Westfalen gilt als industrielle Herzkammer Deutschlands – doch kaum jemand weiß, dass hier auch die Wiege der europäischen Softwareentwicklung steht. Von der Gründung des ersten Softwarehauses Europas 1957 in Dortmund bis zu heutigen Weltmarktführern in Embedded Systems, Datensicherheit und Künstlicher Intelligenz reicht eine erstaunliche Erfolgsgeschichte – geprägt von Ingenieursgeist, Unternehmertum und einer besonderen westfälischen Bodenständigkeit.


Eine westfälische Geschichte der Digitalisierung

Die Geschichte der gewerblichen Softwareentwicklung in Westfalen beginnt im Jahr 1957 in Dortmund. Mit der Gründung der Mathematischen Beratungs- und Programmierungsdienst GmbH (mbp) entstand hier das erste Softwarehaus Europas – zu einer Zeit, als Computer noch ganze Räume füllten und das Wort „Software“ selbst kaum jemand kannte.

Ein weiterer Meilenstein folgte 1977: Die Nixdorf Computer AG in Paderborn brachte das Warenwirtschaftssystem COMET auf den Markt. COMET wurde in den späten 1970er- und 1980er-Jahren zum Synonym für moderne betriebliche Datenverarbeitung. Nixdorf verfügte zu dieser Zeit über eine der größten Softwareentwicklungsabteilungen Deutschlands – und legte damit den Grundstein für das, was man heute das „Paderborner IT-Wunder“ nennen könnte. Nach dem Niedergang des Unternehmens entstanden zahlreiche Ausgründungen, aus denen sich ein dichtes Netz innovativer IT-Firmen entwickelte.

Auch das Nachfolgeunternehmen Wincor Nixdorf (heute Teil von Diebold Nixdorf) führt diese Tradition fort – mit einer starken Softwarekompetenz im Bereich Banking und Retail.

Mittelstand als Innovationsmotor

Heute ist Westfalen Heimat einer beeindruckenden Vielfalt mittelständischer Softwareunternehmen, die in ihren Märkten teils zu den Weltspitzen zählen.

  • Tobit Software (Ahaus) prägt seit Jahrzehnten die Entwicklung digitaler Kommunikationsplattformen.
  • PROSOZ (Herten) liefert Softwarelösungen für Verwaltungen.
  • Buhl Data (Neuenkirchen) ist vielen durch „WISO steuer:Office“ ein Begriff.
  • Diamant Software (Bielefeld) steht für moderne Rechnungswesen-Systeme.
  • adesso und Materna – beide in Dortmund – gehören längst zu den Schwergewichten der deutschen IT-Dienstleistungsbranche.

In Bochum wiederum residiert mit G DATA eines der ältesten und innovativsten Sicherheitssoftware-Unternehmen der Welt – gegründet 1985 und bis heute Pionier in der Cybersecurity.

Embedded Intelligence und industrielle Innovation

Während in Dortmund und Paderborn klassische Softwareunternehmen entstanden, entwickelte sich in anderen Regionen Westfalens eine besondere Stärke in der Embedded Software – also der Software, die in Maschinen, Fahrzeugen und Geräten „unsichtbar“ mitarbeitet.

Hier ragen Namen wie Phoenix Contact Software und vor allem dSPACE (Paderborn) heraus. Letzteres ist heute Weltmarktführer für Entwicklungs- und Testsysteme mechatronischer Regelsysteme – ein Paradebeispiel für westfälische Ingenieurkunst im digitalen Zeitalter.

Auch die Bertelsmann-Tochter arvato systems aus Gütersloh ist mit ihren Logistiklösungen ein wichtiger Player in der digitalen Industrie.
Orga Systems aus Paderborn wiederum wurde durch Software für die Echtzeit-Abrechnung in der Telekommunikation international bekannt.

Forschung, Lehre und Zukunftsfelder

Westfalen ist nicht nur Standort der Industrie, sondern auch der Forschung.
Die Universitäten Dortmund und Paderborn zählen zu den prägenden Informatikstandorten Deutschlands. Das Heinz Nixdorf Institut, das C-LAB, das S-LAB und die Zukunftsmeile Fürstenallee in Paderborn bilden eine in Europa einzigartige Innovationslandschaft.

In Dortmund hatte sich mit RapidMiner ein international führendes Unternehmen im Bereich Machine Learning und Data Mining etabliert. Heute gehört RapidMiner zu Siemens.

Am Centrum Industrial IT (CIIT) in Lemgo erforschen Wissenschaftler die Digitalisierung industrieller Produktionsprozesse.
Forscher der Ruhr-Universität Bochum haben mit dem Verschlüsselungsverfahren Present sogar einen internationalen Standard in der Kryptographie geschaffen.
Und das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (ISST) in Dortmund bündelt anwendungsnahe Forschung für die digitale Wirtschaft.

Erinnerung und Selbstverständnis

Dass diese Geschichte nicht vergessen wird, dafür sorgt das Heinz Nixdorf Forum (HNF) in Paderborn – das größte Computermuseum der Welt. Mit seinen Ausstellungen zur Softwareentwicklung schlägt es eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Rechenmaschine und Künstlicher Intelligenz.

Fazit

Die Softwareentwicklung in Westfalen ist mehr als eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte – sie ist ein Stück europäischer Technikgeschichte. Vom ersten Softwarehaus Europas bis zu modernen KI- und Embedded-System-Unternehmen spannt sich ein Bogen, der zeigt:

Westfalen hat nicht nur Stahl und Maschinen gebaut – sondern auch das digitale Fundament einer neuen industriellen Ära gelegt.

Von Rolevinck

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