Von Ralf Keuper
Die Blockchain-Technologie zieht das Interesse der Wirtschaft auf sich – auch in Westfalen. Am Mittwoch dieser Woche hatte ich Gelegenheit, vor den Mitgliedern des Wisnet e.V. in Hagen einen Vortrag mit dem Titel Blockchain für Westfalen zu halten.
Blockchain für Westfalen_Hagen
Mit der Blockchain ist es – prinzipiell – möglich, unter Geschäftspartnern, die sich persönlich (noch) nicht oder kaum kennen, das nötige Vertrauenslevel herzustellen. Bei der Blockchain handelt es sich um ein verteiltes, fälschungssicheres Buchungsjournal. Alle Beteiligten haben Zugriff auf das Buchungsjournal, in dem die Transaktionen und Ereignisse dokumentiert sind. Manipulationen oder eigenmächtiges Handeln werden dadurch unmöglich, jedenfalls so sehr erschwert, dass Täuschungen oder Zuwiderhandlungen ökonomisch uninteressant sind, d.h. zu einem unvertretbarem Kostenaufwand finanzieller Art aber auch in Form von Reputationsverlusten führen. Das hat große Ähnlichkeit mit der Hanse, die man mit gutem Recht als die erste Netzwerkorganisation bezeichnen kann. Bei der Hanse handelte es sich um einen dezentral organisierten Verbund von Kaufleuten, die sich häufig nicht persönlich kannten, aber dadurch, dass sie derselben Organisation angehörten und ein Aufnahmeverfahren durchlaufen mussten, davon ausgehen konnten, dass ihre Geschäftspartner vertrauenswürdig waren (Vgl. dazu: Blockchain ist im Kern die alte Hanse). Eine Schlüsselstellung nahmen dabei die Kontore ein, wie in Nowgorod oder London. Dort wurden die Transaktionen und Geschäftsbeziehungen der Kaufleute für alle einsehbar dokumentiert.
Die Blockchain-Technologie bietet der Industrie eine Plattform, in der man Daten, Werte oder Eigenschaften von Dingen irreversibel in einem Netzwerk abspeichern kann. Registriert werden können zum Beispiel Produktionsdaten oder wichtige Messwerte, aber auch Verträge oder Abkommen, auf die man sich geeinigt hat. So schafft man innerhalb eines Produktions- oder Supply-Chain- Netzwerks eine für alle Teilnehmer vertrauenswürdige Plattform. Mit der Blockchain lässt sich somit Vertrauen schaffen zwischen Partnern, die sich noch nicht aus bestehenden Prozessen kennen. (Fraunhofer FIT)
Die Blockchain, wie überhaupt die Anwendungen aus der übergeordneten Kategorie der Distributed Ledger Technology, übernehmen in der vernetzten globalen Ökonomie, bei der die Geschäftspartner sich häufig nicht persönlich kennen oder über eine langjährige Geschäftsbeziehung verfügen müssen, die Funktion der Hanse. Anders sind Transaktionen über Ländergrenzen hinweg und unter Unternehmen, wo es um Effizienz und Geschwindigkeit geht, kaum noch möglich.
Distributed Ledger wird oft als Synonym für die Blockchain verwendet. Im Kern ist das richtig, weil die verteilte und damit die geteilte Buchführung das Herzstück der Blockchain ist und damit ihren Charakter am besten ausdrückt. Blockchain ist der Distributed Ledger, welcher als System und Technologie für die virtuelle Währung Bitcoin eingesetzt wird.
Die Blockchain arbeitet mit der Technologie des verteilten Kontobuches – konkret ein dezentrales Transaktionsregister. Die Möglichkeiten der Blockchain oder der Distrbuted Ledger Technology reichen jedoch sehr viel weiter und gehen über die Anwendung im Zusammenhang mit Kryptowährungen weit hinaus. Die Übertragung von Währungseinheiten (Bitcoin oder andere) ist nur eine von zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain (ISO-20022.CH)
In gewisser Hinsicht handelt es sich um eine neue kommerzielle Revolution. Die erste ereignete sich nach den Worten des französischen Historikers Jacques Le Goff im 11. und 13 Jahrhundert, als die Städte sich zu Markt- und Handelsplätzen entwickelten. Die Städte übernahmen die Rolle einer Plattform, auf der Angebot und Nachfrage zusammengeführt wurden, wobei bestimmte Regelungen (z.B. Marktgesetze) eingehalten werden mussten. Heute treten die großen digitalen Plattformen, wie Amazon und Alibaba, an die Stelle der Städte und der Hanse. Dadurch wächst für den Mittelstand die Gefahr der Abhängigkeit von der Marktmacht weniger Anbieter (Vgl. dazu: Südwestfalen meets Wirtschaft 4.0).
