Als in den späten 1970er Jahren die größte freie Tankstellenkette der Bundesrepublik über Nacht zusammenbrach, kam ein beispielloser Betrug ans Licht. Die Goldin-Affäre, die ihre Wurzeln im Ruhrgebiet hatte und von Wanne-Eickel aus ein ganzes Tankstellen-Imperium erschütterte, entwickelte sich zu einem der spektakulärsten Steuerskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte und offenbarte die Schwächen staatlicher Kontrollmechanismen in erschreckender Deutlichkeit.


Der Aufstieg eines Ruhrgebiet-Imperiums

Die Geschichte der Goldin Tankbetriebe GmbH liest sich zunächst wie ein klassisches Wirtschaftsmärchen der 1970er Jahre mit tiefem Ruhrgebiet-Bezug. Erhard Goldbach begann 1951 als 23-Jähriger in Wanne-Eickel zunächst mit einem Kohlenhandel, bevor er 1956 in den Benzinhandel einstieg und seine erste Tankstelle an der Heerstraße in Crange errichtete. Aus dieser bescheidenen Anfangsinvestition im Herner Stadtteil baute er in wenigen Jahren ein beeindruckendes Imperium auf: Mit mehr als 260 Tankstellen betrieb er die größte freie Tankstellenkette der Bundesrepublik Deutschland. Was die Kunden besonders anzog, waren die außergewöhnlich günstigen Spritpreise, die Goldin deutlich unter der Konkurrenz anbieten konnte – meist unterbot er die Preise der Konkurrenz um zwei Pfennig und stellte sich als „Robin-Hood der Zapfsäule“ im Kampf gegen die großen Mineralölkonzerne dar.

Doch hinter den verlockenden Preisen verbarg sich ein perfides System. Goldbach verkaufte Benzin systematisch an den Steuerbehörden vorbei und hinterzog dadurch in großem Stil die Mineralölsteuer. Was als geschicktes Geschäftsmodell erschien, entpuppte sich als raffiniertes Schneeballsystem, das auf verschleierter Insolvenz und einem kontinuierlich wachsenden Schuldenberg basierte.

Das System des Betrugs

Die Methoden Goldbachs waren so ausgefeilt wie verwerflich. Durch die systematische Steuerhinterziehung konnte er Preise anbieten, die für ehrliche Konkurrenten unerreichbar waren. Gleichzeitig türmte sich im Verborgenen ein Schuldenberg von über 340 Millionen DM auf – eine astronomische Summe für die damalige Zeit. Das Unternehmen funktionierte nur noch als Luftblase, die zwangsläufig platzen musste.

Besonders erschreckend war dabei das Versagen der staatlichen Kontrollmechanismen. Obwohl es frühzeitig Hinweise und Verdachtsmomente seitens der Steuerbehörden gab, erfolgte erst 1979 eine umfassende Betriebsprüfung. Diese verspätete Reaktion ermöglichte es Goldbach, sein betrügerisches System über Jahre aufrechtzuerhalten und den Schaden kontinuierlich zu vergrößern.

Politik und Protektion

Besonders brisant wurde die Affäre durch ihre politischen Verstrickungen. Goldbach hatte es verstanden, Beziehungen zu politischen Entscheidungsträgern aufzubauen und zu pflegen. Der Höhepunkt dieser politischen Verquickung war eine Staatsbürgschaft über 18 Millionen DM, die ihm der damalige Bundesfinanzminister Hans Matthöfer gewährte. Diese Bürgschaft erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die Probleme des Unternehmens bereits absehbar waren, und verdeutlichte die problematische Nähe zwischen Politik und Wirtschaft.

Die politischen Dimensionen des Skandals verstärkten die öffentliche Empörung erheblich. Es entstand der Eindruck, dass politische Einflussnahme die ordnungsgemäße Kontrolle des Unternehmens verhindert oder zumindest verzögert hatte. Besonders pikant war dabei, dass Goldbach nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als lokaler Mäzen im Ruhrgebiet aufgetreten war: Er hatte den Fußballverein Westfalia Herne gesponsert und 1977 sogar in „SC Westfalia Goldin Herne“ umbenannt, was als absolutes Novum in der Werbung im Profisport galt. Dieser Aspekt machte die Goldin-Affäre zu mehr als nur einem Wirtschaftsskandal – sie wurde zu einem Symbol für die Anfälligkeit des politischen Systems für Korruption und Vetternwirtschaft.

Der dramatische Zusammenbruch

Als die Betriebsprüfung schließlich die wahren Dimensionen des Betrugs offenlegte, war das Ende der Goldin-Tankstellen besiegelt. Die Schließung von über 260 Tankstellen erfolgte praktisch über Nacht und hinterließ nicht nur betrogene Kunden, sondern auch zahllose Arbeitsplätze, die von einem Tag auf den anderen verschwanden.

Erhard Goldbach selbst zog die Konsequenzen auf seine Art: Er setzte sich mit mehreren Millionen DM ins Ausland ab, wurde international gesucht und schließlich verhaftet. Die folgenden Gerichtsverfahren endeten mit Haftstrafen wegen Betrugs und Steuerhinterziehung, doch die veruntreuten Gelder blieben größtenteils verschwunden. Die Tankstellenkette wurde nach dem Konkurs von anderen Unternehmen übernommen, die das Erbe eines der größten Wirtschaftsskandale der Nachkriegszeit antraten.

Langfristige Auswirkungen und Lehren

Die Goldin-Affäre hinterließ tiefe Spuren in der deutschen Wirtschaftsgeschichte und besonders im Ruhrgebiet, wo die Geschichte ihren Anfang genommen hatte. Vom kleinen Kohlenhändler aus Wanne-Eickel war Goldbach zu einem der bekanntesten Unternehmer der Region aufgestiegen, bevor sein Imperium spektakulär zusammenbrach. Sie erschütterte das Vertrauen der Öffentlichkeit in staatliche Kontrollmechanismen und führte zu einer kritischeren Betrachtung der Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft. Der Skandal verdeutlichte die Notwendigkeit schärferer Kontrollen und transparenterer Verfahren im Umgang mit Staatsbürgschaften und steuerlichen Prüfungen.

Darüber hinaus veränderte die Affäre nachhaltig das Tankstellengeschäft in Deutschland. Das plötzliche Verschwinden von über 260 Tankstellen führte zu einer Neuordnung des Marktes und schärfte das Bewusstsein für die Risiken von Dumping-Preisen, die zu schön sind, um wahr zu sein.

Die Goldin-Affäre steht exemplarisch für die Wirtschafts- und Steuerskandale der 1970er Jahre in der Bundesrepublik. Sie zeigt auf dramatische Weise, wie systematischer Betrug, politische Verstrickungen und versagende Kontrollen zu einem Desaster führen können, das weit über die unmittelbar Beteiligten hinaus Schäden verursacht. Als Paradebeispiel für die Schwächen des Systems bleibt sie auch heute noch eine wichtige Lehre für die Notwendigkeit transparenter und effektiver staatlicher Aufsicht in der Marktwirtschaft.


Quellen:

Wikipedia 

DOKU – Es geschah in NRW Der große Benzinbetrug – Ölbaron Erhard Goldbach – Goldin Tankstellen

Von Rolevinck

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