Westfalen hat weit mehr zu bieten als Burgen, Fachwerk und Pferde – auch die Malerei dieser Region erzählt von einem kulturellen Reichtum, der sich vom Mittelalter bis in die Gegenwart erstreckt. Von gotischen Altären bis zu radikal modernen Leinwänden spannt sich ein Bogen, der Westfalen zu einer wichtigen Landschaft der Kunstgeschichte macht.


Mittelalterliche Meister und frühe Neuzeit

Die Reihe der bedeutenden Maler Westfalens setzt früh ein: Meister Bertram und Hinrik Funhof gehören mit ihren Werken zu den Höhepunkten der Spätgotik. Conrad von Soest wiederum gilt als Begründer des „Weichen Stils“ – eine Leistung, die bis heute gewürdigt wird, etwa durch den nach ihm benannten Conrad von Soest-Preis des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe.

Die westfälische Kunstgeschichte setzt sich mit bedeutenden anonymen Meistern des Mittelalters fort. Der Meister von Liesborn, tätig um 1460, schuf das berühmte Liesborner Altarbild, das heute im Landesmuseum Münster zu bewundern ist. Zeitgleich wirkte der Meister von Iserlohn (um 1450) mit seiner charakteristischen Altartafelmalerei. Der Meister von 1473, auch als „Meister des Osnabrücker Altars“ bekannt, setzte diese Tradition sakraler Kunst fort.

Johann Koerbecke (um 1420-1490) gilt als einer der wichtigsten westfälischen Vertreter der Gotik und spezialisierte sich vor allem in Münster auf sakrale Tafelmalerei. Nicht alle Künstler waren ausschließlich Maler: Heinrich Aldegrever machte sich zusätzlich als Kupferstecher und Siegelschneider einen Namen.

In der Renaissance und im Barock prägten Everhard Alerdinck und Simon Peter Tielman (1598-1668) die Kunstszene. Letzterer war nicht nur in Westfalen, sondern auch in den Niederlanden aktiv und bekannt für seine Porträts und biblischen Szenen.

Andere westfälische Talente gelangten erst spät ins Bewusstsein der Kunstgeschichte: Sir Peter Lely, Porträtmaler am englischen Hof, oder Gerlach Flicke, dessen Werke inzwischen auf dem Kunstmarkt hoch gehandelt werden. Mit der Maler-Dynastie der Tom Rings in Münster und Künstlern wie Jan van Lintelo, der auch als Glasmaler wirkte, tritt die Vielfalt der Region deutlich hervor.

Natürlich darf in dieser Liste ein Name nicht fehlen: Peter Paul Rubens, der wohl bekannteste Maler mit Westfalen-Bezug. Einer seiner engen Mitarbeiter war Johann Bockhorst aus Münster. Johann Christoph Rincklake, der zahlreiche Persönlichkeiten seiner Zeit porträtierte, und Engelbert Seibertz, geschätzter Historien- und Porträtmaler, knüpfen an diese Tradition an.

Das 18. und 19. Jahrhundert

Das 18. Jahrhundert brachte mit Johann Georg Rudolphi einen Maler hervor, der mit seinen Altarbildern und Porträts die kirchliche Kunst Westfalens prägte. Das folgende Jahrhundert war von einer Blüte der Malerei geprägt: Theobald von Oer (1817-1885) etablierte sich als bedeutender Historien- und Porträtmaler, dessen Werke Einflüsse des Biedermeier und der Romantik zeigen.

Die Brüder Jakob und Wilhelm Scheiner spezialisierten sich auf religiöse und historische Bildthemen beziehungsweise auf sakrale Kunst und Glasgestaltung. Franz Wilhelm Harsewinkel und Johann Wilhelm Hoffnas wirkten als Freskenmaler vor allem für Kirchen der Region.

Heinrich von Rustige (1810-1900), Historienmaler und späterer Direktor der Kunstakademie Stuttgart, und Theodor Brün von der Düsseldorfer Schule rundeten das Spektrum ab. Die Familie Stratmann etablierte über mindestens drei Generationen eine bedeutende Malerdynastie, die sich auf Landschaftsmotive spezialisierte.

Frühe Moderne und Expressionismus

Der Übergang zur Moderne brachte wichtige Impulse: Erich Kuithan (1875-1917) vertrat die deutsche Jugendstilbewegung und wirkte unter anderem in Lünen. Wilhelm Gallhof (1878-1918) entwickelte sich zu einem frühen Expressionisten, der sich auf Aktdarstellungen und Porträts spezialisierte.

