Friedrich Spee war ein Kind seiner Zeit. Für ihn war es – entgegen allen anachronistischen Verzerrungen unserer Tage – kein Widerspruch, an die Vernunft der Zeitgenossen zu appellieren und gleichzeitig an die Existenz von Hexen zu glauben. Der populäre Mythos, Spees Vernunftverständnis sei der Ausfluss einer aufklärerischen Rationalität, kann in ihrer Pauschalität nicht aufrecht erhalten werden. Daher stellt sich die Frage, was an Spees Werk bemerkenswert bleibt, wenn die wegweisende Radikalität seiner Kritik so stark zu relativieren ist? Die Antwort liegt einerseits in seiner Person und andererseits in dem Aufbau seiner Cautio Criminalis. …

Zu seiner Cautio Criminalis: Friedrich Spee ist an vielen Stellen seines Buches nicht originär, sondern nutzt Argumente, die teilweise schon von seinen Vorgängern verwendet worden sind. Allerdings liegt das Spezifikum seiner Schrift in der gewählten Ich-Form. Dank ihres Gebrauchs kann der Leser sich mit dem Geschriebenen identifizieren, d.h. sich in die Situation einer angeblichen Hexe hineinversetzen, ihre Verzweiflung und Hilflosigkeit, sogar die Schmerzen der Folter nachempfinden. Der Rezipient wird förmlich gezwungen, sich selbst zu fragen, ob er die gleichen Qualen ertragen könnte oder doch dem physischen und psychischen Druck der Tortur nachgäbe, dem Inquisitor beliebige Namen angeblicher Teufelsbündnerinnen nennen und sich selbst als Hexe bezichtigen würde. Die Darstellungsform ist das Einmalige an der Cautio Criminalis, weil sie eine Identifikation mit den Opfern ermöglicht und gleichzeitig die Funktion des Gewissens übernimmt, das den Leser an das Gebot der Nächstenliebe erinnert.

Vor allem dieser moralische Impetus, verbunden mit einer humanistischen Ernsthaftigkeit ist dafür verantwortlich, dass die Persönlichkeit Friedrich Spees nach wie vor beeindruckt und sein Hauptwerk Cautio Criminalis, seit Leibniz über die Jahrhunderte hinweg immer wieder zu einer kritischen Auseinandersetzung einlädt.

Quelle: Glaubte Friedrich Spee an Hexen? Einige kritische Gedanken zur Cautio Criminalis von Sarah Masiak, in: Paderborner Historische Mitteilungen, Jg. 24, 2011

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