Wer in der Landwirtschaft unterwegs ist, kennt den Namen Claas: grüne Mähdrescher, robuste Traktoren, Technik „Made in Germany“ — ein Stück industrieller Identität. Doch das Bild bekommt Risse. Das Geschäftsjahr 2023/24 brachte einen Umsatzrückgang von rund 19 % auf knapp fünf Milliarden Euro; Gewinne schmolzen entsprechend. Kurzarbeit für tausende Beschäftigte — zuletzt erneut 1.000 im Sommer 2025 — verdeutlicht: Hier handelt es sich nicht um ein konjunkturelles Zwischentief, sondern um ein strukturelles Problem.


Ursachen im Überblick

  • Struktureller Nachfragerückgang: Viele Landwirte haben ihre Investitionen bereits getätigt; Märkte sättigen sich. Globale Verkäufe an Landtechnik gehen zurück.
  • Belastungen der Landwirtschaft: Steigende Energiekosten, verschärfte Umweltauflagen und politische Maßnahmen drücken die Zahlungsbereitschaft der Kunden.
  • Globale Unsicherheiten: Extreme Wetterereignisse, geopolitische Spannungen und hohe Finanzierungskosten lähmen Investitionsentscheidungen.
  • Standort Deutschland: Bürokratie und hohe Kosten belasten Produktion und Wettbewerbsfähigkeit.
  • Overengineering und hohe Kosten: Die Maschinen werden zunehmend komplexer, teurer und oft am Bedarf der Landwirte vorbei entwickelt.
  • Viele Geräte sind nur noch über Agrarsubventionen finanzierbar. Ein Wegfall oder deutlicher Rückgang dieser Förderungen, wie angesichts der wirtschaftlichen Lage denkbar, würde die Nachfrage massiv belasten.
  • Interne Strukturen: Der Verwaltungs- und Führungsapparat ist überdimensioniert („zu viele Häuptlinge, zu wenige Indianer“), was Flexibilität und Kosteneffizienz weiter einschränkt.

Zusätzliche Schläge von außen

Neben den genannten strukturellen Problemen kommen seit 2024/25 weitere harte Einschnitte hinzu:

  • Russland und Werk Krasnodar: Der vormals wichtige Absatzmarkt ist durch Sanktionen faktisch verloren. Die Produktion in Krasnodar wurde eingestellt; die Anlage ist bilanziell abzuschreiben.
  • Rückzug aus Indien: Der Verkauf der indischen Tochter im Herbst 2024 reduziert die Präsenz in einem wachstumsorientierten Agrarmarkt und schwächt die globale Diversifikation.
  • Hohe US‑Zölle und Omaha: Protektionistische Maßnahmen verteuern Lieferketten. Das US‑Werk in Omaha dient primär als Montage- und Vertriebsstandort (mit rund 120–150 Mitarbeitenden) — Kernkomponenten werden größtenteils aus Deutschland importiert. Die Montage in Omaha kann Importstopps oder zusätzliche Zölle nicht kompensieren.

Diese Entwicklungen führen zu Abschreibungen, dem Verlust ganzer Absatzmärkte und unmittelbaren Druck auf Liquidität und Margen.

Disruptive Technologie: Elektromobilität und alternative Antriebe

Bislang wurde die Diskussion um Claas vor allem als Problem von Nachfrage, Geopolitik und Standortkosten geführt. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor ist jedoch die technologische Disruption durch E-Mobilität und alternative Antriebe — eine Entwicklung, die die Produktarchitektur, die Wertschöpfung und das Servicegeschäft in der Landwirtschaft grundlegend verändert.

Nachfragerichtungen verschieben sich

Elektrische und hybride Antriebsstränge, verbesserte Energiespeicher und neue Anwendungen verändern das Bild dessen, was Landwirte künftig kaufen werden. Entscheidend ist nicht nur das Trägermaterial (Traktor vs. Mähdrescher), sondern das Wirtschaftsmodell dahinter: veränderte Total-Cost-of-Ownership‑Rechnungen, andere Wartungszyklen und neue Einsatzmuster (z. B. lokale Ladeinfrastruktur, saisonale Nutzung, emissionsfreie Zonen). Wenn Elektrogeräte über ihren Lebenszyklus günstiger oder ökologisch vorteilhafter sind, sinkt mittelfristig die Nachfrage nach klassischen Dieselmaschinen.

