Von Paderborn bis zum Vatikan, von Reformatoren bis zu Kardinälen – Westfalen hat über Jahrhunderte hinweg Kirchengeschichte geschrieben. Eine Region, die nicht nur theologische Debatten entfachte, sondern auch die höchsten Würdenträger der christlichen Kirchen hervorbrachte.


Es gibt Landstriche, die in der Geschichte vor allem durch weltliche Macht glänzen oder durch militärische Stärke. Westfalen hingegen hat sich einen anderen Ruf erworben: als geistliches Zentrum, als Brutstätte theologischen Denkens und als Kaderschmiede kirchlicher Würdenträger. Was im Mittelalter mit Bischof Meinwerk von Paderborn begann, dessen architektonischer Einfluss noch heute im Stadtbild sichtbar ist, entwickelte sich über die Jahrhunderte zu einer bemerkenswerten Tradition.

Die Reformation als Wendepunkt

Mit der Reformation endete die uneingeschränkte Vorherrschaft der katholischen Kirche auch in Westfalen. Der Humanismus bereitete den Boden – Denker wie Alexander Hegius, Rudolf von Langen und Dietrich Coelde ebneten den Weg für neue theologische Perspektiven. Hermann Hamelmann, nicht umsonst als „Reformator Westfalens“ bezeichnet, verhalf der reformatorischen Bewegung in der Region zum Durchbruch. In Lippe übernahmen Simon von Exter und Graf Bernhard III. diese Rolle, während Nikolaus Krage vor allem in Minden wirkte.

Doch sie standen nicht allein: Theodor Fabricius verband Humanismus und Reformation, Melchior Cornäus brachte evangelische Ideen in die ländlichen Regionen, Johannes Schallermann markierte als letzter katholischer Bischof von Minden den Übergang in die neue Zeit, während Johannes Gropper als Vermittler zwischen den Konfessionen auf den Reichstagen auftrat. Auch Balthasar Menz der Ältere, Johannes Pollius, Gerhard von Berg, Johann Affelmann und Hartlevus de Marca prägten die Umbruchszeit – als Prediger, Kirchenpolitiker oder Organisatoren.

Stimmen der Vernunft und der Wissenschaft

In der dunklen Epoche der Hexenprozesse erhoben Friedrich Spee von Langenfeld und Antonius Praetorius ihre Stimmen gegen den Wahn – ein Akt des Mutes, der ihnen einen besonderen Platz in der Kirchengeschichte sicherte. Unter den Jesuiten ragte neben Spee auch der Universalgelehrte Athanasius Kircher hervor.

Westfalen brachte aber auch Denker hervor, die weit über die Region hinauswirkten: Hermann Alexander Roëll in Utrecht, Johann Buxtorf der Ältere als bedeutender Hebraist, und Leopold Zunz, Begründer der Wissenschaft des Judentums, prägten den religiösen Diskurs Europas. Der Jesuit Hermann Busenbaum verfasste mit seiner Medulla theologiae moralis ein Werk von europaweiter Wirkung, während Hermann Jürgens als Rektor des Jesuitenkollegs in Bombay die Bildungstradition weitertrug.

Chronisten und Organisatoren

Nicht nur Theologen, auch Chronisten hielten die kirchliche Entwicklung fest. Johann Moritz Schwager, Johannes Dreyer und Hermann Döring überlieferten wichtige Zeugnisse zur westfälischen Kirchengeschichte. Dietrich Ebbracht, Gottfried de Hegghe und Johannes Rosenthal kommentierten kritisch die Missstände ihrer Zeit. Heinrich Klausing und Daniel Wilhelm Sommerwerck engagierten sich für Sozialhilfe, Bildung und die Modernisierung kirchlicher Strukturen, während Friedrich Deys als Kirchenpolitiker den sozialen Ausgleich förderte.

Paderborn – die Kaderschmiede des Vatikans

Vor allem das Erzbistum Paderborn hat sich in den letzten Jahrzehnten einen besonderen Ruf erworben: als „Kaderschmiede für den Vatikan“. Bereits im Mittelalter zählte Altmann von Passau, einst Schüler und Leiter der Domschule Paderborn, später Bischof und Heiliger, dazu.

In jüngerer Zeit setzt sich diese Tradition eindrucksvoll fort: Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München, gilt als einflussreichster Kleriker Deutschlands. Weitere Paderborner Kardinäle wie Lorenz Jäger, Franz Hengsbach und Johannes Joachim Degenhardt unterstreichen die Linie. Paul Josef Cordes wirkte als enger Vertrauter von Papst Benedikt XVI., während Clemens als Sekretär von Kardinal Ratzinger direkt im Vatikan residierte.

Doch Westfalens Strahlkraft reicht weit über Europa hinaus: Heinrich Backhaus wirkte im 19. Jahrhundert als Missionar in Indien und Australien, Karl Hesse wurde Erzbischof von Papua-Neuguinea, Norbert Strotmann gründete das Bistum Chosica in Peru. Heinrich Vieter etablierte katholische Missionen in Kamerun, Athanasius Klemens Wilhelm Götte wirkte in Afrika, Augustin Henninghaus in China, und Luis Teodorico Stöckler prägte die Diasporakirche in Argentinien.

Münster und andere Zentren

Das Bistum Münster steht Paderborn kaum nach. Clemens August Droste zu Vischering wurde Erzbischof von Köln, Melchior von Diepenbrock Fürstbischof von Breslau. Auch in Essen, Hamburg und anderen Diözesen wirken bis heute Bischöfe mit Münsteraner Wurzeln.

Von Frömmigkeit bis Kritik

Westfalen brachte auch Stimmen hervor, die über kirchliche Strukturen hinaus wirkten: Rulemann Friedrich Eylert als Hofprediger in Preußen, Theodor Lehmus als Dichter geistlicher Lieder, Franz Xavier Nierhoff als Pionier der Sozialarbeit. Franz Hitze engagierte sich im 19. Jahrhundert für die Arbeiterbewegung und den sozialen Ausgleich.

Gleichzeitig entstanden kritische Geister: Eugen Drewermann aus Paderborn wurde zu einem der einflussreichsten Kritiker der katholischen Kirche, Willi Marxsen, Walter Schmithals und Ernst Käsemann prägten die evangelische Theologie und Bibelforschung mit scharfsinniger Kritik und wissenschaftlicher Tiefe.

Ein geistliches Vermächtnis

Die Geschichte Westfalens zeigt: Religiosität und theologisches Denken haben diese Region über Jahrhunderte geprägt. Von den frühen Klostergründern wie dem Karolinger Adalhard, über mittelalterliche Bischöfe wie Konrad VII. von Soest, Heinrich II. von Bocholt oder Gottfried von Arnsberg, bis zu den Reformationstheologen, Missionaren und modernen Kirchenlehrern zieht sich ein roter Faden geistlicher Bedeutsamkeit. Selbst Frauen spielten eine wichtige Rolle – die Äbtissinnen des Frauenstifts Herford, allen voran Elisabeth von der Pfalz mit ihrem intellektuellen Austausch mit René Descartes, belegen dies eindrucksvoll.

„Von Hamburg bis München alles in westfälischer Hand“ – diese scherzhafte Bemerkung enthält einen wahren Kern. Westfalen hat die kirchliche Landschaft Deutschlands und darüber hinaus nachhaltig geprägt. Es ist eine Region, die nicht nur Glauben praktizierte, sondern ihn auch reflektierte, reformierte und in die Welt hinaustrug – eine geistliche Kaderschmiede im besten Sinne des Wortes.

Von Rolevinck

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