Als der 19-jährige Max Winkelmann 1881 nach Amerika aufbrach, ahnte niemand, dass dieser Recklinghäuser Kaufmannssohn siebzehn Jahre später einen Markennamen schaffen würde, der heute noch – über 125 Jahre später – zu den bekanntesten der Branche zählt. Die Geschichte von Glasurit ist mehr als eine Firmenchronik: Sie ist ein Lehrstück über die Verbindung von amerikanischem Unternehmergeist und westfälischer Beharrlichkeit.


Die deutsche Industriegeschichte kennt zahlreiche Gründerfiguren, deren Namen mit ihren Produkten verschmolzen sind. Krupp steht für Stahl, Bosch für Präzision, Siemens für Elektrotechnik. Weniger bekannt, aber nicht weniger bedeutsam ist der Name Max Winkelmann, der 1898 die Marke Glasurit eintragen ließ und damit den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte legte, die bis heute – als Teil der BASF Coatings – fortdauert.

Carl Peter Max Winkelmann, geboren am 4. Mai 1862 in Recklinghausen, entstammte jenem westfälischen Bürgertum, das im ausgehenden 19. Jahrhundert die industrielle Transformation der Region entscheidend mitgestaltete. Doch anders als viele seiner Zeitgenossen, die ihr Glück im heimischen Ruhrgebiet suchten, zog es den jungen Winkelmann in die Ferne. Mit 19 Jahren brach er nach Amerika auf – zu einer Zeit, als die Vereinigten Staaten zum industriellen Experimentierfeld der Welt wurden.

Was Winkelmann dort lernte, lässt sich aus den Quellen nur erahnen. Die amerikanische Industrie der frühen 1880er Jahre war geprägt von einem Pragmatismus, der sich um europäische Zunfttraditionen nicht scherte. Hier zählte, was funktionierte. Hier wurde improvisiert, kombiniert, neu erfunden. Winkelmann, so viel ist überliefert, sammelte Erfahrungen in der Herstellung und Beurteilung von Anstrich- und Lackmaterialien – Kenntnisse, die ihm später zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil gereichen sollten.

Nach seiner Rückkehr und dem obligatorischen Wehrdienst bei der Kaiserlichen Marine in Kiel gründete Winkelmann 1888 in Hamburg ein Handelsgeschäft für „Lackfirnisse und Farben en gros“. Die Wahl des Standorts war kein Zufall: Hamburg, das Tor zur Welt, bot Zugang zu den Rohstoffen, die Winkelmann benötigte – vor allem den begehrten China-Lack, der über die Handelsrouten der Hansestadt nach Europa gelangte.

Aus dem Handelsgeschäft wurde binnen weniger Jahre eine Lackfarbenfabrikation. 1893 bereits in größere Räumlichkeiten in der Banksstraße umgezogen, entwickelte Winkelmann sein erstes eigenes Produkt: Kristall-Weiss. Der Name verriet das Programm – es ging um Reinheit, um Qualität, um Beständigkeit. Das Produkt fand Abnehmer im Schiffsbau, wo die Lackierung von Linienschiffen höchste Anforderungen stellte, und später bei den Hamburger Straßenbahnen.

Der eigentliche Geniestreich folgte 1898: Winkelmann fasste den Entschluss, seine Produkte unter einem einheitlichen Markennamen zu vertreiben. Glasurit – der Name evozierte Glas und damit Transparenz, Härte, Glanz. Es war ein frühes Beispiel für jenes Markendenken, das heute zum Standardrepertoire jedes Marketingstudiums gehört, damals aber noch keineswegs selbstverständlich war.

Fünf Jahre später, 1903, traf Winkelmann eine Entscheidung, die sein Unternehmen endgültig in die erste Liga der deutschen Lackhersteller katapultieren sollte: Er kaufte in Münster-Hiltrup Baugelände zur Errichtung einer Lackfabrik. Die Standortwahl folgte nüchternem Kalkül – Bahnanbindung und Kanalnähe sicherten die Logistik. Doch sie hatte auch symbolische Bedeutung: Der gebürtige Recklinghäuser kehrte gewissermaßen in die Heimatregion zurück. Westfalen, das Land der Kaufleute und Handwerker, wurde zum industriellen Zentrum seiner Unternehmung.

Was Winkelmann von vielen seiner Zeitgenossen unterschied, war die Verbindung von technischem Verständnis und kaufmännischem Instinkt. Er war kein reiner Erfinder, kein Tüftler im Hinterzimmer. Er war auch kein bloßer Händler, der Produkte anderer vertrieb. Winkelmann verstand es, amerikanische Produktionsmethoden mit deutscher Gründlichkeit zu verbinden, Markenbildung mit Qualitätssicherung, Expansion mit Konsolidierung.

Als Max Winkelmann am 15. Dezember 1935 in Hamburg starb, hinterließ er mehr als ein Unternehmen. Er hinterließ einen Standort, der noch heute – als Teil der BASF Coatings – der größte Arbeitgeber der Region um Münster-Hiltrup ist. Er hinterließ einen Markennamen, der über ein Jahrhundert überdauert hat. Und er hinterließ ein Modell unternehmerischen Handelns, das in seiner Verbindung von Weltoffenheit und regionaler Verwurzelung, von Innovation und Beständigkeit, von amerikanischem Wagemut und westfälischer Solidität geradezu exemplarisch für das deutsche Unternehmertum seiner Epoche steht.

Die Geschichte von Max Winkelmann und Glasurit erinnert daran, dass erfolgreiche Industrieunternehmen selten aus dem Nichts entstehen. Sie sind das Ergebnis von Erfahrung, die oft weit über den heimischen Horizont hinausreicht, von Intuition für Märkte und Produkte, von Beharrlichkeit in der Umsetzung. Und sie sind, nicht zuletzt, das Ergebnis von Standortentscheidungen, die über Jahrzehnte, manchmal über mehr als ein Jahrhundert, nachwirken.

Dass ausgerechnet Münster-Hiltrup, ein Ort, den damals kaum jemand auf der industriellen Landkarte verorten konnte, zum Zentrum der deutschen Lackindustrie wurde, verdankt sich dem Weitblick eines Mannes, der mit 19 Jahren nach Amerika ging und mit 41 Jahren nach Westfalen zurückkehrte – um zu bleiben.

Von Rolevinck

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