Von Ralf Keuper
Dass Albert Speer ein begnadeter Selbstdarsteller war, dürfte spätestens nach der Veröffentlichung des Buches Albert Speer. Eine deutsche Karriere zum Allgemeingut zählen. Jedoch – ein Blick auf die Rolle der Wissenschaft und des Journalismus in den Jahrzehnten nach 1945 zeigt, dass man sich vor zu großen Erwartungen hüten sollte. Ebenso wenig darf die Funktion übersehen werden, welche die Person Albert Speers für viele Deutsche in der Nachkriegszeit übernommen hat. Speer war nach 1945 ein willkommenes und dankbares Spiegelbild der deutschen bürgerlichen Gesellschaft – das Sinnbild des Deutschen, der nur seine Pflicht getan hat – und das mit großer Professionalität und Effizienz.
Mit den vielen Mythen und Legenden, die sich um Albert Speer gerankt haben, räumt Magnus Brechtken in dem eingangs erwähnten Buch gründlich auf. In seinem Vortrag Albert Speer als Nationalsozialist und Erinnerungskonstrukteur auf Einladung der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte im Großen Saal der IHK zu Dortmund, schilderte Brechtken die verschiedenen Taktiken und Strategien, die Speer bei der Konstruktion seiner Rolle während der NS-Zeit mit großem Geschick anwandte. Mit der Realität und den Fakten, das wurde während des Vortrags mehr als deutlich, hatte diese Konstruktion indes so gut wie gar nichts zu tun.
In einem Gespräch mit dem SWR erläuterte Brechtken vor einigen Monaten die wesentlichen Ergebnisse seiner Forschungen zu Speer, die sich über 10 Jahre erstreckten.
Die Konstruktion beginnt schon bei der Schilderung der ersten Kontakte mit dem Nationalsozialismus. Wie Speer selber in Interviews und seiner Biografie, die übrigens ein Bestseller war, darstellte, sei er erst Anfang der 1930er Jahre mit dem Nationalsozialismus in Berührung gekommen – und auch das eher unfreiwillig. Er sei ein Verführter gewesen. Das entspricht nicht den Tatsachen, da Speer sich nachweislich ab 1930 aus eigenen Antrieb für die NSDAP engagierte, u.a. als Vorsitzender des Berliner Automobilclubs (NS-Kraftfahrerkorps).
Die größte Konstruktion seiner Lebensgeschichte gelang ihm bei der Schilderung seiner Rolle beim Ausbau von Auschwitz. Entgegen der von ihm nach 1945 verbreiteten Version, war er in vollem Umfang über die Ereignisse in Auschwitz informiert – Dokumentiert durch das “Sonderprogramm Prof. Speer“. Zum Zeitpunkt der Nürnberger Prozesse lagen der Anklage diese Information noch nicht vor. Einer der Gründe, weshalb Speer einer Verurteilung zum Tode entging – sicherlich aber auch, da Speer als einziger der Angeklagten eine allgemeine Verantwortung für die Greuel der Nazis anerkannte, eine persönliche Schuld jedoch von sich wies. Mit dieser Darstellung gelang es ihm, seinen Kopf zu retten – im Gegensatz zu seinem Mitarbeiter Fritz Sauckel, der von seinem ehemaligen Chef sprichwörtlich und eiskalt in die Pfanne gehauen wurde (Vgl. dazu: Mit diesem Trick wurde Speer zum „guten Nazi“).
Schon ab den 1960er Jahren erschienen die ersten Werke, die sich kritisch mit der Rolle Speer während der NS-Zeit beschäftigten, wie das Buch The Destruction of the European Jews von Raul Hilberg und Das Ministerium Speer von Gregor Jansen. Beide Autoren wiesen auf das “Sonderprogramm Prof. Speer hin. Bereits seit Ende der 1950er Jahre konnten die Verstrickungen Speers in die Verbrechen des NS-Regimes im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) recherchiert werden.
Als Albert Speer im Jahr 1966 nach zwanzigjähriger Haft entlassen wurde, setzte, ungeachtet des bis dahin bereits vorhandenen wissenschaftlichen Forschungsstandes, die Legendenbildung um seine Person ein. Ohne die Unterstützung der Medien, wie des SPIEGEL, des Stern und der Quick, des NDR und von Verlagen wie Ullstein, wäre Speer die Erinnerungskonstruktion in eigener Sache deutlich schwerer gefallen.
Speer wurde mit seiner Entlassung zu einem Medienstar. Es folgten zahlreiche Interviews, die sich der Spiegel und Stern einiges kosten ließen. Die Legende vom guten Nazi ging in Umlauf. Dabei konnte er sich auf ein effektives Netzwerk stützen.
