Rankings verleihen Münster regelmäßig Bestnoten als Wirtschaftsstandort. Die Stadt rangiert im Prognos Zukunftsatlas auf Platz 19 von 400 deutschen Städten, im Städteranking der WirtschaftsWoche belegt sie Platz 2 in Nordrhein-Westfalen. Diese Bewertungen suggerieren eine solide wirtschaftliche Basis und rosige Zukunftsaussichten. Doch ein genauerer Blick auf die Wirtschaftsstruktur offenbart ein fundamentales Problem: Münster lebt nicht von eigenständiger Wertschöpfung, sondern im Wesentlichen von staatlichen Transferzahlungen.


Die Illusion der Dienstleistungsmetropole

Mit einem Dienstleistungsanteil von 88 Prozent der Bruttowertschöpfung präsentiert sich Münster als moderne Dienstleistungsmetropole. Lediglich zwölf Prozent stammen aus dem produzierenden Gewerbe. Diese Zahlen täuschen jedoch über die wahre Natur der örtlichen Wirtschaft hinweg. Der Dienstleistungssektor wird nicht etwa von innovativen Technologieunternehmen oder international agierenden Beratungsgesellschaften dominiert, sondern von öffentlicher Verwaltung, wissenschaftlichen Einrichtungen und dem Gesundheitswesen.

Münster ist und bleibt eine klassische Beamten- und Verwaltungsstadt. Die Universität Münster mit über 60.000 Studierenden, die städtische und regionale Verwaltung sowie die Gesundheitseinrichtungen bilden das Rückgrat der lokalen Beschäftigung. Diese Institutionen leben jedoch nicht von marktwirtschaftlicher Wertschöpfung, sondern von staatlichen Zuwendungen, Steuergeldern und öffentlichen Haushalten.

Das Klumpenrisiko wird sichtbar

Die wenigen privatwirtschaftlichen Großunternehmen wie die LVM Versicherung oder die Provinzial verstärken das strukturelle Problem noch. Sie konzentrieren sich auf wenige Branchen und schaffen damit ein erhebliches Klumpenrisiko. Sollten diese Unternehmen durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ihre Belegschaften reduzieren oder ihre Standorte verlagern, bricht ein wesentlicher Teil der privatwirtschaftlichen Basis weg.

Versicherungsunternehmen sind zudem stark von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Einkommenssituation der Bevölkerung abhängig. Bei anhaltender wirtschaftlicher Schwäche sinken die Beitragseinnahmen, was Personalabbau und Standortkonsolidierungen zur Folge haben kann. Das Rationalisierungspotenzial durch KI ist in der Versicherungsbranche besonders hoch, da viele Routinetätigkeiten automatisiert werden können.

Der größte Arbeitgeber in der Industrie, BASF Coatings, steht vor einer ungewissen Zukunft.

Wenn das staatliche Geld knapper wird

Der städtische Haushalt verdeutlicht die Abhängigkeit von staatlichen Mitteln auf drastische Weise. Über die Hälfte der Ausgaben fließt in soziale Leistungen und staatlich finanzierte Aufgaben. 2025 betragen allein die Transferaufwendungen 875 Millionen Euro. Diese werden fast ausschließlich durch staatliche Zuweisungen und nicht durch lokale Wirtschaftskraft finanziert.

Die Kämmerin und der Oberbürgermeister warnen bereits vor den finanziellen Folgen: Die Ausgleichsrücklage der Stadt reicht voraussichtlich nur noch bis 2026. Danach droht die Haushaltssicherung mit massiven Einschnitten bei freiwilligen und möglicherweise auch Pflichtleistungen. Sollte die wirtschaftliche Talfahrt anhalten, werden die staatlichen Steuereinnahmen sinken und die kommunalen Zuweisungen entsprechend schrumpfen.

Rankings als Trugschluss

Rankings wie der Prognos Zukunftsatlas oder die Bewertungen der WirtschaftsWoche basieren auf quantifizierbaren Indikatoren wie Arbeitslosenquoten, Bildungsstand oder Infrastruktur. Sie bilden jedoch strukturelle Risiken wie extreme Transferabhängigkeit oder mangelnde wirtschaftliche Diversität nicht angemessen ab. Eine Stadt kann bei vielen Einzelindikatoren sehr gut abschneiden und dennoch strukturell verwundbar sein.

Die Ranking-Anbieter selbst betonen, dass ihre Bewertungen nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage dienen sollten, da qualitative Faktoren wie wirtschaftliche Widerstandskraft nicht berücksichtigt werden. Gerade diese Widerstandskraft fehlt Münster jedoch aufgrund der einseitigen Ausrichtung auf staatlich finanzierte Bereiche.