Ein radikaler Umbruch erfolgte Anfang des 20. Jahrhunderts: Wilhelm Morgner, Hermann Stenner und Peter August Böckstiegel prägten den „Westfälischen Expressionismus“. Der aus Meschede stammende August Macke gilt bis heute als einer der wichtigsten deutschen Vertreter dieser Richtung. Ida Gerhardi, gebürtige Hagenerin, brachte die klassische Moderne in die Region, während Christian Rohlfs in Hagen zu einer Leitfigur des deutschen Expressionismus wurde. Otto Modersohn, Mitbegründer der Künstlerkolonie Worpswede, gehört ebenso hierher wie Josef Albers aus Bottrop, der nicht nur als Maler, sondern auch als Kunsttheoretiker und Lehrer Weltruhm erlangte.

Arnold Topp (1887-1960) wurde sogar Mitglied der berühmten Künstlergruppe „Blauer Reiter“ und gilt als wichtiger Vertreter des Expressionismus. Hans Tombrock (1895-1966) widmete sich in seinen expressionistischen Werken sozialen Themen und Illustrationen.

Carlo Mense (1886-1965) etablierte sich als wichtiger Vertreter der Neuen Sachlichkeit und westfälischer Avantgardist, während Paul Wieghardt (1897-1969) als Maler und Hochschullehrer durch seine expressiven Gemälde bekannt wurde.

Nachkriegsmoderne und zeitgenössische Kunst

Die Nachkriegszeit brachte eine neue Generation von Künstlern hervor: Hubert Berke etablierte sich als einer der wichtigen westfälischen Künstler der Nachkriegsmoderne, während Hein König die Kunstszene der Nachkriegszeit mitbestimmte.

In dieser Zeit erweiterten Künstler wie Siegmund Strecker, Ella Bergmann-Michel oder Fritz Winter die Palette: vom expressionistischen Aufbruch über Collagen der Avantgarde bis hin zur abstrakten Malerei. Später traten Emil Schumacher, Norbert Tadeusz, Woldemar Winkler und Martin Kippenberger hervor – Namen, die weit über Westfalen hinaus Bedeutung fanden.

Gerta Overbeck gehörte zu den wichtigsten Kunstpädagoginnen des 20. Jahrhunderts und prägte als Malerin und Zeichnerin die westfälische Kunstszene nachhaltig.

Zeitgenössische Positionen

Die Gegenwart zeigt die internationale Ausstrahlung westfälischer Kunst: Corinne Wasmuht (geb. 1964) aus Dortmund ist international bekannt für ihre großformatigen, digital inspirierten Werke. Torben Giehler (geb. 1973) aus Bad Oeynhausen hat sich mit seiner abstrakten Malerei international einen Namen gemacht. Der 1973 in Elte geborene Matthias Weischer zählt heute zu den wichtigsten Vertretern der Neuen Leipziger Schule.

Weitere zeitgenössische Positionen vertreten Julia Schily-Koppers, die sich mit Provinzialität und Identität auseinandersetzt, Uwe Will mit seinen Kunstprojekten und Installationen, Axel Gundrum mit abstrakter und gegenständlicher Malerei sowie Ludger Hinse als Bildhauer und Lichtkünstler.

Auch Glasmalerei und Pop-Art tragen westfälische Handschrift: Hubert Spierling gilt als einer der herausragenden Glasgestalter des 20. Jahrhunderts, Herman Reichold als einer der profiliertesten Pop-Maler Deutschlands. Schließlich bleibt auch der Name Wolfgang Beltracchi untrennbar mit der Region verbunden – weniger wegen seiner künstlerischen Leistung, sondern weil er als Kunstfälscher in einem der größten Skandale der jüngeren Kunstgeschichte berühmt-berüchtigt wurde.

Kunstpädagogik und Kunstvermittlung

Besonders hervorzuheben ist die starke Tradition der Kunstpädagogik in Westfalen. Neben Gerta Overbeck wirkten Reinhard Schmidhagen, Susanne Köster, Walter Demgen und Lutz Dittberner als Kunsterzieher und trugen wesentlich zur Kunstvermittlung bei. Edith Meyer von Kamptz engagierte sich zusätzlich für die Frauenförderung in der Kunst.

Fazit

Die westfälische Kunstlandschaft zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Kontinuität und Vielfalt aus. So zeigt sich Westfalen als ein Kunstland voller Kontraste: von gotischen Altären bis zur zeitgenössischen Pop-Malerei, von gefeierten Preisträgern bis zu berüchtigten Fälschern. Von den mittelalterlichen Altarmalern wie Conrad von Soest über die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts bis hin zu zeitgenössischen internationalen Positionen zeigt sich eine lebendige Tradition, die lokale Verwurzelung mit überregionaler und internationaler Ausstrahlung verbindet.

Eine Tradition, die beweist, dass Malerei in Westfalen nie stillstand, sondern immer wieder neue Wege fand, Aufmerksamkeit weit über die Region hinaus zu gewinnen. Die starke Präsenz von Kunstpädagogen unterstreicht zudem die Bedeutung der Kunstvermittlung für die Kontinuität dieser reichen Tradition.


Quelle:

Westfälische Malerinnen und Maler

Von Rolevinck

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