Veränderung der Wertschöpfung und der Kompetenzen

Claas ist traditionell stark in Mechanik, Dieseltechnik und der verwandten Zulieferkette verankert. Die Elektrifizierung erfordert jedoch erhebliche Investitionen in Batterietechnik, Leistungselektronik, Software und elektrische Antriebe — Kompetenzen, die in der bestehenden Organisation nur unzureichend vorhanden sind. Das bedeutet: entweder teure Zukäufe, strategische Partnerschaften oder ein risikoreiches, langfristiges Aufrüsten der eigenen F&E.

Aftermarket, Service und Erträge unter Druck

Ein elektrifizierter Maschinenpark hat weniger bewegliche Teile, andere Verschleißprofile und andere Wartungsbedarfe. Für Hersteller wie Claas, die traditionell über Ersatzteile und Service ein wiederkehrendes Ertragsmodell betreiben, drohen langfristig sinkende Aftermarket‑Einnahmen — sofern nicht neue Serviceangebote (z. B. Software‑Updates, Batterie‑Leasing, Energiemanagement) entwickelt werden.

Neue Wettbewerber und Plattformen

Die Elektrifizierung senkt teilweise Markteintrittsbarrieren für technisch versierte Neueinsteiger, die nicht über traditionelle Motorenkompetenz verfügen, aber Stärke in Batterien, Software und Vernetzung mitbringen. Gleichzeitig können Plattform‑ und Pay-per-Use‑Modelle entstehen, die das klassische Eigentumsmodell obsolet machen.

Infrastruktur und Investitionsbedarf auf Kundenseite

Die Verbreitung elektrischer Landmaschinen hängt auch von der Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur und von der Strompreis-/Energiepreisentwicklung ab. Regionen mit hoher Netzdichte und günstiger erneuerbarer Energie werden schneller umstellen. Dort, wo Energie teuer oder Netzausbau schleppend ist, bleibt Diesel länger relevant — ein weiterer Gradmesser dafür, wie unterschiedlich die Markterholung für Claas regional ausfallen kann.

Fazit – Overengineering, E-Mobilität und strukturelle Schwächen verschärfen den Teufelskreis

Die bisherigen Belastungen — Nachfrageeinbruch, geopolitische Verluste (Russland, Indien), US-Zölle, Standortkosten — hätten für sich genommen schon eine anspruchsvolle Restrukturierung erfordert. Overengineering macht die Maschinen teurer, komplexer und oft am Bedarf der Kunden vorbei. Der Abhängigkeitsgrad von Agrarsubventionen ist hoch; ein Wegfall würde die Nachfrage massiv einbrechen lassen. Hinzu kommen E-Mobilität und digitale Plattformmodelle, die Produktarchitektur, Wertschöpfung und Erlösmodelle verändern. Schließlich bremst der interne Wasserkopf mit zu vielen sog. Führungskräften und zu wenigen operativen Mitarbeitern die Anpassungsfähigkeit.

Kurz: Ein bloßer Kostenschnitt oder temporäre Produktionspausen genügen nicht. Claas braucht eine multidimensionale Strategie: technische Modernisierung, neue Service- und Erlösmodelle und schlankere Strukturen. Das erfordert jedoch hohe Investitionen, die ein Familienunternehmen dieser Größe, wenn überhaupt, nur in einer langanhaltenden Phase der Hochkonjunktur stemmen kann, wenngleich man einräumen muss, dass das Finanzmanagement von Claas ausgesprochen umsichtig ist. Die Chance auf einen nachhaltigen Turnaround ist daher eher gering.


Quellen und weitere Informationen:

Deutsche Landtechnik-Industrie in der Krise: Claas schickt erneut 1.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit

Claas steckt in der Krise

Von Rolevinck

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