Von Ralf Keuper
Als die Bertelsmann-Stiftung im vergangenen Jahr eine Studie veröffentlichte, in der die Schließung jedes zweiten Krankenhauses in Deutschland empfohlen wurde, war das Echo schon damals geteilt. Der Vorsitzende der Ärztevereinigung Marburger Bund wandte dagegen ein, Krankenhäuser seien keine Profitcenter[1]Scharfe Kritik an Studie zu Krankenhaus-Schließungen. Die Autoren der Studie wiesen darauf hin, dass größere Krankenhäuser mit besserer Ausstattung und erfahrenden Ärzten bessere Leistungen erbringen, als das heute weitgehend der Fall sei. Dem hielten die Kritiker entgegen, dass auf dem Land schon heute an vielen Stellen eine Unterversorgung mit Krankenhausbetten gegeben sei.
Mit Blick auf die aktuelle Corona-Krise hätte die Befolgung der Ratschläge der Bertelsmann-Stiftung nach Ansicht vieler verheerende Konsequenzen gehabt. Die von der Bertelsmann-Stiftung geforderte Konzentration auf große Krankenhäuser würde die Probleme nicht lösen, ja sie sogar noch verschärfen[2]Corona-Seuche und Krankenhäuser-Zerstörung:
Ein Supergau für die Propaganda-Schimäre „Großkrankenhaus“ war der vor einem Jahrzehnt die bayerische Landeshauptstadt erschütternde Hygiene-Skandal des Städtischen Klinikkonzerns. U.a. zeigte es sich, dass unter der Verantwortung des von den Grünen gestellten Dritten Bürgermeisters zwar die Wirtschaftlichkeit des Klinikenbetriebes forciert wurde, damit aber auch beinahe unglaubliche Hygiene-Defizite bewirkt wurden: U.a. kam outgesourct „gereinigtes“ OP-Besteck Immer noch verschmutzt in die OP’s zurück. Im Internet findet sich eine reichhaltige Sammlung von Medienberichten zum „Münchner Klinik-Skandal“.
Die Bertelsmann-Stiftung war in der Vergangenheit häufig Gegenstand der Kritik. Vor allem ihre maßgebliche Mitwirkung bei der Einführung von Hartz IV sorgt immer wieder für Unmut[3]Wie eine Stiftung Politik macht. Es entsteht zuweilen der Eindruck, als würde hier Firmenwohl mit Gemeinwohl verwechselt, weshalb die Rufe nach einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Bertelsmann-Stiftung nicht leiser werden.
Im Gespräch mit der Neuen Westfälischen verteidigte die Bertelsmann-Stiftung vor wenigen Tagen ihre Studie vom vergangenen Jahr[4]Bertelsmann verteidigt umstrittene Studie. In Zeiten von Corona, so ein Sprecher der Stiftung, sollten die Krankenhäuser „von ambulant erbringbaren Leistungen entlastet werden. Die bloße Zahl an Betten und Beatmungsgeräten sei „nicht entscheidend“.
Damit reagierte die Stiftung auf die Äußerung des gesundheitspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Josef Neumann. Dieser hatte gesagt: „Wäre NRW dem Vorschlag der Bertelsmann-Stiftung gefolgt, wären die Kliniken jetzt überrannt worden“. Bertelsmann gehe es in erster Linie um Effizienzsteigerung und die Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Große Krankenhäuser würden zu einer großen Arbeitsverdichtung führen, worunter die Qualität leide.
Widerstand gegen die reine Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung und die damit verbundenen sozialen Kosten regt sich seit Jahren[5]Die sozialen Kosten der Ökonomisierung von Gesundheit.
Die Bertelsmann-Stiftung argumentiert in Richtung Zentralisierung. In Gütersloh scheint noch nicht aufgefallen zu sein, dass der Trend in Europa bzw. im Internet (z.B. Blockchain, GAIA-X) in Richtung Dezentralisierung geht, d.h. die Verteilung der Kapazitäten auf mehrere Knoten, um zu verhindern, dass der Ausfall eines Knotens das Gesamtsystem gefährdet. Die Lernkurven- und Skaleneffekte, d.h. die Größenvorteile großer Organisationen, sind nicht unbegrenzt; sie kehren sich irgendwann ins Gegenteil (Systemrisiko). Ein Umsteuern ist dann kaum noch möglich, da die Abhängigkeit von der mitgewachsenen Mono-Infrastruktur zu groß geworden ist. In Zeiten, in denen es verstärkt um Resilienz gehen muss (Stichwort: Schwarzer Schwan), ist Zentralisierung kontraproduktiv und Zeichen eines veralteten, eindimensionalen Denkstils.
Zuerst erschienen auf Denkstil
References