soest und das Baumberger-Sandsteinmuseum in Havixbeck würdigen jene Steine, aus denen Westfalens Architektur gebaut ist. Das Brauerei-Museum in Dortmund, das Glasmuseum in Coesfeld und das Deutsche Tabakmuseum in Bünde dokumentieren Handwerkstraditionen und Genussmittelkulturen.
Und dann gibt es die wahren Kuriositäten, Museen, die man nirgendwo sonst finden würde: Ein Heringsfängermuseum in Heimsen? Ein Westfälisches Karnevalsmuseum in Menden, obwohl Westfalen doch eigentlich nicht für seine Karnevalstradition bekannt ist? Das Puppenmuseum Tecklenburg? Ein Museum der Belgischen Streitkräfte in Deutschland in Soest? Ein Deutsches Fächermuseum in Bielefeld? Diese Häuser zeugen von einer Sammelleidenschaft, die keine Hierarchien kennt zwischen „hoher“ und „niederer“ Kultur, zwischen dem Bedeutenden und dem scheinbar Marginalen.
Technik und Tempo
Die automobile und technische Geschichte Westfalens findet ihre Heimat in einer ganzen Reihe spezialisierter Museen. Vom Automuseum Stadtlohn über das Motor Technica Museum Bad Oeynhausen, das Motorradmuseum Heiner Beckmann in Harsewinkel-Greffen bis zum Claas-Museum TECHNOPARC in Harsewinkel, das die Geschichte eines der bedeutendsten Landmaschinenhersteller dokumentiert – hier wird die Faszination für Mechanik, Geschwindigkeit und Innovation spürbar. Das Deutsche Traktoren- und Modellautomuseum in Paderborn, das Siku-Wilking-Museum in Lüdenscheid und das Eisenbahn-Museum Bochum runden das Angebot ab. Diese Museen sind keine nostalgischen Rückzugsorte, sondern erzählen von Innovationsgeist und Fortschrittsglauben, von der Transformation einer agrarischen in eine industrielle Gesellschaft.
Sakrale Schätze
Das Diözesanmuseum Paderborn, das Bischöfliche Diözesanmuseum in Münster und die Mindener Domschatzkammer bewahren jene sakrale Kunst, die über Jahrhunderte die bedeutendste kulturelle Ausdrucksform war. Gold und Edelsteine, mittelalterliche Handschriften und liturgische Gewänder – hier offenbart sich eine Pracht, die im starken Kontrast zur westfälischen Reputation der Nüchternheit steht.
Epilog: Die Zukunft hat schon begonnen
Mit dem DFB-Fußballmuseum in Dortmund schreibt Westfalen ein weiteres Kapitel seiner Museumsgeschichte. Dass ausgerechnet der deutsche Fußball seine nationale Gedenkstätte im Herzen des Ruhrgebiets findet, ist nur konsequent – hier, wo der Sport Identität stiftete, als die Zechen ihre Tore schlossen.
Was macht diese westfälische Museumslandschaft so besonders? Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Hochkultur und Alltagsgeschichte, aus internationaler Kunst und lokaler Kuriosität, aus Bildungsanspruch und Unterhaltungswert. Westfalen zeigt: Ein Museum muss nicht in Berlin oder München stehen, um bedeutend zu sein. Manchmal liegen die interessantesten Geschichten in Havixbeck, Gescher oder Heimsen – man muss nur bereit sein, sie zu entdecken.
