Westfalen ist mehr als Fachwerk, Kornfelder und Kohlegruben. Wer genauer hinsieht, entdeckt ein dichtes Geflecht von Erfindern, Unternehmern und Ingenieuren, die seit dem 18. Jahrhundert den technischen Fortschritt nicht nur der Region, sondern ganz Europas geprägt haben.
Da ist etwa Nikolaus Dürkopp, der in Bielefeld mit Nähmaschinen begann und später Automobile und Fahrräder produzierte – ein Name, der für die frühe Verbindung von Alltagsgegenstand und Mobilität steht. August von Borries wiederum führte als Lokomotivkonstrukteur die preußische Eisenbahn in die Moderne, während Anton Knubel die Pionierzeit der Luftfahrt in Westfalen mitgestaltete. Hugo Bremer war ein origineller Erfinder und Unternehmer. Er erfand das sogenannte „Bremer Licht“, eine besonders helle Intensivflammenbogenlampe, die bei der Pariser Weltausstellung 1900 mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde. Auch Produkte wie Heftzwecken und Schuhknöpfe verdanken seiner Tüftelei Verbesserungen.
Die westfälische Industrie war nicht nur eine Sache der Schwerindustrie, sondern auch von Feinmechanik und Wissenschaft. Bodo von Borries, Mitentwickler des Elektronenmikroskops, veränderte die Forschung in Medizin und Materialwissenschaft grundlegend. Robert Ochsenfeld entdeckte mit Walther Meißner den Effekt, der heute die Grundlage der Supraleitung bildet. Und im späten 20. Jahrhundert erfand Josef F. Bille die Laserchirurgie am Auge – ein Beispiel dafür, dass westfälische Innovationskraft bis in die Hightech-Medizin reicht.
Auch Unternehmerpersönlichkeiten schrieben Geschichte: Gustav Selve machte seine Maschinenfabrik zur größten Draht- und Röhrenproduktion Europas. Fritz Honsel baute aus dem Sauerland einen Weltkonzern der Aluminiumdruckguss-Technik, ohne den die moderne Automobilindustrie kaum denkbar wäre. Moritz Klönne prägte den Stahl- und Brückenbau, während Familien wie die Delius in Bielefeld oder die Harkorts an der Ruhr die Textil- und Eisenindustrien ins industrielle Zeitalter führten.
Und es gibt die leiseren Gestalten, Tüftler wie Johann Ignaz Fuchs oder D.W. Lübbers, die im Schatten der großen Namen Bauteile, Verfahren und Maschinen erdachten – das unsichtbare Rückgrat des Fortschritts.
Die Liste ließe sich fast endlos fortsetzen: von Chemikern wie Friedrich Hofmann, dem Erfinder des synthetischen Kautschuks, bis zu Optikern wie Ludwig Schupmann, dessen Medial-Fernrohr bis heute als Meisterleistung gilt. Sie alle zeigen, dass Westfalen nicht nur ein Land der Werkbänke war, sondern ein Land der Ideen.
Innovation war hier selten Selbstzweck. Sie war eingebettet in ein Geflecht von Familienunternehmen, Werkstätten, Universitäten und Werkhallen. Die Nähe von Handwerk, Industrie und Wissenschaft schuf eine Kultur, in der technisches Können und kaufmännischer Wagemut sich gegenseitig verstärkten.
Wer die Geschichte Westfalens liest, liest daher auch eine Geschichte der Moderne: von der ersten Nähmaschine bis zum Laserstrahl, von der Eisenbahn bis zum Elektronenmikroskop. Ein Mosaik, in dem sich zeigt, dass technischer Fortschritt selten aus den Metropolen allein kommt, sondern auch aus jenen Landschaften, die man leicht unterschätzt – aus dem Westen, aus Westfalen.
Quelle:
Westfälische Techniker, Ingenieure und Erfinder