Westfalen hat eine bemerkenswerte Tradition in der Kartografie hervorgebracht. Ein Schlüsselrolle kommt dabei Johannes Gigas zu. Wie Hans Kleinn in seiner Studie „Johannes Gigas (Riese), der erste westfälische Kartograph und sein Kartenwerk“ feststellt, verschaffte Gigas der Kartografie in Westfalen überhaupt erst Geltung. Bis zu seinem Wirken war die Kartografie in dieser Region buchstäblich eine weiße Fläche auf der wissenschaftlichen Landkarte.
Gigas verkörperte den Typus des Renaissance-Universalgelehrten: Neben seiner kartografischen Tätigkeit war er Leibarzt des Kurfürsten Ferdinand I. von Bayern sowie ein anerkannter Mathematiker und Physiker seiner Zeit. Diese interdisziplinäre Expertise floss in seine kartografischen Arbeiten ein und verlieh ihnen eine bis dahin unerreichte Präzision.
Obwohl Gigas‘ aktive Phase als Kartograf nur etwa acht Jahre währte – von 1616 bis 1624 –, reichte diese kurze Zeitspanne aus, um die Kartografie nachhaltig zu prägen. Wie Kleinn betont: „In diesen wenigen Jahren hat die westfälische Kartografie jedoch einen wesentlichen Fortschritt erfahren, der neidlos von den großen Kartenmachern der Zeit anerkannt wurde.“ Seine Arbeiten wurden nicht nur von niederländischen Verlegern geschätzt, sondern auch von deutschen, französischen und italienischen Kartografen übernommen – ein Beleg für ihre außergewöhnliche Qualität.
Als Hauptwerk gilt der sogenannte Kölner Atlas, der als erster „wirklicher“ Atlas Nordrhein-Westfalens betrachtet wird. Wie Werner Bergmann hervorhebt, war dies ein für seine Zeit innovatives Projekt, da Gigas als Erster eine sehr genaue Karte für einen begrenzten geografischen Raum erstellte. Weitere bedeutende Arbeiten sind die Schaukarte vom Bistum Münster, die „Pauluskarte“ vom Bistum Münster und die Karte des Fürstbistums Paderborn.
Zeitlich noch vor Gigas wirkte Tilemann Stella, der die älteste Karte von Mecklenburg schuf. Stellas großer Traum war jedoch eine umfassende, detaillierte Deutschlandkarte – ein Projekt, das die Ambition dieser frühen Kartografen verdeutlicht, auch wenn er sich nicht mit der kartografischen Erfassung Westfalens beschäftigte.
Eng verwandt mit der Kartografie ist die Geodäsie, die Wissenschaft der Erdvermessung. Friedrich Wilhelm Bessel, ein herausragender Geodät und Vermessungsingenieur, revolutionierte mit seinen präzisen Methoden das Verständnis von Erdgestalt und astronomischen Zusammenhängen. Seine Arbeiten legten wichtige Grundlagen für die moderne Kartografie.
Fernblicke und detaillierte Einblicke
Engelbert Kaempfer erweiterte den kartografischen Horizont durch seine Reisen nach Fernost. Seine Karten des Landwegs nach Edo oder der Stadt Nagasaki dokumentieren nicht nur geografische Gegebenheiten, sondern auch kulturelle Begegnungen zwischen Europa und Asien.
Diese Arbeiten zeigen, wie Kartografie als Brücke zwischen verschiedenen Welten fungieren kann.
Hermann Berghaus erhielt für seine kartografischen Leistungen höchste Ehren und etablierte neue Standards in der wissenschaftlichen Kartenerstellung. Selbst Künstler wie der Maler Hermann tom Ring betätigten sich gelegentlich als Kartografen und brachten dabei ihre ästhetische Sensibilität in die technische Präzision der Kartografie ein.
Von der barocken Präzision zur modernen Geodäsie
Das 18. Jahrhundert brachte mit Erich Philipp Ploennies einen bemerkenswerten Kartografen hervor, der die Verbindung zwischen Kartografie und Staatsverwaltung exemplarisch verkörperte. Als Mathematiker, Baumeister und Kartograf schuf Ploennies ab 1708 im Auftrag der Herrschaftsverwaltungen von Jülich-Berg und Nassau-Siegen detaillierte Vermessungen, die Kartografie erstmals systematisch mit statistischer Beschreibung verknüpften. Seine „Topographia Ducatus Montani“ von 1715 gilt als älteste topografische Darstellung des Bergischen Landes und bildete eine wichtige Grundlage für die administrative und fiskalische Staatsverwaltung.
Mit dem 19. Jahrhundert etablierte sich die Geodäsie als exakte Wissenschaft. Carl Friedrich Koppe aus Soest wurde durch seine Beteiligung an der präzisen Vermessung des Gotthardtunnels (1874-1875) bekannt und entwickelte als Professor an der TU Braunschweig um 1890 den ersten Fototheodolit. Seine Pionierarbeit in der terrestrischen Fotogrammetrie zeigt, wie technische Innovation die kartografische Präzision revolutionierte.
Gleichzeitig schuf Friedrich Gustav Gauß aus Bielefeld als „Katastergauß“ die organisatorischen Grundlagen moderner Vermessung. Mit 3400 Mitarbeitern gelang es ihm, das preußische Grundsteuer- und Gebäudekataster fristgerecht aufzubauen – eine administrative Meisterleistung, die bis heute das deutsche Vermessungswesen prägt. Seine Verbindung von wissenschaftlicher Präzision mit praktischer Umsetzung machte ihn zu einer Schlüsselfigur der angewandten Geodäsie.
Die digitale Revolution der Kartografie
In unserer Zeit vollzieht sich ein fundamentaler Wandel: Geoinformationssysteme übernehmen zunehmend die traditionelle Arbeit von Kartografen und Geografen. Diese technologische Revolution demokratisiert einerseits den Zugang zu kartografischen Informationen, schafft aber gleichzeitig neue Herausforderungen. Die Geoinformatik, die an der Universität Münster studiert werden kann, verbindet dabei klassische geografische Kenntnisse mit modernster Informationstechnologie.
Fazit: Die bleibende Relevanz kartografischen Denkens
Die Geschichte der Kartografie zeigt, dass Karten weit mehr sind als bloße Orientierungshilfen. Sie prägen unser Weltverständnis, ermöglichen gesellschaftlichen Fortschritt und können zugleich als Machtinstrumente fungieren. Auch im digitalen Zeitalter bleibt kartografisches Denken unverzichtbar – vielleicht sogar wichtiger denn je, da wir lernen müssen, die neuen Möglichkeiten verantwortungsvoll zu nutzen und kritisch zu reflektieren, wer die Karten erstellt, die unser Verständnis der Welt formen.
Quellen:
Johannes Gigas – der erste Kartograf Westfalens