Die Westfälische Bucht – oft übersehen, wenn von den „prägenden Landschaften“ Deutschlands die Rede ist – bildet das eigentliche Herz Westfalens. Zwischen Mittelgebirgen eingebettet, zugleich offen nach Westen, vereint sie in einzigartiger Weise Naturform, Geschichte und Gegenwart zu einem Raum, der mehr ist als geographische Fläche: ein kulturelles Zentrum ohne Hauptstadt, aber mit Identität.
Wilhelm Müller-Wille beschrieb im Jahr 1952 in seinem Buch „Westfalen: Landschaftliche Ordnung und Bindung eines Landes“ die Westfälische Bucht treffend als den zentralen geographischen und anthropogeografischen Raum Westfalens[1]. Wer also den Menschen in Westfalen verstehen will, muss seine Kulturlandschaften kennen: nur von ihnen und mit ihnen sind die Bewohner in ihrer Eigenart zu begreifen. … So fehlt in Westfalen … Continue reading. Diese Einschätzung deckt sich erstaunlich gut mit den heutigen regionalgeographischen Befunden: Die Bucht bildet tatsächlich das Kernland Westfalens – flächenmäßig, demographisch und funktional.
Geomorphologischer und geographischer Rahmen
Die Westfälische Bucht ist ein flaches, von Mittelgebirgen gerahmtes Tiefland. Im Süden und Osten wird sie von Teutoburger Wald, Eggegebirge und Süderbergland eingefasst, während sie sich nach Westen weit in die Norddeutsche Tiefebene öffnet. Sie umfasst das Münsterland, Teile der Hellwegbörden und die Übergangsgebiete zum Ruhrgebiet – eine Landschaft, in der sich fruchtbare Böden, sanfte Reliefs und ein vergleichsweise mildes Klima verbinden. Diese natürlichen Voraussetzungen förderten seit Jahrhunderten eine dichte agrarische Nutzung und frühe Siedlungsverdichtung – die Grundlage der westfälischen Kulturlandschaft.
Bevölkerungs- und Siedlungsstruktur
Heute leben rund 58 % der westfälischen Bevölkerung in der Bucht, die knapp die Hälfte der Gesamtfläche Westfalens umfasst. Ihre größten Städte – Münster, Dortmund, Hamm, Paderborn, Bielefeld und Osnabrück – bilden kein hierarchisches Zentrum, sondern ein Netzwerk von Verdichtungsrändern. Verkehrsachsen wie die Autobahnen A1 und A2 oder die historischen Handelswege des Hellwegs verknüpfen diese Orte zu einem polyzentrischen System, das ohne „Hauptstadt“ auskommt. Westfalen organisiert sich – wie seine Landschaft – in Verflechtungen, nicht in Dominanzen.
Anthropogeografische Bedeutung
In anthropogeografischer Perspektive ist die Westfälische Bucht eine „Integrallandschaft“ im klassischen Sinne: Sie verbindet Natur- und Kulturräume, Wirtschaftsregionen und geistige Zentren. Das agrarisch geprägte Münsterland, die industriellen Übergangszonen des Emscherlandes und die kirchlich-intellektuellen Orte Münster und Paderborn bilden ein Gewebe, das zugleich Spannungen und Zusammenhalt erzeugt. Diese räumliche Verflechtung wurde zu einem „Orientierungsraum“ – einer Landschaft, die Identität stiftet, ohne sie zu verengen.
Schlussbetrachtung
Die Westfälische Bucht ist das „sammelnde“ Zentrum Westfalens – topographisch, wirtschaftlich und kulturell. Ihr polyzentrisches System erklärt, warum Westfalen nie eine dominante Hauptstadt hervorgebracht hat, sondern stattdessen eine Balance vielfältiger Identitäten bewahrte.
In dieser Gleichgewichtsstruktur liegt vielleicht das Geheimnis westfälischer Beständigkeit: Die Landschaft selbst wurde zum Modell einer dezentralen, aber verbindenden Ordnung – ein stilles Zentrum, das durch seine Offenheit zusammenhält.
References
| ↑1 | . Wer also den Menschen in Westfalen verstehen will, muss seine Kulturlandschaften kennen: nur von ihnen und mit ihnen sind die Bewohner in ihrer Eigenart zu begreifen. … So fehlt in Westfalen „ein“ sammelnder Zentralort oder Kernraum. … Ein solches zentripetales Kräftefeld liegt heute in der Westfälischen Bucht. Hier treffen sich die Spitzen der vier Bevölkerungs-Sektoren, hier oder hart am Rande liegen die führenden Hauptorte der Bezirke und Reviere: Münster-Osnabrück, Paderborn-Lippstadt, Bielefeld-Minden und Dortmund-Hagen. Somit ist die Bucht, das naturgeografische Kernland Westfalens, auch in anthropogeografischer Hinsicht ein sammelnder und orientierender Kernraum (in: Westfalen: Landschaftliche Ordnung und Bindung eines Landes |
|---|
