Von Ralf Keuper

Die 68er – Bewegung hat auch in Westfalen Spuren hinterlassen. Sicher – das ist ist nicht wirklich überraschend. Jedoch hat sich in der Öffentlichkeit über einen langen Zeitraum der Eindruck verfestigt, die Aktionen der 68er hätten sich überwiegend in den Metropolen abgespielt; die sog.

Provinz wäre im Vergleich dazu nur eine Art Nebenkriegsschauplatz gewesen. Zwar haben die 68er in Westfalen mit keinen spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam gemacht, die überregional oder gar international ein Echo ausgelöst haben; trotzdem nahm die Region, u.a. durch Vermittlung der Universitätsstädte Münster, Bochum und Bielefeld die Impulse nicht nur auf, wie Thomas Großbölting in seinem Buch 1968 in Westfalen anmerkt:

Über Westfalen hinaus wurden nur wenige Gegebenheiten bekannt oder aufgegriffen. So war zum Beispiel das Format und der Name des in Bünde 1970 gestarteten und in Vlotho erneut verwendeten „Umsonst & Draußen“-Musikfestivals ein Vorbild für viele Veranstaltungen in anderen Orten, ohne dass es aber deswegen die Musikveranstaltung in Westfalen selbst in irgendeiner Art und Weise mit einer Gründungslegende ausgestattet worden wäre. Der aus Gronau stammende Udo Lindenberg hat zwar im Jahr 1968 bereits musiziert, aber erst seit den 1980er Jahren als Deutschrocker tatsächlich Akzente gesetzt.

Weiterhin:

Prägend aber war nicht der große politische Knall oder die Sensation. Stattdessen machen die vielen kleinen Konflikte und daraus resultierenden Regelverschiebungen die Bedeutung von „1968“ aus: Die Institutsbesetzung im November 1968 im damaligen Bochum-Querenburg, das Go-In in die Christmette des Jahre 1968 in Gütersloh oder die „Schlacht um das Fürstenberghaus“ im Juni 1969 in Münster – keines dieser oder der vergleichbaren Ereignisse in Westfalen erreichte bundesweit Aufmerksamkeit. Jedes aber konnte für sich verbuchen, dass es im unmittelbaren Umfeld für wichtige Veränderungen der bisherigen Gegebenheiten stand.

In Westfalen brachen sich die Änderungen, welche von 1968 ausgingen, eher gemächlich, dafür aber nicht minder wirkungsvoll Bahn:

Auch wenn es in Westfalen wie in vielen anderen Teilen der Bundesrepublik nie zu einer radikalen und vereinten Protestbewegung „1968“ kam, bewirkten die vielen unterschiedlichen Einzelgruppen und -aktivitäten doch einen solchen tiefgreifenden anhaltenden Wandel. Dass dieser in der Auseinandersetzung mit dem „langen 1968“ erreichte Zugewinn an Demokratiefähigkeit und Liberalität keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt sich gerade in den vergangenen Jahren angesichts eines erstarkenden Rechtspopulismus und anderer Ausgrenzungsbewegungen nur allzu oft.

Würdigung:

Das Buch zeigt, dass die 1968er-Bewegung ohne Berücksichtigung ihrer Auswirkungen in der „Provinz“ nicht verstanden werden kann, zumal Deutschland – damals wie heute – überwiegend ländlich geprägt ist. 1968 war eben nicht nur Berlin, Hamburg oder Frankfurt. Nach Ansicht von Hans-Jürgen Krysmanski spielte Münster 1968 sogar in der Oberliga:

 „Münster hat intellektuell in der Oberliga der Studentenbewegung gespielt!“ Mehr noch: Neben Berlin und Frankfurt habe die westfälische Stadt als eines der Zentren der 68er-Bewegung gegolten. Dass er Münster einmal so loben würde, hätte sich der junge Krysmanski nicht träumen lassen, als er 1960 aus dem weltoffenen Hamburg ins vermeintlich verschlafene Domstädtchen kam. Der Kontrast war offensichtlich: Statt Kiez stand Kirche hoch im Kurs, statt Beatles zu hören, betete man. „Es war schrecklich! Es war wirklich provinziell!“ lästert Krysmanski noch heute (Woodstock in Westfalen. Vor 40 Jahren gingen die Studenten auch in Münster auf die Straße).

Übrigens: Ungefähr zehn Jahre vor 1968 studierte Ulrike Meinhof in Münster. Dort machte sie zum ersten Mal öffentlich auf sich aufmerksam:

Am 20. Mai 1958 sprach Meinhof bei einer Kundgebung von Atomwaffengegnern in Münster erstmals öffentlich. Ab Juni bereitete sie einen Anti-Atom-Kongress in Westberlin mit vor, gründete dazu die Studentenzeitschrift Das Argument und berichtete darin mit Jürgen Seifert laufend über die westdeutschen Anti-Atom-Ausschüsse. Deren Zusammenarbeit mit konkret organisierte ihr Freund Reinhard Opitz. Er war Mitglied der seit 1956 verbotenen KPD. Im Juli trat Meinhof in den SDS Münster ein. Im Hauptausschuss der Anti-Atom-Initiativen setzte sie durch, dass mit konkret kooperierende Initiativen geduldet wurden (Wikipedia).

Kurzum: Ein wichtiges Buch, das ein bislang wenig beachtetes Kapitel der jüngeren westfälischen Geschichte ans Licht holt.

Von Rolevinck

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