Eine prominente und im Nachhinein unrühmliche Rolle übernahmen dabei Joachim Fest, der spätere Herausgeber der FAZ, und der Verleger Wolf Jobst Siedler. Exemplarisch für die Rolle Joachim C. Fests ist sein Interview im NDR mit Speer. Darin mimte Speer den naiven, gutgläubigen Mitläufer. Fest übernahm darin im wesentlichen die Sichtweise Speers. Kritische Fragen wurden bereits im Vorfeld des Interviews ausgeschlossen.
Noch während seiner Haft knüpfte Speer Kontakte zu den diversen Medien – wie mit dem Ullstein-Verlag. Die Spandauer Tagebücher Speers waren der größte Verkaufsschlager des Verlages wie überhaupt im deutschen Buchhandel jener Zeit. Auch andere Verlage zeigten an den Tagebüchern großes Interesse, wie der Spiegel seinerzeit in Große Aufregung berichtete:
Die Nachfrage nach den Tagebüchern ist in der Tat bereits so stark, daß Ullstein das neue Speer-Buch mit einer Erstauflage von 200 000 Exemplaren starten will. Schon jetzt zeichnet sich ein ungewöhnlicher Geschäftserfolg ab: “Die Welt” erwarb die Serialisierungsrechte für 600 000 Mark, der Macmillan-Verlag in New York gab für die inneramerikanischen Buchrechte 350 000 Dollar aus — laut Siedler “die höchste Summe, die jemals für ein deutsches Buchrecht bezahlt worden ist”.
Noch im Jahr 1999 führte Joachim Fest das Narrativ von Albert Speer als großem Organisationstalent, das seine Dienste bedauerlicherweise für falsche Zwecke einsetzte, fort. Die Rolle der Medien und die Rezeptionsgeschichte von Speers Memoiren thematisierte Isabel Tommer in dem Buch Rechtfertigung und Entlastung. Albert Speer in der Bundesrepublik. Ein Wendepunkt war der Film Speer und Er von Heinrich Breloer im Jahr 2005.
Auch die Wissenschaft trug erstaunlich wenig zur Demystifizierung Albert Speers bei. Im Jahr 1969 saß der Historiker Eberhard Jäckel der Erzählung von Speer auf. In seinem Beitrag für den Spiegel Eberhard Jäckel über Albert Speer: „Erinnerungen“ schrieb Jäckel:
Niemand darf spotten über einen Mann, der, als er vierzig war, ins Gefängnis mußte und mit sechzig wieder herauskam. Welches Los, auch wenn von den 55 Millionen Kriegstoten manche lieber so wie er davongekommen wären. Man muß die Kraft bewundern, mit der er diese Jahrzehnte der Haft durchstand, ohne Bitterkeit und mit dem Gefühl, für etwas damit zu zahlen, an dem andere weit schuldiger waren als er. Aber auch darin hatte er noch einmal fortune. Er mußte seine Memoiren nicht ins Ungewisse schreiben. Er hatte zwanzig Jahre Zeit zur Reflexion, zu einer, unbestritten, höchst ehrenwerten Reflexion. Er konnte sich auf ein Buch stützen, das bereits über ihn veröffentlicht worden war. Er hatte historische Berater zur Seite (die ihm, nebenbei gesagt, ein paar ärgerliche Schnitzer hätten ausstreichen und für ein zuverlässigeres Register hätten sorgen sollen).
Es gibt übrigens enge (Familien-)Bande zwischen Albert Speer und Dortmund. Der Großvater und Vater Speers waren gebürtige Dortmunder. Dem Großvater gehörte die 1870 gegründete Brauerei Theobald Speer & Co., die später in die Dortmunder Union Brauerei aufging (Mehr dazu in: Albert Speer und die Dortmunder Union-Brauerei). Bemerkenswert auch die Bemühungen des damaligen Chefs der Dortmunder Union Brauerei, Felix Eckhardt, bei der Resozialisierung Albert Speers.
Nachdem Albert Speer Ende September 1966 aus der Spandauer Haft entlassen worden war, engagierte ihn die DUB im Januar 1967 als Berater für ein Großbauprojekt. „Wir möchten Herrn Speer gern behilflich sein, sich wieder in seinem alten Beruf zu betätigen,“ schrieb in diesem Sinne Felix Eckhardt am 25. Januar 1967 an Ernst Neufert, dessen Darmstädter Büro Speer daraufhin als Berater anstellte, um in Dortmund weiteres Aufsehen zu vermeiden, nachdem ein Besuch Albert Speers bei der DUB in der Dortmunder Presse für negative Schlagzeilen gesorgt hatte.
Weitere Informationen:
Der erfolgreichste Manipulator des Dritten Reiches
Albert Speer. Aufstieg und Fall eines Mythos
[Doku] Geheimnisse des “Dritten Reichs” – Speers Täuschung