Von Ralf Keuper

Den meisten ist Annette von Droste-Hülshoff wohl aus der Schulzeit als Verfasserin der Judenbuche bekannt. Danach ebbt das Interesse für die Dichterin und ihr Werk für gewöhnlich ab; die Zahl der Begegnungen wird geringer – und wenn, sind sie eher zufällig.

Über das Leben der Droste erfährt man eigentlich nur wenig, und wenn, dann eher bruchstückhaft, je nachdem, welcher Aspekt aus der Biografie dieser großen Dichterin beleuchtet werden soll. Es scheint, als könnte Annette von Droste-Hülshoff die doch recht engen Grenzen von Germanistik-Seminaren nicht überwinden.

Da war die Veröffentlichung eines Romans, der sich dem Leben der westfälischen Dichterin widmet, eigentlich längst überfällig. Esther Grau setzt in Grimms Albtraum der Droste nun ein literarisches Denkmal. Darin begleitet der Leser Annette von Droste Hülshoff auf ihrem Lebensweg – von der Geburt bis zu ihrem Tod. Das Leben der Droste verlief alles andere als harmonisch oder gradlinig. Zeit ihres Lebens litt Annette von Droste-Hülshoff unter den Zwängen der Ständegesellschaft, die ihren literarischen Ambitionen kaum zu überwindende Grenzen setzte. Schon früh machte sich bei Annette von Droste-Hülshoff eine hohe literarische Begabung bemerkbar. In Münster kursierten Gedichte der Droste, die zu dem Zeitpunkt gerade erst dem Kindesalter entwachsen war. Ihre Eltern unterstützten die künstlerischen Ambitionen ihrer Tochter – in den Grenzen der Konvention versteht sich, die für Frauen, auch oder gerade wenn sie adeligen Standes waren, eine hauptberufliche Betätigung als Schriftstellerin ausschloss. Als Mittel der gehobenen Konversation, quasi als Mitgift war eine künstlerische Ader dagegen durchaus von Reiz.

Der erste Förderer von Annette von Droste-Hülshoff war Anton Matthias Sprickmann. Weitere Inspirationsquelle war die Verwandschaft aus dem Paderborner Land, woher die Mutter, eine geborene von Haxthausen, stammte. Dort begegnete Annette von Droste-Hülshoff eines Tages Wilhelm Grimm, der ein Freund der Familie von Haxthausen war und wie diese ein Faible für Märchen und Volkssagen hatte. Aus dieser Zeit stammt auch der Titel des Romans. Grimm war von der selbstbewusst auftretenden und mit Kritik und Ironie seinem Werk gegenüber nicht zurückhaltenden Droste so beeindruckt oder besser irritiert, dass sie in seinen Träumen auftauchte. Im Bökerhof machte Annette von Droste-Hülshoff auch die Bekanntschaft mit ihrer Jugendliebe, dem Dichter Heinrich Straube.

Nach dem Tod ihres Vaters war Annette von Droste-Hülshoff noch mehr als bisher an die heimische Scholle gebunden. Es folgte der Umzug in das von Johann Conrad Schlaun errichtete Haus Rüschhaus zusammen mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester Jenny.

Dennoch gelang es Annette von Droste-Hülshoff ihre literarische Arbeit fortzusetzen, wobei sie immer wieder von ihrer schwachen gesundheitlichen Konstitution zurückgeworfen wurde. Um sich Linderung von ihrem Leiden zu verschaffen, reiste die Droste häufig in das benachbarte Rheinland, wohin verwandschaftliche Beziehungen bestanden, u.a. zu Clemens-August von Droste zu Hülshoff, der mit seiner Frau  ihn Bonn lebte. Als ihre Schwester Jenny sich in die Schweiz verheiratete, führte sie ihr Weg in die Alpen. Aus dieser Zeit stammt das Gedicht Der Säntis. Später dann zog ihre Schwester mit ihrer Familie nach Meersburg an den Bodensee, wo Annette von Droste-Hülshoff viel Zeit verbrachte und schließlich ein Haus erwarb.

Zu dieser Zeit war auch ihr Schützling Levin Schücking auf ihr Betreiben hin als Bibliothekar in Meersburg tätig. Das Verhältnis der beiden war von gegenseitiger Zuneigung geprägt, ohne jedoch in eine, wie man heute sagen würde, feste Beziehung überzugehen. Später wandte sich die Droste von Schücking ab, nachdem dieser in seinem Werk Die Ritterbürgigen wenig schmeichelhaftes über den Adel schrieb. Zwar sparte Annette von Droste-Hülshoff selber nicht mit Kritik am Adel und der Ständegesellschaft, konnte sich aber eine andere Welt, Gesellschaftsordnung nicht (mehr) vorstellen.

Zu ihren Lebzeiten waren der schriftstellerische und kommerzielle Erfolg von Annette von Droste-Hülshoff recht überschaubar. Die Suche nach einem Verleger gestaltete sich häufig schwierig. Ohne ihre Einnahmen aus dem Erbe wäre die schriftstellerische Laufbahn der Droste wohl anders verlaufen. In einer anderen Zeit jedoch, hätte sie nicht mehr in dieser Weise für ihre Anerkennung kämpfen müssen. Aber noch hundert Jahre später wären die Widerstände einer Frau gegenüber, die sich als Schriftstellerin durchsetzen wollte, beträchtlich gewesen. Insofern ist es für die Nachwelt ein Glück, dass die Droste wirtschaftlich unabhängig war.

Dem Roman gelingt es, uns Annette von Droste-Hülshoff als Künstlerin und Person näher zu bringen, sie quasi lebendig, menschlich zu machen. Dazu tragen der Sprachstil ebenso wie der dramaturgische Aufbau des Buches bei. An keiner Stelle tritt Langeweile auf, der Spannungsbogen bleibt zu jeder Zeit konstant, die Aufteilung kommt dem Lesegenuss ebenfalls entgegen. Vor unsere Augen tritt eine Frau, die, wie auch wir heute, ein Kind ihrer Zeit war. Den Konventionen konnte sie “nur” in ihrer Dichtung entkommen.  Von Schicksalsschlägen und Enttäuschungen nicht verschont, von einer schwachen Gesundheit gezeichnet, ihre Kräfte im Kampf um die Anerkennung als Künstlerin und unabhängige Frau verzehrend, hat sie es dennoch geschafft, ein Werk zu hinterlassen, das zu den Klassikern gezählt wird und in einem Atemzug mit den Werken Goethes und anderer “Olympier” genannt wird – ein Erfolg, den sie sich wohl nicht hätte träumen lassen. Während ihre Kritiker schon längst vergessen sind, ist Annette von Droste-Hülshoff nach menschlichen Maßstäben unsterblich geworden. Auch das ein später Triumpf.

Ein besonderer Lesegenuss ist der Roman für all diejenigen, die mit der Geschichte und dem kulturellen Leben Westfalens jener Zeit vertraut sind.

Auch in der Ferne gingen die Gedanken von Annette von Droste-Hülshoff in Richtung Heimat, nach Westfalen. Sie war und blieb ein Kind der Region, oder wie Esther Grau an einer Stelle schreibt:

Westfalen war fest in ihrem Leib eingebrannt und so sehr er unter einer anderen Sonne erblühte, er vergaß nie, aus welchem Lehm er gemacht war.

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