Die harte Realität

Ohne industrielle Basis fehlt Münster die Grundlage für eine selbsttragende Wirtschaft. Industrie schafft nicht nur direkte Arbeitsplätze, sondern generiert auch Nachfrage für unternehmensnahe Dienstleistungen, Logistik und Handel. Diese Multiplikatoreffekte bleiben in einer verwaltungsdominierten Stadt aus.

Münster mag eine lebenswerte Stadt mit hoher Bildungsqualität und guter Infrastruktur sein. Wirtschaftlich jedoch steht die Stadt auf tönernen Füßen. Sie lebt von staatlichen Transferzahlungen, nicht von eigenständiger Wertschöpfung. Bei anhaltender gesamtwirtschaftlicher Schwäche wird sich diese Abhängigkeit als Achillesferse erweisen. Die scheinbar glänzenden Wirtschaftsrankings können über diese fundamentale Schwäche nicht hinwegtäuschen.

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl sagte einmal, dass ab 50% Staatsquote der Sozialismus beginnt. Was das betrifft, ist Münster weit über dem „Soll“.

So gesehen hat Münster eine der schwächsten Wirtschaftsstrukturen, die in einer (sozialen) Marktwirtschaft überhaupt noch denkbar ist. Selbst in der DDR war der Anteil der Privatwirtschaft so viel geringer nicht: „Der Anteil der Privatwirtschaft in der ehemaligen DDR variierte im Zeitverlauf stark: 1950 lag der Anteil der privaten Unternehmen am Nationaleinkommen bzw. Bruttoinlandsprodukt noch bei etwa einem Drittel, sank jedoch bis zur großen Verstaatlichungswelle 1972 auf rund 10 Prozent der industriellen Gesamtproduktion ab; in den 1980er Jahren lag der Anteil der Beschäftigten in der Privatwirtschaft nur noch bei etwa 5 Prozent, ihr Beitrag zur Wirtschaftsleistung betrug weniger als 4 Prozent“[1]Mythos totale Verstaatlichung: Private Unternehmen in der DDR[2]Verstaatlichung der privaten und halbstaatlichen BetriebeIn China beträgt der Anteil der Privatwirtschaft am BIP übrigens ca. 60 Prozent[3]CGTN: China strebt eine hochwertige Entwicklung der Privatwirtschaft an.


Vergleich mit Städten ähnlicher Größenordnung und die ebenfalls viele Verwaltungen beherbergen. Bonn, Karlsruhe, Freiburg, Mainz, Braunschweig, Kiel und Wiesbaden. 

Die Wirtschaftsstruktur von Münster unterscheidet sich deutlich von Städten wie Bonn, Karlsruhe, Freiburg, Mainz, Braunschweig, Kiel und Wiesbaden insbesondere hinsichtlich des Anteils privatwirtschaftlicher, industrieller und wissensbasierter Wertschöpfung.

Münster

  • Münster ist stark geprägt von öffentlichen Dienstleistungen, Verwaltung, Wissenschaft und Gesundheitswesen.
  • Rund 88% der Bruttowertschöpfung stammen aus Dienstleistungen, der industrielle Anteil ist mit etwa 12% sehr niedrig.
  • Die Region ist in erster Linie klein- und mittelständisch, mit wenigen größeren privatwirtschaftlichen Arbeitgebern und starkem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber staatlichen Transferleistungen.

Bonn

  • Bonn ist, ähnlich wie Münster, ein Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum, aber mit deutlich mehr privatwirtschaftlichen Großunternehmen und international agierenden Konzernen (Deutsche Telekom, Deutsche Post).
  • Der Dienstleistungssektor macht etwa 82% der Beschäftigung aus, dennoch gibt es produktionsnahe Branchen wie Maschinenbau und Kunststoffindustrie als Leitbranchen.
  • Bonn profitiert von einer diversifizierten Branchenstruktur inklusive Logistik, IT, Handel und produktionsnahen Dienstleistern, was die Widerstandsfähigkeit der Stadt erhöht.
  • Die Stadt weist regelmäßig hohe Kaufkraft und niedrige Arbeitslosigkeit aus.

Karlsruhe

  • Karlsruhe hat eine diversifizierte und innovative Wirtschaftsstruktur mit einem hohen Anteil an Industrie, High-Tech, Forschung und wissensbasierten Unternehmen.
  • Die Region erwirtschaftet mehr als ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts durch Industrie, Gewerbe und Handel.
  • Informationstechnologie, Maschinenbau, Elektrotechnik und Handwerk prägen die Wirtschaftslandschaft, dazu bietet ein dichtes Netz an Hochschulen und Forschungseinrichtungen Innovationspotenziale.
  • Das BIP pro Kopf, Innovationskraft und Beschäftigtenstruktur liegen deutlich über dem Durchschnitt vergleichbarer Städte.

