Von Ralf Keuper

In den 1950er und 1960er Jahren durchlief die Film- und Fernsehbranche in Deutschland eine  stürmische Phase; die Reviere zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medienunternehmen wurden abgesteckt. Für die nächsten 30 Jahre, bis zum Aufkommen des Privatfernsehens, sollte sich an den Grenzen, die damals gezogen wurden, nur wenig ändern. Einer der Akteure jener Zeit war Edzard Reuter, der später als Chef von Daimler-Benz bundesweit bekannt wurde. Seine ersten beruflichen Erfahrungen sammelte Reuter bei der UFA, die damals noch nicht zu Bertelsmann gehörte. Nach der Gründung der ARD war der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer der Ansicht, dass es einer weiteren Sendeanstalt bedurfte – es folgte die Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF). Da das ZDF nicht in der Filmproduktion tätig war, sahen einige Verleger, wie Reinhard Mohn, die Chance, die Rolle des Filmproduzenten zu übernehmen. Aus diesem Anlass wurde die Bertelsmann Fernsehproduktion GmbH mit Sitz in München gegründet. Ziel war die Verwirklichung eines “Verlegerfernsehens”. Auf Reuter durch seinen engsten Mitarbeiter, Gerhard Henschel, aufmerksam geworden, lud Reinhard Mohn Reuter zu einem persönlichen Gespräch nach Gütersloh ein. Über den Gesprächsverlauf schreibt Reuter in Schein und Wirklichkeit. Erinnerungen:

Entsprechend begeistert war ich, als ich zu einem Gespräch nach Gütersloh gebeten wurde und Mohn, ganz und gar formlos mit einer Lederjacke bekleidet und selbst am Steuer seines Autos sitzend, mich abholte, um bei sich zu Hause mit mir zu sprechen. Wir fanden Gefallen aneinander. Er umriss seine unternehmerische Idee, das ZDF zu veranlassen, auf den Aufbau eigener Produktionskapazitäten zu verzichten und statt dessen sein Programm von einer kleinen Zahl von Zulieferanten einzukaufen. Dazu sollte in erster Linie die von ihm initiierte Gruppe unterschiedlichster Verleger gehören.

Die beiden wurden schnell handelseinig. Reuter begann Anfang 1962 seine Arbeit bei der Bertelsmann Fernsehproduktion GmbH in München. Anders als angenommen, baute das ZDF eigene Kapazitäten für die Filmproduktion auf. Alles Werben bei den Verantwortlichen des ZDF half nichts. Der Fehlschlag war kaum noch zu vermeiden. Bei einem Gespräch zwischen Mohn, Henschel und Reuter für Bertelsmann und dem ZDF-Programmdirektor Grahlmann zerschlugen sich alle Hoffnungen, sich als Zulieferer für das ZDF im Filmgeschäft zu positionieren. Bertelsmann verabschiedete sich sang- und klanglos vom Fernsehgeschäft, bevor es noch begonnen hatte. Reuter war von dem Verhalten Mohns während des Gesprächs mit dem ZDF-Vertreter enttäuscht. Mohn ließ Reuter, der die Gegenseite von den Vorzügen einer Kooperation überzeugen wollte, im Stich und wechselte seine Strategie, ohne vorherige Ankündigung, um 180 Grad. Die Beziehung zwischen Reuter und Mohn zerbrach daran. Da sich Reinhard Mohn und seine damalige rechte Hand, Manfred Köhnlechner, weigerten, Reuter eine angemessene Abfindung zu zahlen, ging man vor das Arbeitsgericht. Dort mussten dann Mohn und Köhnlechner als Zeugen aussagen. Ergebnis war ein Kompromiss, den Reuter als für sich einigermaßen akzeptabel bezeichnet.

Rückblickend schildert Reuter seine Lehre, die er als leitender Angestellter bei einem privaten Unternehmen, das von einem ebenso dynamischen wie eigensinnigen Unternehmer geführt wurde, gezogen hat:

Geblieben ist mir aus der Zeit bei Bertelsmann vor allem die durch spätere Beobachtung wiederholt bestätigte Lehre, wie zwiespältig es ist, sich als innerlich unabhängiger Mensch auf eine enge Zusammenarbeit mit Privatunternehmern einzulassen. Sie sind ihr eigener Herr auch in dem Sinne, dass sie aus rational nicht nachvollziehbaren Gründen von einem Tag zu anderen ihre Meinung ändern können. Verlässlichkeit als Grundlage für gegenseitiges Vertrauen zählt dann wenig. In Aktiengesellschaften, die nicht von einem einzelnen Großaktionär beherrscht werden, mag es andere Nachteile geben: Persönliche Abhängigkeiten vergleichbarer Art finden sich dort selten. Reinhard Mohn war ein solcher Unternehmer. Noch Jahre später wurde ihm sein väterlich-jovialer Umgang mit jüngeren Mitarbeitern rühmlich nachgesagt. Dafür waren nicht nur Mutproben oder Albereien kennzeichnend, .., sondern auch die Bereitschaft, ihnen die volle Verantwortung für einen ganzen Geschäftsbereich zu überlassen. Aber wehe, die Gunst der persönlichen Zuneigung erlosch, aus welchen Gründen auch immer. So bleibt zwar die Großartigkeit seines unternehmerischen Lebenswerkes unbestreitbar, doch nicht wenige haben dafür bezahlen müssen.

Von Rolevinck

2 Gedanken zu „Edzard Reuters Erfahrungen als Mitarbeiter von Reinhard Mohn“

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