Im Kern geht es dabei um die Wahrung der Datenhoheit. In der Datenökonomie sind Daten, wie Produktions- oder Maschinendaten, von hohem Wert. Wer über die aussagekräftigsten Daten, die größten Datenquellen verfügt, hat einen großen strategischen Vorteil. Wenn eine digitale Platform, wie Alibaba, fast den gesamten Ablauf von der Geschäftsanbahnung, über die Finanzierung bis zur Auslieferung abdecken kann, dann besitzt sie einen Datenschatz, der für Unternehmen oder Konzerne unerreichbar ist.
Nachdem im Geschäft mit den Endkunden (B2C) die großen US-amerikanischen und asiatischen Konzerne dominieren, steht eine ähnliche Entwicklung auch im B2B-Bereich bevor, worauf u.a. Holger Schmidt in „In 10 Jahren werden sich die deutschen Industrieplayer fragen, warum sie nicht die führende Plattform für Maschinen aufgebaut haben” hinweist. Die Stärke der deutschen Industrie und des deutschen Mittelstandes liegt derzeit noch im B2B-Bereich bzw. in der Systemintegration. Wie das Beispiel Alibaba zeigt, können Plattformen diese Funktionen nahezu vollständig übernehmen. Ein einzelnes Unternehmen, auch in Gestalt eines internationalen Konzerns, ist im Vergleich zu den großen Tankern der Datenökonomie nur ein kleiner Frachter, eine Kogge. Um so dringender sind daher Verbünde, Zusammenschlüsse von Unternehmen, die sich auf eine gemeinsame Plattform mit einheitlichen, offenen Standards einigen, um ein Gegengewicht bilden zu können. In dem Zusammenhang sei auf das Mittelstand 4.0 – Kompetenzzentrum eStandards verwiesen.
Ein weiterer Standard könnte auch die Blockchain oder andere Anwendungen aus dem Umfeld der Distributed Ledger Technologies sein, wie Hashgraph.
So viel ist – für mich jedenfalls – sicher: In einer Wirtschaft, die vernetzter, digitaler, dezentraler, medialer und datenbasierter wird, steigt der Bedarf nach einer Lösung, die, wie die Blockchain, in der Lage ist, unkompliziert und schnell eine Vertrauensbasis zwischen Geschäftspartnern herzustellen, die dafür ansonsten Monate oder Jahre benötigen würden.
Die Blockchain ist daher nicht nur eine Technologie, sondern auch ein Organisationsmodell, das für bestimmte Zwecke und Anwendungsfälle geeignet ist. Es handelt sich um kein Allheilmittel. Für den Einsatz im Unternehmen, quasi als Ablösung bestehender Systeme, eignet sie sich definitiv nicht. Sie ist gedacht für den Austausch und die Verifizierung von Informationen in unternehmensübergreifenden Netzwerken.
Während für das Internet der Dinge vor allem die mit Smart Contracts verbundenen Automatisierungspotentiale wesentlich sind, ist es für Anwendungen aus den Bereichen Supply-Chain oder für Herkunftsnachweise die Irreversibilität der verwalteten Transaktionen. Zentral ist jedoch der Aspekt, dass die Blockchain eine große Relevanz für viele verschiedene Anwendungsbereiche außerhalb der Finanzbranche und vor allem auch unabhängig von Kryptowährungen hat. (Fraunhofer Gesellschaft)
Für die Wirtschaft kommen als Organisationsmodell dabei vor allem sog. Konsortien in Frage. Hierbei betreiben mehrere Unternehmen gemeinsame eine Blockchain, die auf ihre Zwecke abgestimmt ist, wie z.B. nach Branchen, nach Regionen oder Produkten.Von der Rechtsform her könnte das eine Genossenschaft sein. Denkbar ist auch eine Bank für Produktions- und Maschinendaten eG.
Westfalen bringt für diese neue Kombination aus Technologie und Organisationsform, nicht nur wegen der westfälischen Hanse, die besten Voraussetzungen mit, da Westfalen seit Jahrhunderten dezentral organisiert ist, d.h. es gibt keine wirkliche Metropole, wenngleich man das in Dortmund oder Münster anders sehen mag 😉 Es dominieren die Teilregionen Münsterland, Ostwestfalen-Lippe, Südwestfalen und das westfälische Ruhrgebiet.
Neben einem Kompetenzzentrum eStandards benötigen war daher auch ein Kompetenzzentrum Distributed Ledger Technologies, das sich auf die Technologie und dezentrale Organisationsformen konzentriert, die in der Lage sind, großen digitalen Plattformen Paroli zu bieten.
Weitere Informationen:
Städtische EWs gründen Blockchain-Allianz