Mainz

  • Bruttowertschöpfung: Stark gestiegen, BIP 2022 etwa 24,6 Milliarden Euro.
  • Branchen: Mainz hat einen gesunden Industriestandort mit über 1.000 produzierenden Unternehmen (z.B. Schott AG, Werner & Mertz, viele „Hidden Champions“), eine bedeutende Gesundheitswirtschaft (v.a. BionTech), Bio-Tech sowie eine agile Kultur-, Kreativ- und Medienwirtschaft.
  • Dienstleistungen und Innovation: Hohe Innovationsdynamik, starker Forschungseinfluss durch Universität und Institute.
  • Transferabhängigkeit: Öffentliche Sektor relevant, aber durch industrielle Basis klar geringer als in Münster.
  • Besonderheit: Der Erfolg von BionTech hat die Wirtschaftsleistung außergewöhnlich gesteigert und birgt Klumpenrisiken.

Wiesbaden

  • Bruttowertschöpfung: BIP 2016 ca. 17,1 Milliarden Euro, hohes BIP pro Kopf; sehr hohe Kaufkraft.
  • Struktur: Finanzwirtschaft, Verwaltung und Dienstleistungssektor spielen große Rolle; Medien, Versicherungen und Banken sind wichtige Arbeitgeber.
  • Industrieanteil: Im Vergleich solide, aber untergeordnet gegenüber Dienstleistungen; traditionell und dynamisch durch Mittelstand und Kreativbranchen.
  • Transferabhängigkeit: Als Landeshauptstadt und Verwaltungssitz besteht wie in Münster eine hohe Bedeutung des öffentlichen Sektors, aber die privatwirtschaftliche Basis (Banken, Versicherungen, Gesundheit, Einzelhandel, IT) ist breiter.

Freiburg

  • Bruttowertschöpfung: Wirtschaftsleistung von rund 13,7 Mrd. Euro, BIP pro Kopf etwa 55.000 €.
  • Branchen: Hoher Anteil an Umweltwirtschaft, Erneuerbaren Energien, IT, Lebenswissenschaften, Medizintechnik, Mikrosystem- und Messtechnik; großer Dienstleistungssektor, aber auch industrielle Kompetenz im Maschinenbau, Elektrotechnik und Metallverarbeitung.
  • Innovation: Bedeutende Universitätsstadt und Forschungsregion, hohe Gründungsintensität, viele Start-ups.
  • Transferabhängigkeit: Dienstleistungs- und Bildungssektor wichtig, aber private Branchen und Forschung stark ausgeprägt; weniger transferabhängig als Münster.

Braunschweig

  • Traditionell ein starker Industriestandort mit Automobil- und Maschinenbau, hat aber durch Forschung und Innovation auch einen starken Dienstleistungssektor (TU, Fraunhofer, Zeiss, VW, Siemens, GOM, Landessparkasse etc.).

Kiel

  • Die Stadt ist geprägt durch maritime Wirtschaft, Gesundheits- und IT-Branche, Bahntechnik und Erneuerbare Energien. Industrie spielt eine wichtige (aber nicht dominante) Rolle, Dienstleistungen bilden ca. 83 % der Wertschöpfung.

Fazit

Während Bonn und Münster beide verwaltungs- und dienstleistungsorientiert sind, verfügt Bonn über eine stärkere privatwirtschaftliche Basis und internationale Unternehmen. Karlsruhe ist wesentlich industrieller und innovationsgetriebener, mit einer ausgewogenen Mischung aus Forschung, Industrie und Dienstleistungen. Münster bleibt im direkten Vergleich hochgradig abhängig von staatlichen Geldern und weist die geringste industrielle Diversifizierung

Mainz profitiert von einer einzigartigen Bio-Tech- und Pharmadynamik, hat aber ein Klumpenrisiko bei Einzelbranchen.

Wiesbaden verbindet einen sehr breiten Dienstleistungssektor (insbesondere privatwirtschaftlich) mit überdurchschnittlicher Wohlstandsentwicklung.

Freiburg besitzt eine starke Innovationslandschaft mit wichtigen industriellen und wissensbasierten Sektoren und ist deutlich resilienter gegenüber Transferknappheit.

Haushaltslage der Städte 

Was die aktuelle Haushaltslage betrifft, steht Münster im Vergleich mit den anderen Städte noch gut da. Nur Freiburg hat derzeit noch eine bessere Haushaltslage. Von daher steht der Wirtschaftserfolg nahezu aller Kommunen auf tönernen Füßen, was wiederum für die Zukunft nichts Gutes ahnen lässt …

Von Rolevinck

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